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Die schmerzlichen Erfahrungen ehemaliger Heimkinder

„Man wusste, dass es Schmerzen gab“

Autor(en): Mariel Müller am Dienstag, 15. Januar 2013
Quelle: Wikimedia Commons

Ein evangelisches Kinder- und Jugendheim in Frankfurt am Main, 1957

In den 50er und 60er Jahren wurden Heimkinder missbraucht und zur Arbeit gezwungen. Jetzt gibt es Entschädigungsleistungen aus einem Hilfsfonds - aber nicht für alle.
 

In den 50er und 60er Jahren wurden Heimkinder missbraucht und zur Arbeit gezwungen. Jetzt gibt es Entschädigungsleistungen aus einem Hilfsfonds - aber nicht für alle.

Eine glückliche Kindheit im Kreis der Familie ist keine Selbstverständlichkeit. Harte Arbeit, Demütigungen und Misshandlungen gehörten zum Alltag ehemaliger Heimkinder in der Nachkriegszeit. 50 Jahre später sind die Betroffenen immer noch traumatisiert und leiden unter psychischen Erkrankungen. Jetzt sollen sie dafür Entschädigung vom Staat erhalten. Aus den beiden Fonds „Heimerziehung in der DDR“ und "Heimerziehung West"  können all jene Hilfe erhalten, „die in den Jahren 1949 bis 1975 in der DDR [beziehungsweise in der BRD, Anm. d. Red.] in einer vollstationären Einrichtung zum Zwecke der öffentlichen Erziehung untergebracht waren, eine Minderung von Rentenansprüchen aufgrund nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge erlitten haben und/oder bei denen ein Folgeschaden und besonderer Hilfebedarf aufgrund von Schädigungen durch die Heimerziehung vorliegt“ (Quelle: Fonds Heimerziehung). 

Eines dieser ehemaligen Heimkinder ist die 63-jährige Sonja Djurovic. Als junges Mädchen wurde sie gegen ihren Willen in einem evangelischen Heim in Franken untergebracht, in dem sie mehr als vier Jahre lang leben und arbeiten musste.

„Man hat mit den Kindern gemacht, was man wollte“

Gewalt ist ein zentrales und immer wiederkehrendes Element in ihrer Geschichte, die sie mit zahllosen anderen ehemaligen Heimkindern teilt. Mit gerade einmal 14 Jahren erfuhr Sonja Djurovic Gewalt, Missbrauch und staatliche Willkür am eigenen Leib: Als der Freund ihrer Mutter sie sexuell missbrauchte, kam er vor Gericht frei, während  Sonja als Lügnerin bezeichnet und in ein Erziehungsheim gesteckt wurde.
„Ich war halt Kind. Rechtlos sowieso. Warum sie mich letztendlich ins Heim geschickt haben, habe ich nie wirklich herausgefunden.“
Das Leben im Heim hat sie nachhaltig geprägt und unwiderruflich verändert. Das sei ein rechtsfreier Raum gewesen, erzählt sie. „Man hat mit den Kindern gemacht, was man wollte. Die waren wertlos, rechtlos.“ Gegen das Grundgesetz sei massiv verstoßen worden, unter anderem gegen Artikel 1, der die Unantastbarkeit der Würde jedes Einzelnen garantiert und Artikel 12, der die Zwangsarbeit verbietet.

Christian Koch, Anwalt eines ehemaligen Heimkinds, weiß aus Erzählungen seines Mandanten wie die alltägliche Gewalt im Heim aussah. „Man wusste, dass es Schmerzen gab, aber die Intensität und die Dauer der Schmerzen - darauf konnte man sich nicht verlassen. Das war rein ins Ermessen der Betreuer gestellt; das war reine Willkür.“

Ziel war es, Kinder und Jugendliche ‚brauchbar‘ zu machen

In der Nachkriegszeit der 1950er und 60er Jahre existierte noch ein anderes gesellschaftliches Verständnis von Kindererziehung. Stefan Rösler, Leiter der Anlauf-und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder in Bayern, erklärt den Sinn und Zweck der Heimdisziplinierung: „Es ging weniger um [die Bildung] einer eigenständigen, eigenverantwortlichen Persönlichkeit. Sondern darum, dass die Kinder und Jugendlichen funktioniert haben und dass sie sozusagen ‚brauchbar‘ wurden.“ Kinder und Jugendliche hatten oft keine Informationen, geschweige denn Kontrolle über essentielle Entscheidungen, die über sie getroffen wurden. So fanden Entscheidungen über die Unterbringung in ein Erziehungs- oder Pflegeheim sowie Verlegungen und Adoptionen über die Köpfe der Kinder hinweg statt. Die Erfahrung einer totalen Willkür ausgeliefert zu sein, teilte jedes dieser Kinder, so Rösler.

Eigentlich hatte sich Sonja Djurovic früher eine ganz andere Zukunft vorgestellt. Sie hätte gerne Abitur gemacht und studiert. Im Heim aber realisierte sie, dass das nur Wünsche bleiben sollten. „Es wurde mir alles verweigert, weil es im Heim keine Bildungschancen gab. Ich musste Schneiderin lernen, habe aber nie in dem Beruf gearbeitet. Für mich ist da eine ganze Welt zusammengebrochen.“

Viele Betroffene sind heute noch traumatisiert und körperlich oder psychisch krank. Umso wichtiger ist daher die Aufarbeitung des Erlittenen. Die Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder in Bayern soll dabei helfen. Hier können Betroffene sogenannte „Folgeschädenleistungen“ und Rentenausgleichszahlungen aus einem Fonds einfordern.

Schadenersatz nicht für Heimkinder mit Behinderung

Das will auch Christian Kochs Mandant, dem die Rentenausgleichszahlungen nicht gewährt werden sollen. Warum nicht?
Er war aufgrund seiner Behinderung in einem dafür vorgesehenem Pflegeheim untergebracht. Dort arbeitete er jahrelang als Gärtner. Anspruch auf das Geld aus dem Fonds haben aber nur ehemalige Heimkinder aus Erziehungsheimen. Sein Anwalt Christian Koch kann nicht nachvollziehen, „weshalb die Arbeitsleistung eines Menschen ohne Behinderung in einem Heim einen Schadenersatzanspruch auslöst, aber die Arbeitsleistung eines Menschen mit Behinderung nicht. Es gibt doch keinen erkennbaren Unterschied, ob Unkraut in einem Behindertenheim gerupft wird oder in einem Heim für Nichtbehinderte. Die Arbeitsleistung ist doch die gleiche.“

Er erhofft sich, dass das Gericht zugunsten seines Mandanten entscheidet und so auch andere Betroffene in einer ähnlichen Lage zum Handeln bewegt.
 

Sonja Djurovic wünscht sich für die Zukunft eine gründliche Aufarbeitung, die ernst gemeint ist. Besonders von Seiten der ehemaligen Täter, in ihrem Fall der Kirche. Zu viele Hoffnungen will sie sich aber dennoch nicht machen, da bei der Kirche eine konsequente Vertuschungs-und Verschleierungsmentalität herrsche.

 

 

 

 

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