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Interview mit Kabarettist

5 Fragen an Serdar Somuncu

Autor(en): Minh Thu Tran , Christian Orth am Mittwoch, 20. Mai 2015
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Quelle: Serdar Somuncu/NICKOLAUS- PR & Kommunikation

Somuncu

Der Kabarettist Serdar Somuncu eckt gerne an. Die Botschaft seines Programms „H2 Universe – die Machtergreifung“: Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung.

Hier das M94.5-Interview zum Nachlesen.

M94.5: "Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung" - Wieso haben Sie das als ihr Motto gewählt?

Serdar Somuncu: Das ist daraus entstanden, dass ich gesagt hab, dass ich nicht mehr als Ausländer oder Türke oder Minderheit auf der Bühne stehen und mich darüber beklagen, dass wir immer diskriminiert werden, sondern wir selbst auch mal diskriminieren. Und daraus ist auch die Idee für das Programm entstanden.

M94.5: Ihr meist diskutiertes Projekt ist ja das Stück, bei dem Sie Passagen aus „Mein Kampf“ vorgelesen haben. Wie kamen Sie denn auf die Idee, sich in dieser Weise mit „Mein Kampf“ zu beschäftigen? Was war die Motivation dahinter?

Serdar Somuncu: Das war auch relativ spontan. Das hat mir jemand vorgeschlagen, weil es die Lesung schon gab – von Helmut Qualtinger aus den 70er Jahren. Aber ich hab das auch nicht als Türke gemacht, sondern als Schauspieler, weil zu der Zeit, Anfang/Mitte der 90er dieses Thema „Rechtsradikalismus“ in Deutschland sehr dringend besprochen werden musste.

Es gab Brandanschläge auf türkische Wohnungen in Solingen und Mölln, aber auch im Osten Deutschlands immer wieder Übergriffe auf Ausländer. Und die Leute, die dafür zuständig gewesen wären, das auf einer künstlerischen Ebene zu besprechen, haben allesamt nichts gemacht. Kein einziger Kabarettist, kein Schauspieler (...) Das fand ich schlecht und deshalb hab ich gesagt: Mir ist das egal, ob ich nen Auftrag kriege oder nicht – ich zieh jetzt alleine los und mach das erst mal.

Daraus hat sich diese Erfolgsgeschichte ergeben. Ich war dann sechs Jahre auf Tour, in sehr vielen Städten vor unterschiedlichen Zuschauern. Es hat sich am Ende herausgestellt, dass es einen großen Bedarf an einer Auseinandersetzung damit gab. Ebenso wie an der Fragestellung: Kann man durch Aufklärung und durch der Auseinandersetzung mit Inhalten auch Leute erreichen, die auf der anderen Seite des politischen Spektrums stehen?

M94.5: Was waren die Reaktionen darauf? Haben Sie das Gefühl, ihr Programm hat etwas gebracht, was bewegt?

Serdar Somuncu: Also es hat definitiv was gebracht. Ob ich jetzt der maßgebliche Punkt dafür bin, dass heute anders darüber geredet wird als noch vor ein paar Jahren –das weiß ich nicht. Aber als ich angefangen hab, war die große Frage: Darf man über Hitler lachen? Und mittlerweile hat Helge Schneider nen Film über Hitler gedreht, es gab Comics, in denen Hitler verarscht wurde, es gab das Buch „Ich bin wieder da“, das wochenlang in den Beststellerlisten zu finden war (…).

Ich glaube, das hat viel damit zu tun, dass ich das auch gemacht habe und das ein bisschen vorbereitet hab, dass ich diesen Kampf sowohl mit dem Inhalt des Buchs, aber auch mit den Leuten, die diesen Inhalt vor den Deutschen verstecken wollen, geführt habe. Das Ergebnis ist eben, dass Ende dieses Jahres die bayerische Landesregierung die Urheberrechte freigeben muss und viele Leute sagen: Was soll denn daran jetzt noch schlimm sein? Was wollt ihr eigentlich damit erreichen, dass ihr das Buch noch verbietet?

M94.5: Nun wird ja nächstes Jahr eine kommentierte Ausgabe von Mein Kampf auf den Markt gebracht. Geht ihrer Meinung nach eine Gefahr von der Veröffentlichung von Mein Kampf aus?

Serdar: Die Leute, die das meinen, verschweigen, dass das Buch existiert, dass das Buch erhältlich ist und dass man überall – auch im Ausland – das Buch bereits lesen kann. Warum, wenn es das Buch schon gibt, im Internet, soll es dann noch zusätzlich verboten werden? Man kann es eh nicht verhindern, im Ausland wird das Buch legal verbreitet, man kann es auch aus dem Ausland nach Deutschland legal bestellen. Also scheint es ein Pro-Forma-Verbot zu sein. Und Pro-Forma heißt: Irgendjemand will das Ansehen der Deutschen im Ausland schützen.

Ich glaube: Das Ansehen der Deutschen schützt man am besten, in dem man die Deutschen sich selbst überlässt und herausfindet, ob sie sich mit so einer Sache auseinandersetzen können, ohne anfällig dafür zu sein. Ich glaube nicht, dass wir das in Deutschland sind (…). Wenn man rechtsradikale Propaganda braucht und sie finden will, findet man sie überall im Netz, frei erhältlich. Und es gibt außerdem noch viel schlimmere Dinge, die in der Fassung wie „Mein Kampf“ geschrieben wurde, viel leichter zugänglich und verständlich sind, für Leute, die dafür anfällig sind. Also ich würde das Buch auf alle Fälle freigeben, ohne Angst davor zu haben, dass irgendjemand das falsch verstehen kann.

M94.5: Vielleicht noch ein kurzes Statement zu aktuellen rechten Bewegungen wie dem "besorgten Bürgertum" oder PEGIDA? Wie geht man mit ihnen um?

Serdar Somuncu: Indem man sie kennt und indem man sie entlarvt. Kennen heißt: Man sollte wissen, was in den Positionspapieren der Pegida steht und dann kann man dagegen argumentieren. Ich habe das Positionspapier gelesen. Das ist sehr raffiniert geschrieben. Da steht z.B. drin: "Wir sind für eine bessere Unterbringung von Flüchtlingen". Da ist ja erst einmal nichts dagegen einzuwenden, oder?

Aber ich glaube nicht, dass Leute in Dresden ein Problem mit Flüchtlingen haben. Und das in einem Bundesland, in dem 1,2 Prozent Ausländer leben, die Angst vor Überfremdung etwas paranoid ist. Und wenn man das in Zusammenhang bringt, dann weiß man, dass da etwas übersteigert wird, um Angst zu schüren, auch in anderen Teilen der Bevölkerung (…) Insgesamt ist die reale Zahl 7,8 Prozent Ausländer in ganz Deutschland. Und wer dann noch von Überfremdung spricht und sagt, dass wir Angst haben müssten, dass diese Menschen in unsere Sozialsysteme eindringen, der lügt schlicht und einfach.

Das Interview führte Politikredakteurin Minh Thu Tran.

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