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Indie-Game des Monats

Thimbleweed Park

Quelle: Terrible Toybox

Thimbleweed Park Titelbild

Das Retro-Point-and-Click Adventure Thimbleweed Park von Entwicklerlegende Ron Gilbert und Spieleschmiede Terrible Toybox ist unser Indie-Game des Monats Mai.

Erinnert sich noch jemand an die goldene Zeit der Point-and-Click Adventures in den neunziger Jahren? Als der Name der Softwareschmiede LucasArts auf der Spieleverpackung noch ein Garant dafür war, dass man bedenkenlos zugreifen konnte und Entwickler Ron Gilbert mit Titeln wie Monkey Island und Day Of The Tentacle Spiele-Klassiker für die Ewigkeit schuf?

Was, keinen blassen Schimmer? Das ist auch nicht allzu verwunderlich, denn das Ganze ist mittlerweile schon über 20 Jahre her und das ehemals glorreiche Adventure-Genre hat seine besten Zeiten längst hinter sich gelassen. So ist es um so erfreulicher, dass es sich das Entwicklerteam Terrible Toybox um Chefentwickler Ron Gilbert und Gary Winnick zur Aufgabe gemacht hat, die guten alten Zeiten mit dem Mystery-Adventure Thimbleweed Park per erfolgreicher Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter wieder aufleben zu lassen. Aber war früher wirklich alles besser?

Eine ganz normale Kleinstadt?

Thimbleweed Park ist eine amerikanische Kleinstadt, die ihre besten Tage bereits längst hinter sich hat. Das Setting katapultiert den Spieler zurück ins Jahr 1987 und das spürt man auch an allen Ecken und Enden. Bereits der Soundtrack versprüht das Flair einer klassischen 80ies Fernsehserie und schon bei der zweiten Spielesession erwischt man sich dabei, wie man die Titelmelodie leise vor sich hin summt. Im Laufe des Spiels stößt man auch immer wieder auf unterschiedliche Gegenstände wie Ghettoblaster, überdimensionierte Mobiltelefone und Spielautomaten, die mit grellen Neonfarben locken und an längst vergangene Tage erinnern.

Hightech Forensik
Hightech Forensik anno 1987, Quelle: Terrible Toybox

Die Kleinstadtidylle wird unverhofft gestört, als die Leiche eines Unbekannten am Fluss gefunden wird. Um deren Identität herauszufinden und den Mord aufzuklären, werden die Agenten Angela Rey und Antonio Reyes auf den Fall angesetzt. Allerdings muss das Agentenduo im Laufe des Spiels feststellen, dass es sich bei dem Mord nur um die Spitze des Eisberges handelt und in Thimbleweed Park weitaus finstere Mächte am Werk sind, als es zunächst den Anschein hat.

Was zunächst wie der Beginn eines düsteren Thrillers anmutet, unterwandert Mastermind Ron Gilbert den ernsten Ton immer wieder mit humoristischen Versatzstücken, die sich durch das gesamte Spieldesign ziehen und maßgeblich den Ton bestimmen. So trifft man immer wieder auf abgedrehte Charaktere, wie zwei Klemptnerbrüder im Taubenkostüm, die eigentlich Schwestern sind, aber ihren Vater nicht enttäuschen wollten. Oder aber auch einen fluchenden Clown, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, in seiner täglichen Abendshow im Zirkus möglichst viele Randgruppen auf einmal zu beleidigen. Auch die immer wieder streitenden FBI-Agenten Rey und Reyes stellen eine augenzwinkernde Hommage an das berühmte Agentenduo Dana Scully und Fox Mulder der Erfolgsserie Akte X dar.

Knallharte Investigation
Knallharte Investigation mit dem Agentenduo Rey und Reyes, Quelle: Terrible Toybox

Auf den Pixel gebracht

Thimbleweed Park ist Fleisch gewordene Nostalgie und lebt diesen Sehnsuchtsgedanken mit seiner pixeligen Optik auch gnadenlos aus. Dabei erinnert es mit seinem Retrostil gewollt an die alten LucasArts Adventures und zeigt was noch möglich gewesen wäre, hätte die Spielindustrie nicht Ende der 90er Jahre zunehmend auf 3D-Technik gesetzt. So sind die dargestellten Szenen detaillierter, besser ausschattiert und besonders bei Landschaften, fällt eine vorher nicht dagewesene Tiefe auf, die den Szenen stellenweise Gemäldecharakter verleiht. Somit erscheint Thimbleweed Park zwar auf den ersten Blick wie ein Adventure aus der guten alten Zeit, die Grafik wirkt aber zeitgemäßer und in sich stimmiger.

"Ich verkaufe diese feinen Lederjacken"

In der heutigen Computerspiellandschaft sind klassische Point-And-Click Adventures immer mehr eine Seltenheit geworden. Da ist es umso erfreulicher, dass Ron Gilbert mit Thimbleweed Park zu alten Tugenden zurückgekehrt ist und die SCUMM-Engine (Script Creation Utility for Maniac Mansion) verwendet, die der Chefentwickler schon als Grundlage für seine vorherigen Spiele benutzt hatte. So zeichnet diese aus, dass dem Spieler über ein Bedienfeld am unteren Bildrand insgesamt neun unterschiedliche Kommandos wie „Öffne – Schließe – Drücke – Ziehe – Rede mit – etc.“ zur Verfügung stehen, mit denen er durch die Spielwelt navigieren und mit den unterschiedlichen Gegenständen und Figuren interagieren kann. Positiv sticht hervor, dass die Entwickler auch moderne Spielmechaniken, wie beispielsweise eine  Checkliste eingebaut haben, anhand dieser der Spieler sich immer über seine Spielfortschritt informieren und die an ihn gestellten Aufgaben dadurch gezielt abarbeiten kann. Im Laufe des Spiels steuert man fünf verschiedene Charaktere die sich sehr stark voneinander unterscheiden und immer wieder für absurde Situationen sorgen. Leider wirkt deren Beziehung untereinander jedoch immer wieder etwas erzwungen und lässt sich nur schwer nachvollziehen.

Schrille Charaktere wie Ransome der Clown
Ladies and Gentleman: Ransome the ****** Clown, Quelle: Terrible Toybox

Rätsel, Rätsel und nochmal Rätsel

Aber das spielerische Herzstück von Thimbleweed Park sind natürlich die Rätsel. Und da hat sich das Entwicklerteam von Terrible Toybox auch mächtig ins Zeug gelegt. Das gesamte Spiel über gilt es, abwechslungsreiche Aufgaben zu lösen und so die Geschichte des Spiels voranzutreiben. So muss man zum Beispiel einer übereifrigen Journalistin, die sich in der örtlichen Presseredaktion verschanzt hat, die einzige Stadtkarte entwenden, um in den nächsten Spielabschnitt zu gelangen. Ein anderes Mal muss man mit dem ewig schlechtgelaunte „Ransome The Clown“ beim Schaustellerkollegen zunächst seine exorbitanten Schulden begleichen, um so sein wertvolles Witzebuch also Pfand zurückzuerlangen mit dem man die anstehende Show bestehen kann. Die Herausforderungen sind dabei meistens logisch nachvollziehbar, allerdings können sie sich hinsichtlich Spielwitz und Kreativität nur schwer mit ihren großen Vorbildern messen, die einer ganzen Spielgeneration bis heute im Gedächtnis geblieben sind.

Was hängen bleibt

Und genau da liegt auch die größte Schwachstelle von Thimbleweed Park. Zu keiner Sekunde schafft es das Adventure, dem übermächtigen Schatten seiner geistigen Vorgänger zu entkommen. Das ganze Spiel ist als Hommage durchzogen von mal mehr, mal weniger auffallenden Querverweisen auf Ron Gilberts vorherige Spieltitel. Es macht zwar enorm Spaß, die einzelnen Running Gags und Easter Eggs zu entdecken und in Erinnerungen zu schwelgen. Dies führt aber auch dazu, dass man sich als Spieler immer wieder dabei erwischt automatisch Vergleiche zu den vorherigen Teilen heranzuziehen. Trotz alledem lohnt es sich, den rund zehnstündigen Ausflug nach Thimbleweed Park auf sich zu nehmen. Die Rätsel sind kurzweilig, der Spielwitz ist immer wieder für einen Lacher gut und die Story nimmt zunehmend im Spielverlauf an Fahrt auf. Auch Neulinge ohne spielhistorisches Hintergrundwissen können sich bedenkenlos auf das Abenteuer einlassen und mit den skurrilen Charakteren von Ron Gilbert in Erstkontakt treten. Wer sich aber schon etwas im LucasArts Universum auskennt, wird die Rückkehr ins Jahr 1987 definitiv noch einmal mehr auskosten können, nur eben auch unter gewissen Vorbehalte. Die Gretchenfrage, ob jetzt früher alles besser war, lässt sich somit mit einem definitiven Jein beantworten.

Die getestetete Version wurde auf dem Computer gespielt. Thimbleweed Park ist auf der Xbox One, Playstation 4, Steam und GOG für 20€ erhältlich.

 

 

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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