Deutschlands Umgang mit der Flucht
„Wir schaffen das“ wird Eins!
Ein Jahr ist es her, dass Kanzlerin Merkel einen historischen Satz äußerte. Es lohnt zurückzublicken: Was passierte vor ihrer Äußerung und was geschah danach?
2014: Unachtsamkeit im Siegestaumel
Deutschland feiert seine vierte Weltmeisterschaft, während die Flüchtlingszahlen gegenüber dem Vorjahr erneut ansteigen: um 60%. Die Erstaufnahmestellen arbeiten teilweise bereits am Limit. Einzelne Politiker weisen darauf hin, dass Deutschland nicht ausreichend vorbereitet sei. In der Öffentlichkeit bleibt es aber ruhig. Die Wahlen in Griechenland und der Ukraine-Krieg bestimmen die Debatte.
Frühjahr 2015: Flucht rückt in den Fokus
2015 kommen immer noch jeden Monat mehr Flüchtlinge nach Deutschland. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kommt mit der Bearbeitung von Asylanträgen nicht nach: Die Gesuche stapeln sich. Das BAMF erhöht jetzt die Prognosen für Asylbewerber. Die Bundesländer halten sie für zu niedrig, denn die Kommunen versorgen bereits so viele Menschen, dass die Prognosen höher ausfallen müssten. Die Verantwortlichen nehmen die Situation also unterschiedlich wahr.
Im April sterben rund 400 Menschen im Mittelmeer. Dieses Unglück verschafft den Fliehenden Aufmerksamkeit in den Medien. Der Bund hilft den Ländern mittlerweile mit mehr Geld für die Unterbringung. Im Juni ist aber immer noch kein Krisenstab eingerichtet. Italien und Griechenland registrieren die Flüchtlinge nicht mehr gemäß Dublin-Abkommen – es sind zu viele. Sie reisen weiter, um in Deutschland einen Asylantrag zu stellen.
Sommer 2015: Die Ereignisse überschlagen sich
Der Sommer ist da, es wird hitzig. In Ungarn lässt Regierungschef Orban einen Zaun bauen, er will die Flüchtlinge aussperren. Auf der Balkanroute ziehen immer mehr Menschen gen Europa. In Heidenau attackieren Rechtsextreme eine geplante Flüchtlingsunterkunft und beschimpfen Angela Merkel bei ihrem Besuch vorort als Volksverräterin.
Deutschland setzt das Dublin-Verfahren offiziell aus: Syrer werden nicht in das EU-Land zurückgeschickt, in dem sie erstmals europäischen Boden betreten haben. In einem Kühllaster in Wien werden 71 Tote gefunden.
August 2015: Der Satz
Am 31. August sagt Kanzlerin Merkel in der Bundespressekonferenz die Worte, über die das ganze Land diskutiert hat: "Wir schaffen das, und wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden."
Was passierte nach Merkels „Wir schaffen das“?
Am Budapester Bahnhof sitzen tausende Flüchtlinge fest – nur von Freiwilligen versorgt. Sie dürfen nicht weiter und nicht zurück. Merkel entscheidet am 04. September, die Menschen aus Ungarn über Österreich einreisen zu lassen. Am Münchner Hauptbahnhof werden sie herzlich empfangen. Deutschland führt kurz darauf Grenzkontrollen ein. Das Schengen-Abkommen wird dadurch teilweise außer Kraft gesetzt.
Es dauert bis zum Frühjahr 2016, bis die monatlichen Flüchtlingszahlen wieder sinken. Die Balkanstaaten Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien beschließen, die Grenzen für Reisende ohne gültigen Reisepass oder Visa zu schließen. Die Balkanroute ist dicht und der griechische Grenzort Idomeni wird zum Schicksalsort für Flüchtlinge, die zu spät dran sind. Im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens verstärkt die Türkei ihren Grenzschutz und verhindert die Abreise auf die griechischen Inseln.
Ein Jahr danach
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 30. August spricht Merkel über den Satz, der Geschichte schrieb - sie hatte nicht "mit dieser Wirkung der Worte gerechnet". Gleichzeitig räumte die Kanzlerin Fehler ein, was die deutsche Flüchtlingspolitik in der Vergangenheit betrifft. In früheren Jahren habe Deutschland Ländern an den Außengrenzen der EU bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu wenig geholfen: "Wir haben uns damals gegen eine proportionale Verteilung der Flüchtlinge gewehrt."
Obwohl viele Stimmen Merkels Satz kritisierten und Teile der Bevölkerung ihn als unwillkommene Veränderung Deutschlands interpretierten, bleibt Merkel sicher: "Deutschland wird Deutschland bleiben, mit allem, was uns lieb und teuer ist." Und sie stünde immer noch zu den drei kleinen Worten.