Gabrielle Giffords und die politische Rhetorik in den USA
Am Montag wurde der mutmaßliche Attentäter von Tucson, Jared Lee Loughner in Arizona dem Haftrichter vorgeführt. Sechs Menschen starben beim Anschlag auf die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords, zwölf weitere wurden verletzt.
Die Suche nach dem Schuldigen war bei Jared Lee Loughner aber noch nicht zu Ende. Schuldzuweisungen an die Republikaner ließen nicht lange auf sich warten. Während Barack Obama versuchte der Nation Trost zu spenden, fahndeten andere bereits nach Beweisen für die Mitschuld der politischen Gegner. Seit wenigen Tagen steht der Feind fest: die Rhetorik im politischen Diskurs der USA, welche Republikaner wie auch Demokraten vor allem im Wahlkampf 2010 enorm angeheizt haben.
Handelt es sich bei Jared L. Loughner um einen geistig verwirrten Einzeltäter, oder wurde er durch Methoden und die oftmals brutale und aggressive Rhetorik im politischen Klima der USA zu seiner Tat angetrieben?
Dr. Raimund Lammersdorf ist geschäftsführender Direktor des Amerikahauses in München und hat sich mit mir über die politische Situation in den USA unterhalten.
Er verweist auf den Lebenslauf des Attentäters, beispielsweise dessen Ausschluss vom College aufgrund diverser Streitigkeiten mit den Sicherheitsbeamten. Zudem scheint er den Anschlag auf Gabrielle Giffords bereits seit 2007 geplant zu haben.
Dr. Lammersdorf bestätigt aber auch, dass die Rhetorik insbesondere gegen die Demokraten von Seiten der Republikaner und der Tea-Party-Bewegung immer harscher wurde. Manche Wahlkämpfer sollen sogar darauf hingewiesen haben, dass man auf den zweiten Zusatz der amerikanischen Verfassung zurückgreifen solle, wenn Washington nicht so agiert, wie die Republikaner es eben gerne hätten. Der genannte zweite Zusatz beinhaltet das Recht auf Waffenbesitz.
Ein Einzelgänger, wie Jared L. könnte sich durch derartige Äußerungen zum "Handeln" aufgefordert gefühlt haben. Problematisch sind dabei zudem die Waffengesetze in den USA. In Arizona kann man beispielsweise seit 2010 automatische Waffen kaufen, ohne auf Vorstrafen oder psychische Erkrankungen hin überprüft zu werden.
Ein Grund für die Entwicklungen im politischen Klima ist laut Lammersdorf die Tatsache, dass sich die Republikaner seit zehn Jahren extrem nach rechts entwickelt haben. Die Widersprüche zwischen einer rechtsgerichteten republikanischen und einer linksgerichteten gemäßigten demokratischen Partei sind immer deutlicher und größer geworden. Und dementsprechend heizt sich der politische Diskurs auf. Das geht so weit, dass den Demokraten von Seiten der Republikaner die Legitimation zum Regieren abgesprochen wird. Will heißen: sind die Demokraten an der Macht, kann es mit den USA nur den Bach runter gehen. Barack Obamas Bemühungen um eine neue Krankenversicherungsregelung wurden von Beginn an abgelehnt und kritisiert. Da schrak man auch vor Vergleichen mit Hitler oder Stalin nicht zurück. Im Gegenzug stürzen sich die Demokraten jetzt auf die Republikaner und insbesondere die Tea-Party-Bewegung und geben ihnen die Mitschuld an der Tragödie von Tucson.
Attentate auf Politiker gab es auch schon in Deutschland, wie beispielsweise auf Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble 1990. Aber eine verbale Eskalation wie in den USA gab es in dieser Weise in Deutschland noch nie.
Dr. Lammersdorf begründet das damit, dass es in Deutschland viel schwerer ist, an Schusswaffen zu gelangen. Zudem gibt es im deutschen politischen Klima nicht die selbe Bereitschaft für gewalttätige Metaphern, wie in den USA. Auch gibt es zwar zwischen den Parteien klare Gegensätze in ihren Programmen, aber nicht einen so deutlichen Bruch wie zwischen Demokraten und Republikanern. Hinzu kommt in Deutschland ein Glaube an den Staat, der mit einem gewissen Respekt gegenüber den Mitmenschen einhergeht, die ihn leiten. In den USA fehlt dieser Respekt, dieser Glaube an den Staat. Hier bezieht man sich immer auf die Person, die eben diesen repräsentiert. Alles fällt auf diese eine Person zurück, nicht auf das Konstrukt "Staat".
Was ist die Konsequenz aus dem Attentat? Vorwürfe, Schuldzuweisungen und Vergleiche mit dem Oklahoma-Bomber von 1995. Auch damals hatten die Demokraten eine Niederlage bei den Kongresswahlen hinnehmen müssen und Bill Clinton befand sich in der Defensive. Sein Krisenmanagement verhalf dem Präsidenten damals zu einer verbesserten politischen Reputation. US-Medien gehen davon aus, dass zumindest der politische Diskurs zwischen Demokraten und Republikanern in nächster Zeit gemäßigter ablaufen wird.
Das vollständige Interview mit Dr. Raimund Lammersdorf findet ihr im Anhang.