Platten vor die Säue
Deerhunter - Fading Frontier
Auf dem sechsten Album der Indie-Rocker aus Atlanta stehen plötzlich die Melodien im Vordergrund. Das geht nicht immer gut.
Als ich zum ersten Mal das neue Album „Fading Frontier“ von den amerikanischen Art Rockern Deerhunter höre, hängt mein Kopf gerade mit einem Handtuch bedeckt über einem Topf heißem Wasser, in dem Kamillenblüten schwimmen. Ich bin dann also ganz allein mit den 9 Songs; und mit meinem Atem. Von Deerhunter kann man nun nicht unbedingt entspannende Sonnenscheinnummern erwarten, spannend wird es aber, wenn man sich die Vorabsingle „Breaker“ anhört. Die kommt nämlich erstmal daher wie ein sommerlicher 50er Jahre Schlager, bricht dann in psychodelische elektro-Klangteppiche aus, nur um danach am Strand weiterzumachen als wäre nichts passiert. Und irgendwo auf dieser verschwommenen Grenze zwischen Kitsch und Frickeligkeit bewegt sich „Fading Frontier“ die gesamten 36 Minuten über. Ich komme nicht umhin mich regelmäßig zu fragen, ob ich nicht vielleicht doch Fieber bekommen habe.
Aber das geht doch nicht!
Im Werbetext der Plattenfirma wurde „Fading Frontiers“ beworben als Deerhunters bisher eingänigstes Album. Und zwei Sätze später soll es auch noch Deerhunters bisher komplexestes Album sein. Mit dieser Kombination haben sie sich ganz schön was vorgenommen, die Herren um Bradford Cox. Aber so richtig funktioniert hat es leider nicht. Der Song „Take Care“ zeigt sehr deutlich die Probleme des Albums auf. Eingängige Melodien hatte man sich beim Komponieren des Albums auf die Fahne geschrieben und ist im Falle dieses Walzers doch ein wenig über das Ziel hinaus geschossen. Komplex wird der Song dann so ziemlich genau ab der Hälfte, wenn der Gesang aufhört und zu den bestehenden Harmonien ordentlich experimentiert wird. Bei einem Liveauftritt als letzter Song ist das sicherlich ein Knaller, auf Platte wirkt es aber das doch etwas zu angestrengt.
Balance
Deerhunter waren schon immer am besten in den Momenten, in denen sie die klassischen Songwritingregeln einfach ignoriert und ihre Songs einfach mit verschrobenen Sounds gebrochen haben. Das gelingt ihnen auf Fading Frontier leider nur stellenweise, wie zum Beispiel auf dem starken Opener „All The Same“ oder dem Rausschmeißer „Carrion“. Aber auch „Snakeskin“ hat durchaus Hitpotenzial, obwohl es sich um einen ziemlich straighten Indie-Song handelt, der auch den Strokes ganz gut gestanden hätte. Dieser Song lebt vor allem von dem ausdrucksstarken Gitarrenspiel von Lockett Pundt. Insgesamt werde ich aber auf dem gesamten Album das Gefühl nicht los, man würde hier versuchen das sehr schwere, düstere und wenig erfolgreiche Vorgängeralbum „Monomania“ durch betonte Beschwingtheit ausgleichen zu wollen.
Adult Contemporary
Sänger und Songschreiber Bradford Cox nannte als Inspiration für die neue Platte Namen wie R.E.M., Tom Petty und Tears For Fears. Und obwohl auch der Niedergang der Musikindustrie ein Thema für das Album zu sein scheint, ist der Umgang damit nicht allzu kritisch. Ich ertappe mich schnell bei dem Gedanken, dass das der Versuch sein könnte, endlich von den großen Radiosendern gespielt zu werden. Darunter leidet die Kantigkeit, die Deerhunter auf ihrem 2010er Erfolgsalbum „Halcyon Digest“ noch so ausgezeichnet hatte. Und das obwohl sie sich mit Ben H. Allen wieder den gleichen Produzenten ins Haus geholt haben. Es dauert jedenfalls einige Durchläufe, bis ich beginne mich auch mit dem Album insgesamr und nicht nur mit einzelnen Songs oder Passagen anzufreunden. Es dauert; aber am Ende passiert es dann doch noch. Nach den ersten Durchlauf hätte ich sicher weniger Punkte vergeben. Aber wer weiß... vielleicht habe ich ja auch einfach doch noch Fieber bekommen.
Gesamtbewertung: 3 von 5 Punkten
"Fading Frontier" von Deerhunter erscheint am 16. Oktober 2015 auf 4AD