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Neue Grenzpolitik

Ein Stück Papier

Autor(en): Astrid Probst am Donnerstag, 17. September 2015
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Quelle: M94.5

Reisepass

Schwer bewaffnete Polizisten, unzählige Passkontrollen – Im Zug unterwegs zeigt Europa sein neues Gesicht.

Unsanft werden wir aufgeweckt. Ein schwer bewaffneter Polizist blickt uns entgegen. „Putovnica" sagt er und blickt hektisch umher. Passkontrollen stehen an. Wir sind an der kroatischen Grenze nach Slowenien. Prüfend blickt der Polizist abwechselnd uns und den Pass an. Wortlos gibt er ihn zurück.

Den Pass stets griffbereit haben

Es ist still geworden im Zug nach Italien, vorwiegend sitzen hier Interrailer wie wir. Den Pass wegzupacken lohnt sich nicht, das wissen wir mittlerweile. Langsam bewegt sich der Zug und kommt gefühlte zehn Meter später zum Stehen. Wieder kommen Polizisten mit Schlagstöcken, Handschellen und Schuffwaffen in den Zug. Diesesmal werden unserer Pässe auf slowenisch eingefordert und das Ganze wiederholt sich.

Drei Stunden können wir nun ungestört weiter fahren, bis wir die österreichische Grenze erreichen. Am Bahnhof in Villach warten einige Helfer mit Wasser auf Flüchtlinge. Doch es steigen keine aus. Diese wurden, wenn sie überhaupt in den Zug gelangen konnten, sofort von den Polizisten aufgespürt. Die verschärften Grenzkontrollen scheinen ihre Wirkung zu zeigen. Hoffnungsvolle Flüchtlinge, die sich auf den Weg machten, um endlich in Sicherheit zu sein, werden so abgewehrt, aussortiert und zurückgebracht.

Pass oder Ticket

Der nächste Zug von Österreich nach Italien ist voll. Menschen liegen auf dem Boden und quetschen sich in die Abteile. Auch Flüchtlinge sind unter ihnen. Ängstlich umklammern sie ihr Ticket und ihre Reservierung, es ist mittlerweile Mitternacht und der Zug wird erst am frühen Morgen in Italien ankommen. Wieder stürmen Polizisten in den Zug, werfen Flüchtinge hinaus und blicken in jedes Eck, jede Toilette, auf jede Gepäckablage. Das ist mittlerweile normal, an die aggressiv wirkenden Polizisten haben wir uns fast gewöhnt.

Fast automatisch strecken wir den Polizisten den Ausweis entgegen – oder auch mal einem Kontrolleur, den man im Halbschlaf schon mal verwechseln kann und der halb belustigt halb verwirrt wieder den Pass zurückgibt. Die Tickets scheinen also doch noch jemanden zu interessieren.

Die Rückfahrt von Italien nach Deutschland ist angenehmer, obwohl wir auch noch durch Österreich fahren. Gleich in Mailand werden uns die Pässe abgenommen mit dem Versprechen wir bekämen sie in Deutschland wieder. Dann werden wir noch angewiesen abzusperren, vermutlich, damit sich niemand ins Abteil schleichen kann und dann können wir erstmal entspannt über Nacht zurück nach München fahren. Am Morgen bekommen wir unsere Pässe zurück, die Kontrolleurin hat die Passkontrollen übernommen.

Was aus dem Schengen Abkommen geworden ist:

Solche Szenen ereignen sich in den letzten Tagen immer wieder. Für Touristen ist es nur nervig und erstmal einschüchternd. Für Flüchtlinge ein weiterer Stein und eine Demütigung auf ihrem Weg. Trotz gültigem Ticket und Reservierung müssen sie den Zug verlassen. Sich in Zweierreihen aufstellen und umzingelt von den Polizisten, die so bewaffnet sind, als würden sie in den Krieg ziehen, davon trotten. Genau solche Situationen sollte das Schengen Abkommen verhindern.


Foto: Screenshot M94.5/Broschüre der Europäischen Kommission – Europa ohne Grenzen, Der Schengen-Raum

„Die Schengen-Staaten haben eine gemeinsame Außengrenze, für die sie seit dem Wegfall der Binnengrenzkontrollen gemeinsam verantwortlich sind, um die Sicherheit im Schengen-Raum zu gewährleisten. Das bedeutet aber nicht, dass Europa durch die wirksame Kontrolle der Außengrenze zu einer „Festung“ wird. […] Zudem muss die Außengrenze für Menschen, die hier arbeiten möchten oder Zuflucht vor Krieg und Verfolgung suchen, offen bleiben.“ (Broschüre der Europäischen Kommission – Europa ohne Grenzen, Der Schengen-Raum)

Aber das Schengen Abkommen funktioniert nun anders. Bundesinnenminister Thomas De Maizeire versteidigte den Schritt so: "Ziel dieser Maßnahme ist es, den derzeitigen Zustrom nach Deutschland zu begrenzen und wieder zu und wieder zu einem geordneten Verfahren bei der Einreise zu kommen." Die Ursachen für die Flüchtlingsströme werden damit wohl nicht bekämpft.

Abgeordnete verschiedener Landstagsfraktion wollten sich auf Anfrage von M94.5 zu der Situation nicht äußern.

 

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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M94.5 präsentiert
Donnerstag, 18. Oktober, 18 Uhr
M218 LMU Hauptgebäude
 
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Donnerstag, 18. Oktober 2018
 
Freitag, Samstag: 19./20. Oktober
 
Neuhauser Musiknacht
Samstag, 27. Oktober 2018
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