#askMartin: Twitter Townhall im Literaturhaus
Martin Schulz beantwortet öffentlich Fragen via Twitter. Ist mehr Bürgernähe in Europa durch einen Wahlkampf in Social Media Netzwerken möglich?
Martin Schulz beantwortet öffentlich Fragen via Twitter. Ist mehr Bürgernähe in Europa durch einen Wahlkampf in Social Media Netzwerken möglich?
„Stell dir vor es ist Europawahl und keiner geht hin“. Solche und ähnliche Zitate kursieren immer häufiger im Europawahlkampf 2014. Es scheint, als verliert Europa immer mehr das Interesse an der Politik aus Brüssel. Nicht zuletzt die bestürzende Wahlbeteiligung von nur 43 % zur Europawahl 2009 bestätigen diesen Trend.
Dennoch gibt es in diesem Jahr eine bedeutende Neuerung. Die Wahl des Kommissionspräsidenten ist laut dem Vertrag von Lissabon nicht mehr nur Sache der Regierungen, sondern nun auch für die Wahlberechtigten direkt von Bedeutung. Erstmals sollen die Ergebnisse der Europawahl bei der Besetzung dieses Postens miteinbezogen werden.
Wie aber das Interesse der Europabürger schärfen für die Politik der Union? Die Parteien bei der Bundestagswahl im Herbst haben es vorgemacht. Die Verlagerung des Wahlkampfes in die sozialen Netze scheint der Trend der Zukunft zu sein.
Social Media als neue Kommunikation zwischen Politik und Wähler
Auch im Europawahlkampf sind Twitter und Facebook längst angekommen und zu einem bedeutenden Standbein für Wahlwerbung geworden. Zuletzt beim TV Duell am Donnerstag wurden die Zuschauer aufgefordert ihre Fragen via Twitter direkt an die Kandidaten zu stellen.
Spitzenkandidat Martin Schulz ließ sich heute wieder auf die Fragen der Twittergemeinde ein. Im sogenannten Twitter Townhall können einem Kandidaten Fragen und Kommentare direkt per passendem Hashtag gestellt werden, die dieser dann im besten Fall öffentlich beantwortet.
Im Münchner Literaturhaus beantwortete Martin Schulz heute eine Auswahl dieser Fragen, die ihm mit dem Hashtag #askMartin gestellt wurden. Ab 12 Uhr konnten User #askMartin Tweets auf Englisch verfassen und live beantworten lassen. 15 Journalisten waren im Literaturhaus zugelassen, der Rest musste die Pressekonferenz ab 12:30 Uhr im livestream auf spd.de oder pes.eu verfolgen.
Moderatorin Nana Brink stellte dem Kandidaten 25 Fragen, die beinahe alle Aspekte des Wahlkampfes abdeckten.
Im Falle seiner Wahl zum Kommissionspräsidenten sagt Schulz er wolle sich speziell auf die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und der Steueroasen konzentrieren. Schulz fordert außerdem ein legales Einwanderungsgesetz in Sachen Flüchtlingsproblematik im Mittelmeer und eine Aufarbeitung der Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen.
Schulz appellierte besonders an die Stärke eines vereinten Europas. Dahingehend richtet sich auch die Aussage „Nationalismus führt am Ende immer zu einem: zu Krieg“. Bemessen an den Kommentaren der Twittergemeinde ist das wohl der wichtigste Satz des Townhalls.
Auf den ersten Blick wirken diese Twitter Townhalls also ungemein praktisch. Die Bürger können direkt mit den Politikern in Kontakt treten und Inhalte austauschen. Wie im TV Duell als auch im heutigen Twitter Townhall zeigt sich also, dass diese Chance auch im Europawahlkampf gezielt genutzt wird.
Das wars schon mit #askMartin. Schnell, direkt und ohne Umschweife. So kommt Politik bei den Menschen an. Danke @MartinSchulz
— SPD für Europa (@SPDEuropa) May 19, 2014
Das twitterte die SPD für Europa selbstsicher nach Abschluss der Übertragung. Doch ist der Social Media Wahlkampf wirklich das Geheimrezept der Zukunft?
Manuela Nikui vom „Ersten Arbeitskreis Social Media B2B“ sieht das kritisch. Parteien seien vorsichtig, sich rein auf den Social Media Wahlkampf zu verlagern. Klar biete er den Parteien die Möglichkeit sich greifbarer und menschlicher zu präsentieren, man sei also mehr „Politiker zum Anfassen“.
Trotzdem muss man diese Möglichkeit auch richtig zu nutzen wissen. Der Schreibstil muss Zielgruppen gerecht angepasst werden, Bild- und Tonmaterial muss entsprechend erstellt werden und regelmäßig und verantwortungsbewusst gepflegt werden.
Besonders zum Thema Europa geben Social Media Netzwerke, so Nikui, den Parteien wieder die Chance, Bürger für das Thema Europa zu begeistern beziehungsweise wiederzubegeistern. Die viel kritisierte Abstraktheit der Europapolitik soll also durch die direkte Kommunikation im Wahlkampf wettgemacht werden.
Ohne Frage vergrößert sich die Reichweite der Informationen enorm. Besonders für den Europawahlkampf stehen dabei Themen wie interkulturelle Kommunikation und länderübergreifender Meinungsaustausch besonders im Mittelpunkt des Interesses.
Ungefilterte Kommunikation hat nicht nur Vorteile
Einzustellen haben sich die Parteien aber natürlich auch auf die Nachteile, die diese Partizipationsmöglichkeiten mit sich brächten. „Shitstorms, unkonkretes Feedback und unqualifizierte Beiträge sind die klaren Risiken, die diese Art der Kommunikation mit sich bringt“ so Nikui. Der Onlinedienst Twitter stellt außerdem nur 140 Zeichen zur Verfügung. Auch das kann zu Missverständnissen führen.
Ganz allgemein sieht Nikui Social Media Netzwerke jedoch als Chance für die Parteien im Wahlkampf, solange diese wüssten wie man mit den Netzwerken umzugehen hat.
Aber führt das nicht zu einer Machtposition von Twitter und Facebook, wenn diese im Wahlkampf eine so große Rolle spielen?
Manuela Nikui sieht keine Gefahr, dass Facebook und Twitter an sich den Wahlkampf beeinflussen können. Der Grund warum diese beiden Firmen im Wahlkampf so präsent sind ist, dass sie gegenwärtig einfach von vielen Menschen genutzt werden. Das könne in ein paar Jahren allerdings schon ganz anders aussehen, so Nikui, da sich die Landschaft der social media immer wieder verändere.
Eine der großen Fragen ist jedoch, inwiefern Social Media Netzwerke in Form von z.B. Online-Petitionen nach der Wahl die EU Politik beeinflussen werden.
In Bezug auf das Townhall mit Martin Schulz zeigen sich nach der Ausstrahlung verschiedene Reaktionen. Einige Tweets loben die Aktion, dennoch bleibt natürlich der Großteil der Fragen unbeantwortet. Wenn man nach dem #askMartin sucht, wird auch klar: Viele der "Fragen" kamen von SPD-nahen bzw. anderen europäischen Sozialdemokratischen Parteien oder Organisationen. Es bleibt also nicht unumstritten, wie sich der Wahlkampf in Social Media Netzwerken entwickeln wird.