Social Media
Bis die Blase platzt
Fake-News und Filterblasen: Social Media kämpft momentan mit hausgemachten Problemen.
Fake-News und die sogenannten Filter-Blasen waren Gegenstand der Debatten um Social Media. Aber was macht Fake-News und Filterblasen so gefährlich?
Früher - das heißt in den Zeiten von Lokalisten, MSN und ICQ - haben sich die Leute über Social Media nur dann beschwert, wenn das Design der Portale verändert wurde (Lokalisten sorgte für Magenknurren, als die dominierende Farbe der Seite von dunkelgrün auf hellgrün umgestellt wurde). Heute und ein gutes Jahrzehnt später sind die Diskussionen um Social Media wesentlich ernster. Fake-News und die sogenannten Filter-Blasen waren Gegenstand der Debatten um Social Media in den letzten Wochen. Die M94.5-Onlineredaktion hat sie aufmerksam verfolgt und erklärt, warum Fake-News ein mächtiges Mittel im Wahlkampf sein können. Und weshalb Facebook nie etwas gegen die Filterblasen unternehmen wird.
Fake ist das neue Fakt
von Aurelie von Blazekovic
Während wir uns in Deutschland noch mit dem - wie immer - fragwürdigen Jugendwort des Jahres rumschlagen, hat das Oxford Dictionary längst ein Wort zum internationalen "Word of the Year 2016" gewählt, das, anders als fly sein, tatsächlich in aller Munde ist. Post-truth hat das Rennen gemacht, zu deutsch post-faktisch.
Post-faktisch beschreibt laut Oxford Dictionary “Umstände, in denen objektive Fakten weniger einflussreich für die Bildung der öffentlichen Meinung sind, als Appelle an Emotionen und persönliche Meinungen”. Ist 2016 nach Brexit und Trump also das Jahr des Postfaktischen? Zumindest kann man sich mit dem Wort in jeder politischen Diskussion profilieren und als Neunmalkluger outen.
Wahr oder Satire?
Dass Menschen nicht immer nur an harten Fakten interessiert sind (oder etwas damit anzufangen wissen), zeigt sich nicht nur in Wahlergebnissen, sondern auch in den Medien. Gerade auf Facebook werden Artikel von fragwürdigen Online-Portalen geteilt und für bare Münze gehalten, egal wie absurd diese auch sein mögen. Zugegeben, nicht immer ist es leicht, Fake-News, Satire und echte Nachrichten auseinander zuhalten.
Selbst auf offensichtliche Satire-Seiten, wie “Der Postillon” oder der amerikanische Variante “The Onion”, fallen User immer wieder herein. Um einiges subtiler ist der satirische Charakter von “Real News Right Now”. Auch hier sind die “News” vollkommen frei erfunden, aber auf den ersten Blick ist das nur schwer erkennbar. Die vermeintlich brisante Meldung, dass illegale Immigranten bald die Mehrheit der Amerikaner ausmachen würden, wurde allein bei Facebook mehrere hunderte Male geteilt. Auch wenn “Real News Right Now” Satire ist, werden viele Leser von Nachrichten wie diesen geäuscht.
Schlagzeilen wie diese, auf die User "reinfallen". Screenshot: realnewsrightnow.com
Abhilfe bei diesem Problem schafft realorsatire.com. Die Seite lässt User überprüfen, ob wenig bekannte Nachrichtenseiten echt oder satirisch sind.
Doch damit lassen sich leider nicht diejenigen "Nachrichtenportale" bekämpfen, die bewusst manipulieren.
Breitbart und Trump
Breitbart News wurde zu dem Sprachrohr und offenem Unterstützer von Donald Trump und lieferte ihm schon während des Wahlkampfes vermeintliche Beweise und Unterstützung für jegliche Behauptungen. Den Klimawandel gibt es nicht? Das sieht Breitbart genauso, dieser sei nichts als eine milliardenschwere Industrie. Trump kümmert sich nicht um Frauen oder Schwulenrechte? Im Gegenteil, Breitbart kommentiert, dass Trump Frauen und Schwule in Wirklichkeit vor den Demokraten rettet, die sich nur für Waffenrechte interessieren würden. Trump lässt verlauten, er möchte eine Mauer an der Grenze zu Mexiko errichten? Breitbart erkärt, warum die Mauer Amerika vor Armut, Gewalt und Kriminalität schützen wird. Die Nähe von Breitbart zu Trump ist unbestreitbar. Nicht zuletzt weil Steve Bannon, der Ex-Chef von Breitbart News, direkt von seinem Posten bei Breitbart im August 2016 ins Wahlkampfteam Donald Trumps gewechselt ist. Nun ist er höchster Berater und Chefstratege des president elect.
Genau wie der Erfolg von Trump und von Populisten weltweit, ist der Erfolg von Breitbart News in der Ablehnung des “Establishments”, der Politiker und Medien, begründet. Was in Deutschland das Wort “Lügenpresse” ausdrückt, vermitteln Trump und Breitbart mit “rigged media”: die gesamte Medienwelt belügt euch und handelt ausschließlich nach eigenen Interessen. Nach dem Motto “Wir gegen die da oben” verbreiten Breitbart und Co. daher Thesen mit Verschwörungs-Charakter und einfachen Lösungen, die großen Anklang in unserer so unsicheren und undurchsichtigen Welt finden.
Breitbart News bald auch in Frankreich
Kann, was in Amerika funktioniert, auch in Europa funktionieren? Breitbart überlegt schon länger, nach Frankreich zu expandieren und dort Front National-Politikerin Marine Le Pen zu unterstützen. Das macht Breitbart News zwar schon von Amerika aus, aber eine französische Ausgabe des Online-Portals könnte Le Pen, ähnlich wie Trump in Amerika, zum Wahlsieg verhelfen.
Natürlich gewinnen populistische Politiker nicht nur wegen Medien wie Breitbart, aber ihre Rolle sollte nicht unterschätzt werden. Vor allem, weil ein effektives Gegengewicht zu ihnen derzeit fehlt, wie Ken Stern in der Vanity Fair schreibt: "The events of the last month make clear that progressives need an effective counterweight in media to the Breitbarts of the world. Right now, the counterpunching is entirely around trying to discredit conservative, alt-right media. That may be fine for today but in the long run, the left wing will need to find its own voices of passion, authenticity, and, apparently, a certain amount of outrage”.
Bloßes Pochen auf Fakten und Wahrheiten laufen also ins Leere, denn, ach stimmt, post-faktisch ist ja das Wort des Jahres 2016.
Dein Facebook, deine Welt
von Justin Patchett
“Mache Facebook zu deinem Facebook”. Dazu fordert Mark Zuckerbergs Unternehmen in kurzen Videoclips der jüngsten Werbekampagne auf; wen interessieren schon die nervigen Bilder jeder Mahlzeit von Freunden oder all die Katzenvideos, so die Werbung. Die kurzen Spots laufen sowohl im TV, als auch auf der sozialen Plattform selbst und es ist die erste Werbekampagne Facebooks, die gezielt Deutschland und unsere Datenschutzbedenken treffen will. Das Unternehmen weiß zu viel und macht sowieso, was es will, denkt sich der Deutsche. Also zeigt uns Facebook, wie kontrollierbar vor allem seine Inhalte sind, wie man nur das sehen kann, was einem wirklich gefällt, um so den Datenschutz nicht nur tot zu schweigen, sondern ihn einfach gleich nieder zu schießen, weil doch eigentlich alles super sein kann ohne ihn.
Allerdings waren die Schüsse der Kampagne höchstens Platzpatronen. Nicht, weil man Facebook sowieso nur wieder verrät, was einem nicht gefällt und sich damit noch durchsichtiger macht.
Sondern, weil die Kampagne das strukturelle Problem Facebooks gar nicht umfasst: Eben, dass jeder Facebook zu “seinem” Facebook machen kann.
Es existiert ein neues Bewusstsein dafür, was Social Media ist
Was eigentlich kaum weiter aufgefallen wäre, hätte sich die Werbekampagne nicht den schlimmst möglichen Zeitpunkt ausgesucht, um Datenschutz-liebende Deutsche zu bekämpfen: die US-Wahl.
Die Datenschutz-Diskussion ist so urdeutsch wie Sauerkraut und Bratwürste - Kritik aus der Bundesrepublik ist für Facebook quasi Tradition. Aber das alles war vor der US-Wahl - die neue Kritik stammt aus der ganzen Welt und hat mit Datenschutz nicht mehr viel zu tun, sie ist viel größer, so dass dieser Gegenwind selbst für Mark Zuckerberg neu ist. Man scheint sich immer mehr bewusst zu werden, dass Facebook größer ist, als nur Katzenvideos und Urlaubsfotos aus der Toskana. Dass der Einfluss weiter reicht und die Rolle wichtiger geworden ist. Es existiert ein neues Bewusstsein dafür, was Facebook, was Social Media ist.
The election of Donald J. Trump is perhaps the starkest illustration yet that across the planet, social networks are helping to fundamentally rewire human society”, schreibt in diesem Zusammenhang die New York Times. Ein Bewusstseinswandel, der früher oder später ohnehin stattgefunden hätte, doch die US-Wahl wirkte wie ein Katalysator.
Die US-Wahl wirkte wie ein Katalysator
Und so schien aus dem niedlichen und stets zu vernachlässigenden Social Media schlagartig das mächtigste Medium geworden zu sein. Doch fand diese Entwicklung stets unterschwellig statt, sie musste nur entschieden zu Tage gefördert werden. Darum diese Kritik, die diesmal keine rein deutsche, aber Datenschutz freie Angelegenheit ist und Hate-speech und Fake-News debattiert. Darum dominieren seit Wochen Themen rund um Facebook die Nachrichtenportale aller Welt und darum pfeifen Mark Zuckerberg nun Vorwürfe und Kritik im Sturm-Böen-Tempo um die Ohren.
Zwar hat Social Media damit noch nicht die Dimension der Erfindung des Buchdrucks, aber es macht etwas mit uns: “Sicher ist jedoch, dass wir es mit neuen Mischformen mündlicher, schriftlicher und bildlicher Kommunikation zu tun haben, dass wir das Verschwimmen der Grenze von Öffentlichkeit und Privatheit, den Bedeutungsverlust verbindlicher Filterungsinstanzen sowie die damit zusammenhängende Tendenz zu immer stärkerer Selektivität erleben”, schreibt Julian Müller, Soziologe an der Ludwigs-Maximilians-Universität auf Anfrage M94.5s. Nur Seiten, die man auf Facebook “liked” werden einem angezeigt - auf jeden Like gibt es neue, ähnliche Vorschläge - alle anderen Inhalte sind schlicht nicht zu sehen und so selektiert man immer stärker. So lebt man nur noch in der eigenen Welt.
Jeder hat Facebook zu seinem Facebook gemacht
In einer Studie der Universität Oxford, in der 50.000 Konsumenten von Online-Nachrichten befragt wurden, nutzen 51 Prozent die Sozialen Netzwerke als Quelle. Die “sozialen Netzwerke” stehen stellvertretend für Facebook, das laut dem “Search Engine Journal” mit täglich 42 Minuten im Leben eines US-Amerikaners, das am meisten genutzte Netzwerk ist, auch laut der Oxford-Studie ist Facebook das wichtigste Netzwerk für Nachrichten.
Kaum einem Facebook-Nutzer erscheinen nach dem Login die exakt gleichen Inhalte und Neuigkeiten wie dem Freund oder gar dem AfD-Wähler.
“Es ist durchaus interessant, dass sich innerhalb weniger Jahre die Diskussion über eine, sagen wir einmal, völlig akzeptierte Wissensgesellschaft inzwischen in eine Diskussion verwandelt hat, in der wir eben auch über eine sehr selektive Wahrnehmung sprechen”, hat Angela Merkel in ihrer Rede beim Festakt zur 22. Jahrestagung der Leibniz-Gemeinschaft vergangene Woche gesagt und meinte damit: wir sehen nur das, was wir in Sozialen Netzwerken wie Facebook sehen wollen. Wir “liken” und malen uns damit die Welt, wie sie uns gefällt. Den Rest mögen wir nicht, also wird er uns auch nicht angezeigt. So hat jeder Facebook zu seinem Facebook gemacht.
Wir stecken in “Filterblasen”, ein Begriff, den der Autor Eli Pariser geprägt hat und der selbst sagt: “The filter bubble contributed to liberals and coastal folks being very surprised at the outcome”.
"Medien sind niemals nur neutrale Übermittler von Inhalten"
Nicht die Blase hat Donald Trump zum Präsidenten gemacht. Aber sie begünstigte die Verbreitung von Falschmeldungen, von “Fake News”, die immer nur in der ein oder anderen Blase umher schwebten, ohne jemals mit den spitzen Nadeln einer offenen, objektiven Diskussion konfrontiert werden zu müssen.
“Medien sind niemals nur neutrale Übermittler von Inhalten, sondern haben entscheidenden Anteil daran, was gesagt, was geschrieben, was gedacht wird. Ein geschriebener Satz hat unter Umständen vollkommen andere Konsequenzen als ein gesprochener Satz mit vermeintlich gleichem Inhalt. Medien haben aber nicht nur Einfluss auf Inhalte, sie dirigieren auch Möglichkeiten des Anschlusses an diese Inhalte.”
Und genau diese Worte des Soziologen Julian Müller sind entscheidend, genau das begreift Mark Zuckerberg und seine auf Deutschland zugeschnittene Werbekampagne nicht und sie werden es auch nie, weil es ihrem Denken und dem wesentlichen Prinzip des Netzwerkes absolut widerspricht: Facebook ist nicht nur für seine Inhalte verantwortlich, sondern bestimmt sie mit seiner Struktur, mit all den Blasen, die so fundamental sind wie der “Like-Button” selbst.
Zuckerberg selbst teilte im Anschluss an das Ergebnis der US-Wahl und inmitten der Fake-News-Debatte in seinem Netzwerk mit: “We don't want any hoaxes on Facebook. Our goal is to show people the content they will find most meaningful.”