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Thomas Müller im Interview

Geht YouTube auch öffentlich-rechtlich?

Autor(en): Metehan Bastan , Justin Patchett am Freitag, 10. März 2017
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Quelle: M94.5/Patchett

Thomas Müller, Redaktionsleiter bei Puls, über das Content-Netzwerk "funk"

Die Jugend schaut nicht mehr fern, sondern Netflix und YouTube. Mit "funk" wollen ARD und ZDF sie zurückgewinnen. Wie? Thomas Müller weiß es.

Den Rundfunkbeitrag zahlt man nach allgemeinem Wissen für das öffentlich-rechtliche Angebot von ARD und ZDF in Fernsehen, Radio und….YouTube? Seit Oktober 2016 ist das tatsächlich der Fall - das mag im ersten Moment nach Katzenvideos klingen, die durch die Öffentlichkeit finanziert werden. Doch es handelt sich dabei um weit mehr, als nur YouTube-Kanäle mit öffentlich-rechtlichem Auftrag. “funk” stellt ein ganzes digitales Netzwerk dar, das vor allem eins will: Die Jugend im Internet erobern - denn genau dort lässt sie sich inzwischen unterhalten. Vorbei die Zeit der Wetten-Dass-Familienabende vor der antiken Flimmerkiste namens “Fernseher”.
Diese Entwicklung hat man in der Medienindustrie längst erkannt. Daher lädt sie regelmäßig zu Veranstaltungen wie dem “Digital Media Summit” der Bayerischen Akademie für Fernsehen ein, um über die neue Rolle der Medien zu diskutieren. Dort verkündete die BAF ebenfalls - passenderweise - den Zusatz “und Digitales” als Bestandteil des neuen Markennamens.

"funk soll kein Sprungbrett sein"

Thomas Müller ist Redaktionsleiter für “Puls”, dem jungen Programm des Bayerischen Rundfunks. Gemeinsam sind sie dafür verantwortlich, dem digitalen Netzwerk "funk" Inhalte aus Bayern zu liefern. Im Interview spricht Thomas Müller über funk und die Digitalisierung der Medien.

Herr Müller, was ist denn überhaupt "funk"?

Offiziell heißt funk “Content-Netzwerk”. Warum? Weil es mit dem, was man bisher von ARD und ZDF kennengelernt hat, eigentlich nichts zu tun hat. Wir sind kein Radio, wir sind kein Fernsehen. Sondern wir haben ganz viele Angebote, die für sich selbst stehen und die finden allesamt im Netz statt, auf “Drittplattformen” wie YouTube, Snapchat, Facebook usw. Das Einzige, was uns verbindet, ist, dass wir gemeinsam junge Zielgruppen abgreifen wollen; wir wollen Medienangebote für die 14-29 Jährigen machen. Und eben nicht, wie man das im linearen Programmen macht, dass man sagt: “Ich mach’ jetzt ein junges Radio oder ein junges Fernsehen”. Sondern jedes Angebot steht für sich und möchte möglicherweise nur Mädels von 14 bis 16 abgreifen, und das nächste ist dann für Jungs von 22 bis 26. Also man sucht sich ganz klar eine Zielgruppe auf der jeweiligen Plattform, auf der es relevant ist.

Versucht man mit funk dem “Generationenabriss” entgegen zu wirken?

Bestimmt. Mit den großen Angeboten, die es heutzutage gibt, den klassischen, linearen Angeboten, erreichen wir jetzt schon wesentlich weniger Leute, als das früher der Fall war. Heute gibt es nicht fünf Fernsehkanäle, sondern 50. Und da ist es mittlerweile auch komplett gelernt, dass jeder für sich selbst sein Angebot zusammen zimmert. Da ist es eigentlich nur konsequent zu sagen: wir gehen noch einen Schritt weiter; wir haben nicht einen Kanal, wo alles stattfindet, sondern wir versuchen mit ganz vielen unterschiedlichen Angeboten an die jeweiligen Zielgruppen heranzukommen.


Thomas Müller erklärt, was es mit "funk" auf sich hat. Quelle: M94.5/Patchett

"Die Zielgruppe zwischen 14 und 19 Jahren ist unfassbar heterogen"

An wen hat man das junge Publikum verloren?

Erstmal ist es natürlich die Generation YouTube. Im Alter von 14-16 ist man noch sehr orientiert in Richtung Erwachsene, da möchte man den Film am Filmabend sehen oder die Serie, die der große Bruder schaut, angucken. Es gab lange Zeit einfach keine expliziten Angebote, weil gerade die Zielgruppe zwischen 14 und 19 so unfassbar heterogen ist, d.h. wenn ich heute etwas gut finde, kann ich es morgen schon wieder scheiße finden. Und damit lassen sich einfach keine Gemeinsamkeit bilden, die für ein lineares Programm taugen. Deshalb haben wir gesagt, wir lassen uns sehr viele Sachen einfallen, die ganz spezifisch für Leute mit speziellen Interessen sind. Für Leute, die sich über Schminken unterhalten wollen oder über Games oder über Fußball. Da geht es aber nicht darum: wenn ich das eine mag, mag ich das andere; das ist ja die Idee des linearen Programms.

Was möchte funk 2017 erreichen?

Es gibt 15 Millionen Menschen in der Zielgruppe zwischen 14 und 29 und das Ziel ist es, so viele wie möglich aus dieser Zielgruppe immer wieder zu erreichen, sich in deren Alltag zu etablieren. Aber das ist natürlich ein schwieriges Ziel, nicht zuletzt, weil allein die Messung schwierig ist: Wir können schauen, wie viele Abrufe haben unsere Angebote auf YouTube - im Januar waren es gut 20 Millionen, das ist gar nicht schlecht! Nur, wie viele User sind das? Das wissen wir nicht. Wir arbeiten gerade auf verschiedenen Ebenen: auf der einen Seite tatsächlich Inhalte für diese Zielgruppen zu machen, auf der anderen Seite aber auch zu schauen, wie wir das ganze bewerten können.

Ist funk vor allem YouTube?

Wir sind überhaupt nicht auf eine Plattform festgelegt. YouTube ist aber tatsächlich gerade am Anfang unsere primäre Plattform, da passiert am häufigsten was. Was ein bisschen an der Funktionalität liegt, weil wenn ich etwas machen möchte, das zeitlich nachhaltig ist, dann ist Facebook doof. Dort poste ich was, das kann viral gehen, wenn es das nicht tut, ist es aber verschossen. Bei Kanälen dagegen kann ich mich viel spezifischer mit meiner Zielgruppe beschäftigen. Aber es gibt auch diverse Formate, die zum Beispiel speziell für Facebook gemacht sind. Es gibt eine Sportsatire der Kollegen vom NDR, die heißt Wumms! und findet auf Facebook statt. Von uns produziert gibt es eine Soap auf Snapchat, die läuft gerade wieder und heißt iam.serafina und da werden wir einen Monat lang, fast jeden Tag die Geschichte weitererzählen und zwar in Echtzeit. Wir versuchen auch immer zu überlegen, wie nutzen Leute eine Plattform und wie können wir dort mit unseren Inhalten stattfinden. Es ist anders als eine Facebook-live-Geschichte, deshalb ist so ein serielles Format eigentlich eine ganz gute Idee: Es kommt nicht darauf an, dass man es jetzt schaut, aber es wäre eine gute Idee, das in einem Zeitrahmen von 24 Stunden zu gucken.

"Es ist nicht so, dass 'oben' das Fernsehen ist und 'unten' Online"

Ist es Teil des Plans, dass die Funk-Leute später mal in das Fernsehprogramm von ARD bzw. ZDF “aufsteigen”?

Ich weiß gar nicht, ob das ein Aufstieg wäre. Man muss ganz klar sagen: Es ist nicht so, dass “oben” das Fernsehen ist und “unten” Online. So sehen wir das nicht und das wäre definitiv die falsche Herangehensweise. Es sind andere Welten. Es gibt bestimmt Leute, die sich aus der YouTuber-Welt auch als Protagonist oder Host für Fernseh-Formate anbieten, es ist aber nicht Sinn der Sache. Wenn das passiert: super, überhaupt nichts dagegen, aber wir versuchen über funk ja auch ganz viele Sachen anders zu machen als im herkömmlichen Fernsehen. Nur weil jemand auf YouTube gut funktioniert, heißt das überhaupt nicht, dass er auch im Fernsehen funktioniert. Aber genauso ist das bei den Zielgruppen: Nur weil jemand bei den 14 bis 18 Jährigen super ankommt, kann es sein, dass er von allen, die über 20 sind, gehasst wird.
Man kann es ausprobieren, aber funk soll nicht ein Sprungbrett für das “richtige” Fernsehen sein.

Hängt das auch damit zusammen, dass das Fernsehen gerade ausstirbt und dafür digitale Marken wie YouTube und Netflix im Kommen sind?

So wie es momentan aussieht, vermutlich ja. Die Frage ist, wie lange man noch lineare Programme einschaltet, einfach weil sie da sind. Natürlich könnte ich mir von YouTube immer wieder gewisse Inhalte vorschlagen lassen, aber die Wahrheit ist, dass eine gewisse Generation, “30 plus”, nicht die Muse hat, so viel Zeit beim Suchen zu verbringen. Sachen, die man kennt und mag, sind viel einfacher im linearen Programm wieder zu finden - dann aber möglicherweise on demand, also viel mehr in Mediatheken, als das bisher der Fall war. Ich würde also nicht sagen, in fünf Jahren gibt es kein Fernsehen mehr. Aber tatsächlich verändert sich die Nutzung ganz massiv und die zeitunabhängige Nutzung ist glaube ich das, was momentan am Wichtigsten ist für die Leute.

"Bei YouTube muss ich in den ersten fünf Sekunden funktionieren"

“Denn wir wissen nicht, was wir tun” - so wirbt funk, das Content Netzwerk der ARD und des ZDF, für sich selbst und verweist so auf die quasi notwendige Zusammenarbeit mit bekannten YouTubern, um an das notwendige Know-How zu gelangen. Warum funktioniert das Internet denn so ganz anders, als das klassische Fernsehen?

Die Frage ist, welche Zielgruppe möchte man bespielen und wie funktionieren die Plattformen. Bei YouTube ist es kolossal wichtig, dass ich in den ersten fünf Sekunden funktioniere, weil sonst sind die Leute weg. Im normalen Fernsehen leistet man sich teilweise einen Vorspann von zwei Minuten, bei YouTube würde das keiner machen; die Leute spulen sonst einfach vor. Man muss also verstehen, wie funktionieren die Plattformen, wie schnell muss ich sein und ich muss mir auch darüber im Klaren sein, dass die meisten Leute das auf dem Smartphone anschauen - und nicht auf dem großen Bildschirm. Totalen sind da meistens keine guten Ideen, sondern Halbtotalen und Close-Ups als Form, um Leute abzubilden. Und natürlich ist es auch Teil des Spaßes, mit viel weniger Aufwand produzieren zu können. Wir können mehr Sachen für das gleiche Geld ausprobieren. Und vielleicht ist es auch eine Inspiration für die Kollegen im Fernsehen, mit anderem Equipment die Dinge ins Fernsehen zu bringen. Ich glaube, mittlerweile ist da der Unterschied auch nicht mehr so groß.

Als dem größten YouTuber Pewdiepie vor kurzem vorgeworfen wurde, er habe antisemitische Inhalte über seinen Kanal verbreitet, war die Kritik der klassischen Medien enorm, während er in dieser Zeit umso mehr Unterstützung von seinen Fans erhielt und seine Videos anschließend sogar noch einen Tick erfolgreicher wurden. Wie schätzen Sie diesen Fall ein?

Tatsächlich habe ich das Gefühl, momentan gibt es eine Tendenz, dass, je lauter man schreit, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt man und da liegt es natürlich in Zeiten von Trump und Co. relativ nah, da mitspielen zu wollen. Ich glaube nicht, dass es eine Lösung ist, möglich laut zu schreien, weil man muss sich auch darüber Gedanken machen: Wie kommt das bei den Leuten an und welche Konsequenzen hat das? Dass es für den Erfolg eines Kanals, eines Videos gut sein kann, kontrovers zu sein, das steht außer Frage. Die Diskussion um Homophobie in YouTube-Kanälen beispielsweise hat ja sehr deutlich gezeigt, dass zum Beispiel die deutsche YouTuber-Szene auch eine klare Position bezogen hat. Was ich auch wieder gut finde, weil man nicht das Gefühl hat, das ganze Online sei ein Wilder Westen und jeder kann sagen und machen, was er möchte - sie können es, ja! Aber die Frage ist, wo sind die Grenzen? Und die immer wieder zu diskutieren, finde ich eine grundsätzlich gute Idee.

 
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