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Ein vergessenes Thema: Fukushima

Autor(en): Klaus Muth am Freitag, 2. Dezember 2011
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Nachdem Kraftwerksbetreiber Tepco in Fukushima die Kaltabschaltung verkündet hat, scheint sich die Situation langsam zu normalisieren. Zwei Interviews zur aktuellen Lage.

Nachdem Kraftwerksbetreiber Tepco in Fukushima die Kaltabschaltung verkündet hat, scheint sich die Situation langsam zu normalisieren. Zwei Interviews zur aktuellen Lage.


Interview mit Generalkonsul Akira Mizutani

Johanna Schuster: Herr Mizutani, können Sie die momentane Situation in Japan schildern? Spürt man noch immer deutliche Nervosität angesichts der Strahlenbelastung?

Generalkonsul Mizutani: Ich würde sagen, langsam aber stetig entwickelt sich die Situation in eine positive Richtung. Die sogenannte Kaltabschaltung der havarierten Meiler in Fukushima ist kürzlich realisiert worden. Viele Japaner, besonders Mütter mit kleinen Kindern sind aber immer noch sehr nervös. Nicht nur die Behörden, sondern auch einige Bürgergruppen messen die Strahlendosis in ihren Wohnorten auf eigene Initiative. Meiner Meinung nach ist es wichtig gelassen zu bleiben. Panische Reaktion ist für niemanden von Vorteil. Der Tsunami forderte 27.000 Tote, aber wegen des AKW- Unglücks in Fukushima ist niemand gestorben.


Johanna Schuster: Wie schätzt die japanische Regierung die Lage ein? Was macht sie, vor allem, um die Bevölkerung zu schützen?

Generalkonsul Mizutani: Japan ist ja genau wie Deutschland eine offene Gesellschaft. Die Regierung, Tepco und lokale Behörden machen fast jeden Tag Pressebriefings. Nicht nur für japanische Journalisten, sondern auch für ausländische Presseleute und Diplomaten. Die Präfektur Fukushima unterzieht alle unter 18- Jährigen lebenslanger ärztlicher Untersuchung. Und, wie gesagt, hat man auf dem Gelände von Fukushima Daiichi eine Kaltabschaltung erreicht. Die Situation ist hier also quasi unter Kontrolle. Das heißt, selbst wenn ein neues Problem im Meiler Fukushima Daiichi auftritt, kann man den Messwert der radioaktiven Strahlung niedrig halten. Aber außerhalb des Geländes stehen wir immer noch vor großen Herausforderungen. Zum Beispiel der Dekontaminierung des Hotspots, also der Sperrzone. Genau wie in Bayern nach Tschernobyl.Wir müssen Maßnahmen ergreifen, um den verseuchten Erdboden abzutragen. Bis zum Beenden der Demontage des havarierten Meilers wird es noch vierzig Jahre dauern.


Johanna Schuster: Nun war dies ja eine sehr tiefgreifende Katastrophe. Was hat sie in Japan bewegt?

Generalkonsul Mizutani: Das nationale Bewusstsein in Zusammenhang mit der Energiewende hat sich verändert. Die Bereitschaft zum Energiesparen ist sehr sehr stark gestiegen.Diesen Sommer, zum Beispiel – der japanische Sommer ist sehr heiß- rechnete man in Tokyo mit einer Energieknappheit von 15% aufgrund der Abschaltung der AKWs. Aber dank der freiwilligen Einsparungsbereitschaft der Bürger haben wir durchgehalten und letztendlich einen so genannten Blackout (großflächiger Stromausfall, Anm. d. Red.) vermieden.Darauf dürfen wir stolz sein.


Johanna Schuster: Zum jetzigen Zeitpunkt laufen ja alle Atomkraftwerke „auf Sparflamme“ oder sind ganz abgeschaltet...

Generalkonsul Mizutani: Wir haben insgesamt 54 Atomkraftwerke in Japan, aber heute sind nur sechs davon in Betrieb. Ob sie abgeschaltet bleiben, ist eine schwierige Frage. In Japan ist es gesetzmäßig so, dass jedes AKW zur Wartung alle dreizehn Monate abgeschaltet werden muss.Um wieder anzufahren, braucht der Betreiber immer die Zustimmung des jeweiligen Präfekturgouverneurs. Und viele Präfekturgouverneure werden dazu erst das Ergebnis des sogenannten Stresstests (Überprüfung der Anlagensicherheit, Anm. d. Red.) abwarten.


Interview mit Susanna Wellenberg

Johanna Schuster: Frau Wellenberg, sie waren in Sendai und Rikuzentakata, um den Kindern dort mit Origami wieder ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern. Wie würden Sie denn die momentane Lage in der Region um Fukushima beschreiben? Regieren immer noch Angst und Verzweiflung oder ist man mittlerweile zum Alltagsgeschehen zurückgekehrt?

Susanna Wellenberg: Es ist so, wie es eigentlich hier nach Tschernobyl war. Es gab die einen, die sich in den nächsten Flieger gesetzt haben, um zu fliehen – völlig kopflos.Es gab die anderen, die ganz normal weiter gegessen haben und dann gibt’s halt immer die dritte Gruppe, die einfach verantwortungsvoll damit umgeht. Insofern verhalten sie sich nicht anders als hier. Das einzige was anders ist, ist das Japaner in Katastrophen nicht dazu tendieren, ihr Leid nach außen darzustellen und dadurch oft im Ausland der Eindruck entsteht: „Die packen das schon, das ist gar nicht so schlimm.“ Stimmt nicht, sondern das ist einfach ihre Kultur.


Johanna Schuster: Nun sind Sie ja als Ausländerin nach Japan gefahren, um dort zu helfen. Unterstützen sich auch die Japaner gegenseitig? Merkt man das in der Bevölkerung?

Susanna Wellenberg: In Sendai gibt es seit 50 Jahren ein Lichterfestival im Dezember. Und mehr als die Hälfte der über eine Million Lichter ist vom Tsunami weggetragen worden. Also haben die anderen Präfekturen haben ihr Licht dort hin gebracht. Und es hat stattfinden können. Die Leute standen da und es war eine Stimmung aus Freude aber eben auch ganz viel Traurigkeit. Und ich hörte nur, wie ein Tourist, der dort war, sagte: „Na, jetzt geben die schon wieder so viel für Strom aus.“ Ich hab nicht an mich halten können. Ich hab gesagt: „Da geht’s nicht um den Strom. Da geht’s um ein Symbol, dass das Leben weitergeht!“ Und ich denke auch, das ist etwas, das man den Leuten klar machen muss. Das ist nicht etwas, das im nächsten Jahr vorbei ist. Das ist nicht übernächstes Jahr vorbei. Das wird noch sehr lange dauern.


Johanna Schuster: Wo Sie gerade von Zeit sprechen...Wie sieht es denn neun Monate nach der Katastrophe in Rikuzentakata aus?

Susanna Wellenberg: Wenn man nach Rikuzentakata kommt, dann ist man einfach nur fassungslos. Alles was flach ist in der Bucht, gibt es nicht mehr. Man sieht nach wie vor eine sechs bis acht Meter hohe Welle aus Abfall. Man sieht, dass nach wie vor nach vierhundert Vermissten gesucht wird, oder zumindest nach Dingen von Ihnen. Man sieht ein paar große Häuser mit leeren Fenstern aber die eigentliche Stadt sieht man bestenfalls noch im Boden, wie in Pompeji.

Und dann gibt es diesen einen Baum, diese eine Kiefer, die zum Symbol geworden ist. Denn Rikuzentakata war bekannt für seinen Strand mit 70.000 Kiefern. Von den 70.000 Kiefern ist eine einzige stehen geblieben. Und diese eine Kiefer bekommt jetzt braune Nadeln und wird sterben. Es ist kaum zu ermessen, was das für das Land bedeutet. Aber gerade hat es eine schöne Nachricht gegeben. Im April haben Biologen einen Zapfen von dieser stehengebliebenen Kiefer genommen und haben jetzt 18 Setzlinge gezüchtet, die sie hüten und die, wenn sie entsprechend groß geworden sind, dort wieder hingepflanzt werden sollen. Und ich denke, das ist für Japan ein ganz ganz wichtiges Symbol.


Johanna Schuster: Das heißt, es gibt trotzdem Hoffnung. Wie würden Sie den sagen, hat sich Japan durch den Tsunami verändert? Wie sieht die Zukunft aus?

Susanna Wellenberg: Auffallend ist, dass Japaner mehr in die Familie zurückkehren. In Rikuzentakata selbst habe ich mit dem stellvertretenden Bürgermeister gesprochen und man weis bis heute nicht, was mit der Stadt passieren wird. Man weis nicht, ob sie wieder aufgebaut wird, wie sie wieder aufgebaut wird. Da wird auch vor dem elften März, dem Jahrestag, der im Buddhismus sehr wichtig für die Toten ist, keinerlei Entscheidung getroffen.


Johanna Schuster: Werden Sie auch weiterhin ganz bedenkenlos nach Japan fahren? Ist Japan „sicher“?

Susanna Wellenberg: Man kann nicht sagen, ein Land ist hundert Prozent sicher. Das war es nie und das ist es bei uns auch nicht. Aber es gibt eigentlich keinen Grund, warum die Touristen, die vorher hingekommen sind nicht wieder hinkommen sollten. Man muss einfach nur ein bisschen vernünftig sein, sich informieren, darauf achten, wo sein Essen herkommt und dann ist dieses Land nach wie vor ein wunderschönes Land.


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