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Erstes Referendum seit 37 Jahren in Griechenland

Autor(en): Marco Runge am Mittwoch, 2. November 2011
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Der griechische Premier hat ein Referendum über das Hilfspaket aus Brüssel angekündigt - es soll entweder Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres stattfinden. Stellt sich nun noch die Frage, wieso er riskiert, dass der mühsam erzielte Kompromiss am Volkswillen scheitert.
1974 ist ein besonderes Jahr der griechischen Geschichte. Am 8. Dezember 1974 nämlich führte eine neue Regierung unter dem Premier Konstantin Karamanlis nicht nur zum Ende der Militärdiktatur, sondern sie setzte auch eine Volksabstimmung durch, bei der über die Monarchie Griechenlands entschieden wurde. Das einzige Referendum in der Geschichte Griechenlands beschäftigte sich also nicht mit Alltagspolitik; es war nicht weniger als der markanteste Punkt eines Systemübergangs, der Dreh- und Angelpunkt eines neuen Zeitalters für Griechenland.

Warum das relevant ist? Weil jetzt das zweite Referendum ansteht. Und diesmal geht es um nicht weniger als die Zukunft der griechischen Wirtschaft und auch über ihren Verbleib in der Eurozone.

Aber ganz langsam – das Referendum findet nicht nur statt, um die Bedeutsamkeit dieser Entscheidung zu unterstreichen. Dass die Relevanz des Themas eine Rolle gespielt haben wird, ist zwar wahrscheinlich; sie hat aber Papandreou nicht davon abgehalten, frühere, ähnliche Entscheidungen nur mit parlamentarischer Mehrheit oder gar ohne legislative Abstimmung durchzudrücken. Wenn Zeit gefragt ist, hält man sich eben ungern mit parlamentarischen Spielchen und Diskussionen auf – das ist ein gängiges Denken unter Regierungen.

Und selbst wenn mal das Parlament entscheiden durfte – meist durfte es nur Gesetze abnicken, die von der Troika unter Mithilfe der Regierung erstellt wurden. Entschieden wurde über die Zukunft Griechenlands also, jedenfalls konnte der Eindruck leicht entstehen, nicht von den vom Volk gewählten Parlamentariern, sondern von der vom Parlament bestimmten Regierung – und nicht von dieser alleine, sondern von der Troika, in deren Elementen (IWF, EU-Kommission, EZB) Griechenland nur einen geringen Einfluss besitzt. Das Problem repräsentativer Demokratie verstärkte sich also auf der EU-Ebene; die Repräsentation nahm ab, je mehr ein Organ entscheiden durfte. Das ist an sich selbstverständlich; wenn es aber nicht um Normen im Lebensmittelabbau geht, sondern um Kürzungen in Milliardenhöhe, dann wird Repräsentation immer wichtiger.

Papandreou durfte jetzt also nicht nur gegen seine eigene Fraktion ankämpfen, die immerhin der PASOK angehört, jener Sozialdemokratischen Partei, die einen Gutteil des griechischen Sozialstaats aufgebaut hat und die, so wurde gerne gelästert, die Schulden erst aufgehäuft hat; er musste sich auch mit einer gnadenlosen Opposition auseinandersetzen, die eine Regierung der nationalen Einheit, also eine Regierung unter Einbeziehung aller Parteien, strengstens ablehnte und Neuwahlen forderte. Daneben streikte, protestierte, demonstrierte das Land; die generell politische aktiven und demonstrationsfreudigen Griechen zogen alle Register, Bilder von Krawallen gingen um die Welt.

In der Zwischenzeit schrumpfte seine Fraktion von 160 Abgeordneten auf 152 (bei 300 Parlamentariern); seine eigenen Minister äußerten Unmut, und er überstand mehrere politische Krisen, zuletzt eine Vertrauensfrage im Juli.

Jetzt aber dürfte der Druck schlicht zu groß geworden sein. Was, wenn seine eigene Fraktion rebellierte, was, wenn die Abstimmung im Parlament scheitern würde? Es wäre das Ende der Regierung Papandreou, aber auch das Ende seiner Partei und das Ende des Vertrauens der Griechen in die Politik. In der Zwischenzeit würde die Unsicherheit die Bereitschaft der europäischen Länder, Zahlungen und Hilfsleistungen zu bewilligen, weiter unterminieren. Mit dem Referendum aber erhofft sich Papandreou den Befreiungsschlag – klare Verhältnisse über den Willen des Volkes, eine Legitimation des Hilfspaketes die über eine bloße Parlamentsmehrheit hinausreicht, eine Lektion für die Opposition (oder eben die Regierungspartei).

Vor dem Referendum stellt er am Freitag die Vertrauensfrage; nachdem er in einer Kabinettssitzung die eigenen Minister überzeugte und disziplinierte, soll nun festgestellt werden, ob er überhaupt die Mehrheit für ein Referendum besitzt. Bevor es nämlich zu einem Referendum kommen kann, muss der Staatspräsident es vorschlagen und das Parlament mit einer Mehrheit von 151 Stimmen dafür stimmen, das heißt, es darf genau ein Parlamentarier fehlen, sich enthalten oder dagegen stimmen. Übersteht Papandreou also die Vertrauensfrage nicht, würde auch ein Referendum verhindert werden; es käme wahrscheinlich zu Neuwahlen kommen. Das wiederum wird kritisch gesehen; eine Koalitionsregierung wäre eine Neuheit in Griechenland, und Umfragen deuten bisher eine solche an. Eine Koalitionsregierung ohne Vorgänger wäre aber gefährdet, durch Flügelkämpfe und Parteistreitigkeiten gelähmt zu werden; das schnelle Krisenmanagement, das bisher nötig war, wäre schwieriger.

Alles in allem also eine schwierige politische Entscheidung, die die Zukunft der griechischen Politik ebenso prägen wird wie die Zukunft der griechischen Wirtschaft; vor allem aber eine Entscheidung, die helfen soll, die (befürchtete) Lähmung in der griechischen Politik zu überwinden.
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