Fraktus - Millenium Edition [Staatsakt]
Platte des Monats November 2012
Eine Popmission
In einer Baustellenszenerie bedienen die vier jungen Männer für ihre Zeit bizarr anmutende Instrumente. Soundtüftler Bernd Wand blickt starr gerade aus, schlägt gegen ein Stück Blech. Thorsten Bage steht völlig versunken am Keyboard. Und Dirk Schubert ruft den Zuschauern von "Formel 1" sein "Oh-oh-oheeoh" entgegen. Nicht erst ihre Uniformen machen klar: Diese Band hat eine Mission. Sie wollen Maschinen einsetzen um ihre Botschaft zu verbreiten. Damit ergeben sich völlig neue Soundmöglichkeiten, und gleichzeitig reflektieren Fraktus damit nicht nur die modernen Produktionsverhältnisse, sondern auch die zwangsläufige Technizität der Gesellschaft, die sich daraus ergibt. Ein Moment, der wohl die deutsche und internationale Musiklandschaft für immer verändert hat. Fraktus haben sich jetzt nach fast 30-jähriger Bühnenabstinenz mit "Millenium Edition" zurückgemeldet. Anscheinend haben sie ihre Misssion noch nicht zu Ende gebracht. Es ist an der Zeit, die turbulente Geschichte der Band noch einmal zu erzählen.
Eine (fast) vergessene Legende
Fraktus - entstanden aus der 1978 in Brunsbüttel gegründeten Band "Freakazzé" - gelten als "Von Krautrock-über-NDW-zu-Techno"-Pioniere der ersten Stunde. Besonders eindrucksvoll waren die selbstgebauten Instrumente des Gründungsmitglieds Bernd Wand. Seine Erfindungen wie die "computergesteuerte Rhytmuseinheit" - bekannt als Beater - und der Einsatz von Samplings waren bahnbrechend für die damalige Zeit. Nach dem Einstieg von Thorsten Bage startete die Band, die nun Fraktus heißt, richtig durch. 1980 wurde die erste LP "7353=057" über das Indielabel ZickZack veröffentlicht. Das klang noch äußerst rumplig und experimentell. Es folgt das zweite Album "Tut Ench Amour": die experimentellen Elemente sind hier sehr prägnant formuliert, was den enormen Einfluss der Platte begründet. Besonders Technokünstler wie beispielsweise Westbam bedienten sich teilweise schamlos bei Fraktus (man vergleiche nur die Songs "Supergau" und "Sonic Empire"). 1982 schlossen sich die bis dahin kompromisslosen Experimentalkünstler dem Majorlabel Ariola an. Aus dieser Periode stammt der mittlerweile legendäre "Formel 1"-Auftritt. Für manche Fans der ersten Stunde zwar schon ein Anbiedern an den damals aufkommenden Neue Deutsche Welle Trend, für Fraktus eine Möglichkeit ihre musikalische Vision einem größeren Publikum zu vermitteln. Leider sollte es sich beim nächsten Album "Automate" schon um den Schlusspunkt der ersten Fraktus Ära handeln. Während der Produktion begann es innerhalb des Bandgefüges bedenklich an zu knirschen. Ariola setzte externe Produzenten ein, weswegen Automate um einiges glatter wirkte als die vorigen Veröffentlichungen. Auch Fraktus konnten sich mit dem Ergebnis nicht anfreunden. Als schließlich der Hamburger Klub "Turbine" bei einem Fraktus-Gig bis auf die Grundmauern abbrennt, beschließt die Band sich zu trennen. Fraktus verschwindet für 30 Jahre. Die Bandmitglieder versuchen sich an mehr oder weniger bürgerlichen Existenzen. Wand als Optiker, Schubert als Internetcafebesitzer und Bage als Stimmungsmusikproduzent auf Ibiza.
Popgeschichte für die Zuspätgeborenen ?
"Millenium Edition" ist ein Reissue, zusammengetellt aus den Veröffentlichung der frühen 80er Jahre. Ist das Kritikerlob für das Album da überhaupt veröffentlicht? Die knallharten Darwinisten unter den Musikkritikern haben die Verdienste von Fraktus schon längst langlebigeren Formationen die Orden dafür an die Brust geheftet. Kraftwerk, DAF und Konsorten haben Druchhaltevermögen bewiesen, während Frakus im Untergrund verglühte. Haben sich diese Gruppen nicht einfach deswegen durchgesetzt, weil sie langfristig die besseren Ideen hatten?
In diesem Fall handelt es sich aber keineswegs um eine romantische Verklärung irgendeines Untergrundprojekts. Fraktus haben sich nochmal zusammengesetzt und allen Songs eine Politur verpasst. Dabei wurde aber behutsam restauriert und vor allem der charakteristische Fraktus-Sound beibehalten. Bage und Wand haben es verstanden Fraktus in das neue Jahrtausend zu überführen. Da die Fraktus-Platten der 80er teilweise gar nicht mehr erhältlich sind, ist diese Veröffentlichung also tatsächlich aller Ehren wert. Nicht zuletzt die lyrische Tiefe ist es, die Fraktus nach wie vor aktuell wirken lassen.
Liebeskranke Menschen und Rechner fürchten den Supergau
"Oh-oh-oheeoh
...
Oh-oh-oheeoh
...
Affe sucht Liebe,
Affe sucht Halt,
Affe sucht Wärme,
Sonst wird Affe kalt..."
Die Fraktus Hymne "Affe sucht Liebe" drückt tiefste Einsamkeit des Individuums aus. Oh-oh-oheeoh ist hier mehr als eine triosche Wortmalerei, sondern steht ganz für sich. Es ist ein unartikulierter Schrei in einer Welt, die ihre Zeichensysteme schon lange durchstandardisiert hat... Außerdem ... und überhaupt ...
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- Halt Stopp! Jetzt spricht die Realität!
Keine erfunden Fraktus-"Facts" mehr. Zugegeben, es fällt einigermaßen schwer, das Fraktus-Spiel nicht mitzumachen. Aber um ein wenig Seriösität zu wahren muss ich natürlich zugeben: Fraktus existieren nicht. Es gibt auch keinen Fraktus-Dokumentarfilm, sondern es handelt sich um eine Mockumentary. Durchaus überzeugend hat das Komiker/ Musiker/ mittlerweile-Autoren und Kulturimpressario-Trio Studio Braun Fraktus als fiktive Band in die Medienwelt eingeführt, um damit einen ziemlich lustigen Kinofilm zu promoten und die Kenner zum Grinsen zu bringen. Einfach um mal zu schauen, wer ihnen die Geschichte mit den "Pionieren des Techno" tatsächlich abkauft.
"Mediencoup"
...wäre also das richtige Wort, um das Projekt Fraktus zu bezeichnen. Die Herren Schamoni, Strunk und Braun sezieren mit Fraktus das Phänomen "nerdiges Insiderwissen" und parodieren die tatsächlichen Pioniere aus dem Krautrock, beziehungsweise deutschen Elektronikbereich. Bernd Wand hat zum Beispiel eine gewisse Ähnlichkeit mit Holger Hiller von Palais Schaumburg, und das roboterhafte Auftreten der Band in "Affe sucht Liebe" erinnert tatsächlich an Acts wie Kraftwerk. Dass "Dickie", "Thorsten" und "Bernd" entweder nicht sehr helle, ziemliche Käuze, oder aber beides sind, könnte man auch als leise Kritik an einer allzu überschwänglichen Heldenverehrung deuten. Wie auch immer: "Millenium Edition" ist ein ziemlich lustiges, weil krudes Elektro-Pop Werk. "Computerliebe" geht einem beispielsweise wirklich ans Herz. Würden alte Commodore-Computer wirklich an Einsamkeit leiden - hiermit wäre ihnen ein angemessenes Denkmal gesetzt!
Protestmusik in der lustigsten aller Welten
In der besten aller Welten hätte es Frakus natürlich doch gegeben. Denn, Quatsch oder nicht, irgendwie ist Studio Braun da eine ziemlich überzeugende Alternativrealität gelungen. Wäre doch super, wenn DJ-Ötzi sich bei dem "Unterhaltungsmusik"-Produzenten Thorsten Bage bedient hätte und der ehemals so progressive Dickie Schubert jetzt ein Internetcafé betreibt. Alles ein bisschen eingeebnet, aber dafür lustiger. Was sollen wir denn auch mit dieser Poparistokratie voller Genies und Geheimtipps? Die Fraktus-Welt wäre entschieden demokratischer!
"Millenium Edition" von Fraktus ist am 9.November auf Staatsakt erschienen.