Make or Break Festival 2012
Tag 1. Ein Nachbericht in Momentaufnahmen. Von Matthias Dietrich.
Die Stadt kommt zur Ruhe …
Die Geschichte beginnt am ersten richtig warmen Frühlingsabend des Jahres 2012. Hinten im Westen hört man das Klacken der Skateboards unter sinkender Sonne; vorne, an den Ledersesseln, wummert erwartungsvoll eine Bassdrum; unter blauen Schirmen sitzen zunehmend Menschen, führen Gespräche, um hölzerne Tische. Ab und an klinkern die Flaschen.
… Zeitlosigkeit mach sich breit …
Drinnen ist es bereits Nacht. Schwärze im Hansa 39, durchzuckt von E-Gitarre, Bass, und Schlagzeug. Rauchwerk wabert süßlich durch den Raum, Scheinwerfer tauchen hindurch, fallen auf gereckte Köpfe. Durch die Lichtstrahlen fliegen die sehr langen Haare des Gitarristen. Und am Stand gibt es Vinyl: Schwarz und rot und grün.
… das Verlassen der Isle of Wight …
Kranhalle. Auch Vinyl. Aber Hip-Hopper tragen heute Mütze, Rucksack, Umhängetäschchen. Auch auf der Bühne. Ein Erzählen vom Leben in dieser Stadt, die auch arm und hässlich lebenswert scheint. Dabei nicht unkritisch, durchaus mit Grant. Aber weltoffene Geschichten. Münchnerisch, deutsch, französisch. C'est la vie.
… und irgendwo geistert Dirk Wagner um die Ecke …
Im Hansa 39 wird es dunkler, lauter, voller. Die Luft erfüllt von Lightshow, fliegenden Mähnen. Sie haben den Nebel vertrieben. Kompromisslos wie Felsbrocken fliegen Riffs und Drums in die Menge. Aber niemand wird verletzt.
… Auflösung des Hains …
Drüben alles: Yo! Yo! Und mit einem großen „Clap your hands now“, so ist man sich nun sicher, geht dereinst die Welt unter.
Zuvor jedoch betreten Außerirdische die Bühne. Anzugleuchten. Vom Planeten S.E.T.I.. Weltraumsound.
…
Und plötzlich findet man sich
unter Menschen
als Misanthrop
one-man-army
Winkekatzen überall
die das Winken verlernt haben
und gebannt stehen
vor Sound-Wand und Kulisse
bilden, maschinenmenschenhaft
monkeyesk
im Lichtgewitter
hüben wie drüben
aus vier wird eins
ein Ineinanderfließen
bis unter freiem Himmel
sich die Menschen wiederfinden
Tag 2. Von Barbara Blum
Im Gegensatz zu gestern, als auf der rechten Feierwerk-Seite (Orangehouse und Sunny Red) noch nichts los war, ist das Make or Break ab heute tatsächlich „all areas“: Hartes und Rockabilly im Hansa 39, Folkiges im Orangehouse, Elektroparty in der Kranhalle und unten im Sunny Red hat sich Flowerstreet Records mit drei seiner Schützlinge breit gemacht.
21 Uhr: Das Außengelände füllt sich langsam. Es gibt tatsächlich Personen, die bei der Tombola am MVG-Stand mitmachen (und so nützliche Dinge wie Pflaster-Sets gewinnen). Bei den Konzerten in den Hallen finden sich auch um diese frühe Uhrzeit schon so viele Zuschauer ein, dass man nicht peinlich berührt ist, wenn man einer von ihnen ist. Aber ansonsten ist es drinnen gespenstisch leer, etwa im Raum mit der langen Bar zwischen Hansa 39 und Kranhalle. Zu warm ist die Luft draußen, zu gemütlich sind die Sofas, Bierbänke und Strandkörbe.
Kranhalle: Bei Fuck Art, Let’s Dance! springt der Funke leider nicht über. Soll heißen: Die Leute tanzen nicht (oder nur wenige). Erwarten sie Kunst? Vielleicht bauen auch die kaum ausgeleuchtete Bühne und der viele Nebel aus der Nebelmaschine eine Distanz zwischen dem Publikum und den drei Hamburgern auf. Man erkennt gerade so, dass der Gitarrist sehr groß und der Sänger/Gitarrist sehr klein ist.
Orangehouse: Musikalität, Schönheit, unzeremoniell – The Moonband. Die Band mit dreieinhalb Sängern. Tolle Harmonien, tolle Dynamik. Das Publikum honoriert das: lächelt, wippt, fordert eine Zugabe. Nach selbiger steht den Bandmitgliedern der Stolz ins Gesicht geschrieben. Zurecht. Ein durch und durch gelungener Auftritt.
Draußen vor dem Feierwerk: Feuerwerk. (Frühlingsfest auf der Theresienwiese – man hört es, aber sieht es nicht.)
Orangehouse: Viele sind gekommen, nur um die Bowerbirds zu sehen. Die Band mag man nicht nur, man hat sie lieb. Leider gibt es technische Probleme, die bis zum Ende des Konzerts nicht vollständig behoben werden können. Das Umstöpseln zwischen den Songs kostet Zeit und drückt auf die Stimmung. Trotzdem kommt die Band immer wieder „ins Spielen“. Man merkt dann, wie stark die Fünf sich aufeinander einlassen und wie viel Kreativität in den Arrangements steckt. Wenn jemand einen Hund dabei hat, möge er ihn nach dem Gig hinter die Bühne bringen, damit Beth und Phil ihn streicheln können. Hat niemand. Wäre auch nicht so toll für den Hund hier, räumt Phil ein. Es gibt keine Zugabe.
Nach dem Konzert ist unten eine Schlange vor dem Frauenklo. Draußen ist es immer noch warm. Man bleibt noch ein bisschen.
Tag 3 von Max Fraenkel
Jedes mal, wenn ich die ersten Sommertage spüre, dann frage ich mich, wie ich den Winter überhaupt überleben konnte. Draussen sein. Fahrrad fahren, den Wind im Gesicht, Musik im Ohr. Überhaupt: Warme, frische Luft und Musik sind die Kombination, aus der meine Träume gemacht sind. Abgesehen vom heimischen Balkon oder inoffiziellen Partys an der Isar wird es da in München aber schwer.
Und trotzdem sitze ich in Gedanken immer noch Augustiner trinkend in einem Strandkorb. Gerade überlege ich noch schnell mal baden zu gehen bevor es zu dunkel wird, als mich die vorbei strömende Menschenmenge daran erinnert, dass ich in München bin - nicht an einem Strand in Brasilien. Zum Glück.
Sonst würde ich an diesem Samstag Abend im Feierwerk nämlich Einiges verpassen. Zum Beispiel Beton Gabi, Makao Jump oder die Isar Bass Show. Trotzdem lässt sich schon an den Fans, die sich ab halb Zehn im Außenbereich ansammeln, ablesen, wer heute Abend den Ton angibt: Atari Teenage Riot. Neonfarben, gestutzte Dreads, Camouflage Hosen. Die 90er Jahre haben ihre Spuren hinterlassen.
Aber egal, denn obwohl er seine Blütezeit sicher letztes Jahrzehnt hatte, hinterlässt der zwei Meter große Hühne, dessen Brustbehaarung mich an einen wütenden Silbernackengorilla denken lässt, durchaus Eindruck. Genau wie Atari Teenage Riot. War die Halle lange vor ihrem Auftritt leer, verwandeln sie das Hansa 39 jetzt innerhalb der ersten Takte von „Activate“ in eine waschechte BPM-Vorhölle. Jede einzlene Faser meines Gehörnervs will sofort in die Mitte. In die Menge. In den Bass.
Schnitt. Das Konzert ist vorbei. Meine Rippen erinnern sich sofort nach Ende des Adrenalin-Pits an ihre Begegnung mit dem Gorilla. Der Spruch „der Schweiß tropft von der Decke“ wird plötzlich schrecklich real und ich sehne mich zurück zu meinem Strandkorb. Und obwohl brave Kinder schon längst schlafen sollten, steht er schon da. Wartet auf mich. Mit Bier und frischer Luft. Das Festival klingt aus. Eigentlich sollte den ganzen Sommer über Make or Break sein.