Platten vor die Säue
Låpsley - Long Way Home
Ihr Durchbruch war schon 2015 erwartet worden. Sie hat sich etwas mehr Zeit gelassen, aber „Long Way Home“ könnte die Britin zur ganz großen Nummer 2016 machen.
Auch wenn schnell auf die Idee kommen könnte: die blonde Låpsley, die uns mit eindringlichem Blick auf dem Cover ihres ersten Albums ansieht, hat keine skandinavischen Wurzeln. Ähnlich wie die 'ö's bei Mötörhead hat das å rein optische Gründe. In Wirklichkeit heißt die gerade einmal 19jährige Musikerin Holly Lapsley Fletcher, was ihrer Liverpooler Herkunft schon um einiges näher ist. Und auch wenn man mit etwas Phantasie eine musikalische Ähnlichkeit zu Robyn ausmachen kann, so fallen mir doch eher britisch-irische Referenzen für die Songs auf der Platte ein.
Best Of Brit (and Ireland)
Da wären auf jeden Fall Daughter zu nennen. Låpsley schafft es mit ihrer Vorab-Single „Hurt Me“ diese Zerbrechlichkeit zu zelebrieren, die auch bei Daughters „Youth“ die tragende Emotion ist. Ein sehr berührender Song, der gerade wegen des sehr zurückgenommenen Arrangements eine gewaltige Wirkung erzielt. Der Vergleich zu The XX und James Blake läge nahe, wenn Låpsley bei dieser Taktik bleiben würde. Stattdessen variiert sie sehr viel und bei Songs wie „Cliff“ und „Tell Me The Truth“ wird der Beat geradezu clubtauglich. In diesen Momenten wird die Nähe zu Róisín Murphy besonders deutlich. Und mit ihrer starken Stimme, die in Songs wie „Operator“ sehr gut zur Geltung kommt, werden teilweise sogar Erinnerungen an Adele wach. Insgesamt ist „Long Way Home“ ein sehr abwechslungsreiches Album, dass trotzdem wie aus einem Guss wirkt – vermutlich, weil hier keine Horde berühmter Produzenten am Werk war, sondern Låpsley sämtliche Sounds selbst produziert hat.
Konservative Avantgarde
Låpsley spielt sehr viel mit elektronischen Klängen. Es ist fast kein echtes Instrument auf dem gesamten Album zu hören. Stattdessen wird ihre Stimme teilweise bis zur Unkenntlichkeit verfremdet und als weiteres Klangelement genutzt. Solche Experimente können ja sehr schnell sehr anstrengend werden, aber Låpsley versteht ihr Handwerk. Trotz aller Spielereien und Quietschgeräusche, die sich manchmal im Sound verirren, sind es doch durchgängig sehr gut hörbare Popsongs. Es ist vielmehr andersherum: die Soundspielereien retten die Songs davor in den Kitsch abzugleiten. Sie liefern genau die „edginess“, die die Songs brauchen. Die aktuelle Single „Love Is Blind“ würde sonst nämlich auch ganz gut als neuer Song von Emeli Sandé durchgehen können. Und das ist vielleicht auch die größte Kritik an Låpsley: den Mut, den sie im Sound an den Tag legt, findet man im doch recht konservativen Songwriting nicht wieder. Aber das ist auch eigentlich gar nicht so schlimm.
Gesamtbewertung: 4,5 von 5 Punkten
Long Way Home von Låpsley erscheint am 4.3.2016 bei XL Recordings