Home > Politik > 10 Jahre Guantanamo

10 Jahre Guantanamo

Zehn Jahre Guantanamo, das heißt zehn Jahre Foltervorwürfe, zehn Jahre auf beiden Seiten erbittert geführte Debatten um die Schließung und vor allem: zehn Jahre internationale Kritik an Menschenrechtsverletzungen durch die USA. Zeit, einmal zu resümieren. Ein Skandal waren sie, diese Bilder, die um die Welt gingen. Die Rede ist von den ersten Aufnahmen aus dem Gefangenenlager in Abu Ghraib – zu sehen waren mit einer schwarzen Kutte verhüllte Häftlinge, von einer Wand hängend. Damit wurde eine Debatte angestoßen über ähnliche Lager - das bekannteste davon dürfte das Lager in Guantanamo sein.

Diese Bilder hatten weitreichende Folgen. Hatte die Welt nach dem 11. September noch Mitgefühl für die USA und Verständnis für deren Afghanistan-Einsatz, drohte die Stimmung nun zu kippen. Das Opfer der Terroranschläge, der Vorkämpfer für Demokratie und Menschenrechte, stand nun im Verdacht, es selbst mit letzteren nicht allzu genau zu nehmen.

Gerade in der islamischen Welt schlug die anfangs noch ambivalente öffentliche Meinung, die durchaus Mitleid mit den Opfern des 11. September beinhaltete, nun um. Der international umstrittene bis ausdrücklich verurteilte Irak-Krieg tat sein übriges.

Was bei den westlichen Verbündeten der USA  nun geschah ist beispiellos in der Geschichte der Nato – in nahezu jedem Land kam eine Debatte über die Rechtmäßigkeit von Folter auf, die zwar nicht immer zu einer einhelligen Verurteilung führte, die aber in fast allen Fällen die Vorgänge in Guantanamo verurteilte. So stimmte das EU Parlament 2006 für einen Antrag, der die USA dazu drängte, Guantanamo zu schließen.

Die Organisation Amerikanische Staaten, der die USA angehören, kritisierte das Camp. Darüber hinaus übten zahllose NGOs Kritik und forderten eine Schließung, darunter Amnesty International und Human Rights Watch. Verschiedene Politiker, unter ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel, sprachen sich ebenfalls für eine Schließung aus.

Die Bush-Administration aber hielt fest an dem umstrittenen Lager. Wichtig seien die dort gewonnen Erkenntnisse, gefährlich die festgehaltenen Terroristen, so der Tenor. Dabei ist es umstritten, inwiefern Gefangene wirklich an terroristischen Aktivitäten beteiligt waren. Grundsätzlich lässt sich die Kritik an folgenden Punkten festmachen:

1) Die Bush-Administration hat die Checks and Balances der amerikanischen Politik umgangen

Checks and Balances, so nennt man das System der gegenseitigen Kontrolle der Institutionen in den USA, das dort viel stärker ausgeprägt ist als in Deutschland. Jeder Zweig des Staates, also Legislative (ergo das Parlament), Exekutive (ergo die Regierung) und Judikative (ergo die Gerichte) sollen unabhängig voneinander agieren und darauf achten, dass keine der Seiten zu mächtig wird. Darum ist etwa die Fraktionsdisziplin in den USA weniger stark ausgeprägt als hierzulande, das Parlament begreift sich oft als unabhängiges Organ und nicht als Mehrheitsbeschaffer für die Regierung.

Dann aber kam der 11. September, und die Nation war schockiert. Schnelles Handeln wurde gefordert. Dem kam der damalige Präsident George W. Bush mit seinem War on Terrorism nach. Nur drei Tage später verabschiedete der Kongress eine Autorisierung zur Anwendung militärischer Gewalt, die einer Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt gegen "Nationen, Organisationen und Personen" entsprach – quasi bedingsungslos und sehr umfassend.

Damit hatte die Regierung freie Hand, ohne einer Kontrolle durch das Parlament.

Als nächstes beauftragte Bush das Verteidigungsministerium, geeignete Orte außerhalb der USA zu finden, um Gefangene festzuhalten. Dadurch sollte verhindert werden, dass die Gefangenen Zugang zu Gerichten haben, worduch auch die Judikative außen vor blieb. Verurteilungen fanden lediglich durch Militärkommissionen statt, die Regierungsorganen unterstehen und damit nicht unparteiisch sind.

Das mag vielleicht banal klingen, aber durch diese und ähnliche Maßnahmen wurde ein System geschaffen, dass abseits der amerikanischen Demokratie funktioniert. Eine Regierung, die quasi ohne jegliche Kontrolle schaltet und waltet, umgeht grundlegende demokratische Regeln und muss sich Autoritarismusvorwürfe anhören.

Selbst als der Supreme Court, also der Oberste Gerichtshof der USA, in verschiedenen Gerichtsverfahren das Vorgehen der Bush-Administration kritisierte oder einzelne Punkte für nichtig erklärte, verzögerte die Regierung die Umsetzung der Beschlüsse und versuchte, so weit wie möglich weiter vorzugehen wie bisher.

2) Guantanamo widerspricht sämtlichen internationalen Regeln und Gepflogenheiten

Eines der Gundprinzipien Guantanamos besteht darin, die Gefangen nicht als Kriegsgefangene, sondern als „unlawful combattants“, also als irreguläre Kämpfer, zu behandeln. Dadurch fallen sie nach Ansicht der Regierung nicht unter die Genfer Konventionen, die unter anderem folgendes verbieten:

  • a. Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung;
  • b. Gefangennahme von Geiseln;
  • c. Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung;
  • d. Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordnungsmäßig bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet.

Berichten von Menschenrechtsorganisationen und ehemaligen Häftlingen zufolge wurden tatsächlich Folter und Entwürdigungen im Verhör systematisch eingesetzt, darüber hinaus fehlt die Möglichkeit eines Gerichtsprozesses.

Ein weiterer Grund weshalb internationale Regeln nicht greifen können ist die Lage Guantanamos – die Bucht wurde nach Ansicht der USA von Kuba gepachtet, nach Ansicht der kubanischen Regierung ist dies aber nicht rechtmäßig. Daraus ergibt sich eine besonders problematische Lage – amerikanische Institutionen können nicht ohne eine Erlaubnis des Militärs Untersuchungen durchführen, und internationale Beobachter wurden nicht zugelassen.

Entsprechend wurde das Lager von verschiedensten internationalen Organisationen verurteilt, unter anderem der Organisation Amerikanischer Staaten, der UN, der EU sowie einzelner Politikern und Nationen.

3) Folter egal welcher Art ist einer Demokratie nicht würdig

Eine Grundsatzdebatte, die durch die Enthüllungen angestoßen wurde, behandelte die angenommene Notwendigkeit der Folter, um Terroranschläge zu verhindern. Von Seiten der Regierung wurde wiederholt versichert, dass mit Aussagen, die in Guantanamo aufgezeichnet wurden, Menschenleben gerettet werden könnten.

Außerdem sei keine Folter verübt worden. Die zugegebenen Maßnahmen umfassten etwa simuliertes Ertrinken, das sogenannte Waterboarding, bei dem Häftlingen mit einem nassen Schwamm Wasser in die Atemwege eingeflößt wird, bis sie den Eindruck haben, zu ertrinken. Außerdem sei es zu Maßnahmen wie Isolation, extremen Lichtbedingungen, lauter Musik oder Schlafentzug gekommen – alles Maßnahmen, die keine körperlichen Schäden verursachten.

Das Problem hierbei: Es entstehen vielleicht keine körperlichen Schäden, wohl aber extreme seelische Schäden, die auch körperliche Auswirkungen haben können. Wo kann man die Grenze ziehen, wenn jemand durch Schlafentzug so sehr entkräftet wird, dass er körperlich Schaden nimmt? Oder wenn jemand beim simulierten Ertrinken einen Anfall kriegt?

Dazu kamen Berichte vor allem aus Abu Ghraib, einem US-Gefängnis im Irak. Dort sei es durchaus zu körperlichen Schäden gekommen, zu konkreter Gewaltanwendung wie Schlägen und Elektroschocks, und außerdem zu Demütigungen und sexuellen Übergriffen. Ähnliche Vorwürfe, wenn auch weniger gut dokumentiert, gab es aus Guantanamo.

Außerdem soll es hunderte von Suizidversuchen und mehrere erfolgreiche Suizide gegeben haben.

Das Internationale Rote Kreuz (IRK) kritisierte der New York Times zufolge bereits 2003 die Zustände; da das IRK aber unter Schweigepflicht stand, kritisierte es diese nicht öffentlich, sondern vertraulich.

Nichts desto trotz hielt die Regierung auch offiziell lange an den Verhörmethoden fest, und es wird vermutet, dass sie auch nach den offiziellen Distanzierungen die Methoden im Geheimen duldete.

4) Die Gefangenen sind oft unschuldig oder unwichtig

Man kann ja Verhörmethoden im allgemeinen kritisieren; aber selbst, wenn man solche Methoden zum Schutz von Menschenleben akzeptiert, kann man kritisieren, dass viele Häftlinge kaum eine Gefahr darstellen dürften.

So wurde etwa ein Kopfgeld ausgesetzt auf festgenommene Kämpfer. Das aber führte dazu, dass verschiedene Gruppen zahllose Menschen festnahmen und an US-Einheiten weitergaben, mit fehlenden oder ungenauen Angaben, wieso man diese Menschen festgenommen habe. Ohne ein vernünftiges Gerichtsverfahren war dann kaum nachzuweisen, wieso diese Menschen schuldig seien – gefangen gehalten wurden sie trotzdem, teilweise jahrelang.

Wenn sie nun etwas gestanden haben, dann entstanden diese Geständnisse oft unter Folter, ihr Wahrheitsgehalt darf also angezweifelt werden.

Auch wurden wohl mehrere Kinder und Jugendliche in Guantanamo festgehalten. Deren Gefährlichkeit darf bezweifelt werdem - von dem grundsätzlichen Problem einmal abgesehen, Minderjährige in einem Militärgefängnis ohne jegliche Betreuung einzusperren.

Sogar der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat Berichten der Washington Post zufolge einen Teil der Gefangenen als „low-level enemy combatants“, also als unwichtig, bezeichnet. Eine konkrete Gefahr, die durch sie ausgehe, scheint also nicht vorgelegen zu haben.

Obama will das Lager schließen

Unter anderem aus diesen Gründen hat Präsident Obama angekündigt, das Lager schließen zu wollen. Dabei aber hat er die weitreichenden Befugnisse der Bush-Administration nur teilweise abgebaut; Prinzipiell behält die Regierung sich weiterhin alle Rechte vor, ohne eine nennenswerte parlamentarische Kontrolle. Die Befugnisse umfassen aber nur die Festnahme und Behandlung von Verdächtigen; die Freilassung von Gefangenen wird vom Kongress blockiert.

Gerichtsverfahren sind teilweise angelaufen, aber noch selten, da eine Freilassung nicht unwahrscheinlich ist. In diesem Fall aber müssten sie irgendwo aufgenommen werden. Da der Kongress eine Verlegung auf amerikanischen Boden blockiert, die Herkunftsländer die Gefangenen meist nicht aufnehmen wollen oder eine Identifizierung der Herkunftsländer nicht möglich ist und Drittländer bisher wenig Unterstützung angeboten haben, bleiben die Gefangen vorerst in Guantanamo.

Da nun die nächsten Wahlen anrücken, wird Präsident Obama vorraussichtlich seine Bemühungen verstärken, Guantanamo zu schließen, um seine Wählerschaft zu mobilisieren. Solange aber die Aufnahme der Gefangenen nicht geklärt ist und der Kongress jeden Versuch, sie in die USA zu verlagern, blockiert, ist das unwahrscheinlich. Und was man in dem Kontext nicht vergessen darf: Guantanamo ist nicht der einzige Fleck auf Washingtons Weste. Gefängnisse wie Abu Ghraib und Bagram wird es weiterhin geben, ebenso wie die Gesetze und Praktiken, die auch unter Obama nur teilweise abgeschafft wurden und die all dies überhaupt ermöglicht haben.

Damit die USA wieder ihr Image vom Verteidiger der Menschenrechte zurückgewinnen können, muss also noch sehr viel passieren. Bis dahin sollten sie versuchen, grundlegende demokratische Prinzipien wiederzubeleben.

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

mehr
M94.5 präsentiert
Donnerstag, 18. Oktober, 18 Uhr
M218 LMU Hauptgebäude
 
Munich Rocks!
Donnerstag, 18. Oktober 2018
 
Freitag, Samstag: 19./20. Oktober
 
Neuhauser Musiknacht
Samstag, 27. Oktober 2018
M94.5 Bühne @ Freiheizhalle

 

mehr
M94.5 auf Youtube

Der M94.5-Newsletter
Du willst regelmäßig News von M94.5? Dann musst nur deine E-Mail-Adresse angeben! Keine Angst, wir spamen deinen Posteingang auch nicht voll.
 
 
Die afk Familie