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Gefängnis

Eine Stunde Haft für die Ohren

Autor(en): Antonia Franz am Freitag, 14. August 2015
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Quelle: (c) Julia Rupprich

Die Gänge in der JVA Stadelheim.

Jeder hat seinen eigenen Blick auf den Ort, der sich "Gefängnis" nennt. Von außen. Die Fußnoten - das Radiofeature auf M94.5 - blicken hinein. 

„Das Fernseh-Gefängnis hat nichts mit dem deutschen Gefängnis zu tun, weder das amerikanische Gefängnis aus dem Fernsehen noch das in ‚Hinter Gittern’ oder andere deutsche Serien. Es ist schon wie ein kleines Dorf. Ich mein, wenn im Neubau irgendwas passiert, wissen die im Süden sofort Bescheid. Also machen wir uns da mal nichts vor... Es ist nichts anderes als ein sehr erzkonservatives kleines Dorf.“ So beschreibt Max* sein „Zuhause“. Seit mittlerweile 10 Jahren sitzt er jetzt im Gefängnis. Erst in der JVA Straubing, dann in der JVA Stadelheim.

Das Gefängnis ein "erzkonservatives kleines Dorf"

Max sitzt in der Abteilung für Gewalttäter in Stadelheim. Mit 15 weiteren Insassen teilt er sich die etwas separate Station. Und auch wenn er selbst sein Gefängnis als „erkonservatives kleines Dorf“ bezeichnet, hat er natürlich enorme Einschränkungen. Das schlimmste an der Haft ist für ihn das Fremdbestimmte. Er kann nicht entscheiden wann er was tun möchte und kann sich nicht einfach die Privatsphäre nehmen, die wir oft nicht zu schätzen wissen. Seinen Alltag und seine Privatsphäre bestimmen andere.

Unter der Woche wird seine Zelle morgens um halb sieben aufgeschlossen. Dann macht er sich fertig für die Arbeit. Seit einem Monat ist Max im Elektrobetrieb dabei. Ab September fängt er dort als Lehrling mit seiner Ausbildung an.

Ausbildung im Knast. Aber draußen?

In Straubing hat er bereits eine Ausbildung als Bürokaufmann gemacht, jetzt verspricht er sich von der Lehre im Handwerk bessere Chancen auf einen Job nach seiner Freilassung. Bis zum Einschluss abends kann Max seine Freizeit gestalten. Er kocht gerne mit den anderen Insassen, spielt mal Karten oder liest Zeitung. 

Seine Entlassung rückt für ihn auch immer näher. Etwa dreieinhalb Jahre muss Max noch absitzen. Er freut sich schon auf den Tag, an dem er endlich freikommt. Aber die Angst, einen Job zu finden und im Leben wieder anzukommen, ist natürlich da. 


Der Innenhof von Stadelheim. Quelle: M94.5 

„Resozialisierung findet nicht statt“

Zum letzten Mal öffnet sich in der Früh die Zellentür vor ihm. Wenig später schließt sich zum ersten Mal das Gefängnistor hinter ihm. Und dann: Freiheit. Der Moment, der über Jahre hinweg stets das oberste Ziel war, ist da. „Du stehst vor dem Gefängnis und freust dich riesig, hast natürlich erstmal diese ganzen Eindrücke: die Sinnlichkeit, das Sehen, das Riechen, das Hören und hast so das Gefühl: Mensch endlich bin ich wieder in der Welt oder endlich spür ich das Leben wieder.“ So beschreibt Oliver*, der 10 Jahre wegen eines Gewaltdelikts einsaß, seine Entlassung. Und dann?

„Resozialisierung geht von der Vorstellung aus, der Straftäter habe sich durch seine Tat außerhalb der Gesellschaft gestellt. Durch seine Strafe – der Haft – verbüßt er seine Schuld. Das Ziel ist es, ihn danach wieder in die Gesellschaft zu integrieren.“

Soweit die Theorie. Oliver sagt, zwischen der Theorie der Resozialisierung und der Realität gibt es – gelinde gesagt – eine Diskrepanz. Er mag den Grundgedanken, aber Hilfe hat er keine bekommen. Er war auf sich allein gestellt und hatte Probleme, ganz alltägliche, wie die Orientierung im Internet. Er ist jetzt seit einem Jahr draußen.

Kriminelle Energie positiv nutzen

Doch um den Start nach der Haft zu erleichtern, gibt es eigentlich Organisationen und Einrichtungen. "Die Leute, die zu uns kommen, wollen an ihrer Problematik arbeiten. Sie wollen ihr Leben wieder so in den Griff kriegen, dass sie nicht wieder eingesperrt werden", sagt Nicole Lehnert. Die Leiterin der Münchner Zentralstelle für Straffälligenhilfe schickt ihre Mitarbeiter noch vor der Haftentlassung zu den Gefangenen. Die helfen den Häftlingen z.B. bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche. Wenn die das wollen.

Oftmals lässt sich die kriminelle Energie, wegen der die Gefangenen einst straffällig geworden sind, aber auch ganz legal nutzen. Dann kommt beispielsweise das Leonhard-Programm ins Spiel. Es unterstützt Gefangene bei der Unternehmensgründung. Adrian saß wegen Internetbetrugs im Gefängnis, jetzt berät er mit seiner Firma große Unternehmen in IT-Sicherheitsfragen. Dabei hat das Programm ihm geholfen. 

Wenn ihr mehr über Max und die Mitarbeiter der JVA Stadelheim und ihre Geschichten erfahren wollt, oder Oliver und Resozialisierungsprojekte wie das Leonhard-Programm – dann hört oben die Fußnoten zum Thema „Gefängnis: Eine Stunde Haft für die Ohren“ nach. Für die Old School- Radiohörer unter euch - am 30. August um 19 Uhr werden die Fußnoten auf M94.5 wiederholt. 

*Die Namen wurden geändert.

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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