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Die M94.5 -“Fußnoten“ zum Thema Pornografie

Hinter verschlossenen Türen

Autor(en): Anton Stanislawski am Montag, 18. August 2014
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Quelle: © super awesome(j thorn explains it all)

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Das M94.5-Fußnotenteam hat sich einem allgegenwärtigen, aber meist verschwiegenen Thema gestellt: der Pornografie.

Der pubertierende Teenager tut es, das verliebte Pärchen, und der in die Jahre gekommene Geschäftsmann auch: sie schauen sich Pornos an. Das M94.5-Fußnotenteam hat sich einem allgegenwärtigen, aber meist verschwiegenen Thema gestellt: der Pornografie.

Das Internet hat die Pornografie verändert. Was heute eine Google-Suche entfernt ist, war früher nur über unangenehme Gänge in die Erwachsenenabteilung des DVD-Verleihs erreichbar. Dadurch geht der Konsum in die Höhe. Pornos werden von mehr Menschen geschaut, öfter, intensiver. Und individueller: die Kategorien auf den einschlägigen Pornoseiten zählen bis zu hundert verschiedene Unterpunkte. So kann man sich von „Big Dick“ bis zu „Point of View“ alles aussuchen was einem gefällt. Jeder kann sich seine individuellen Wünsche erfüllen – zumindest digital.

Schattendasein oder Kulturgut?

Doch Pornos sind eben nicht die Realität, und die Sexualität des Menschen verändert sich mit seinem Pornokonsum. Dieser führt zu einer unnatürlichen, illusorischen, teilweise gewaltsamen Vorstellung von Sex, sagen die Einen. Pornokonsum führt zur Stillung von menschlichen Trieben, und ist inzwischen ganz normal, sagen die Anderen, ja die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität ist, auch auf diesem Weg, sogar gesund und wichtig für das Wohlbefinden.

Manuela May, Kuratorin des Berliner Pornofilmfestivals, sagt dass eine Tabuisierung des Themas Pornografie gerade deswegen der falsche Weg wäre: „Von frühster Kindheit an ist man ja von Sexualität umgeben, davon kann man auch niemanden abschotten. Da reicht auch irgendeine Werbung mit einer nackten Frau. Es bräuchte ein erzieherisches Moment, mit dem junge Menschen da ran geführt werden um schon ganz früh eine gewisse Schamfreiheit zu erlauben."

Eins steht fest: Pornos sind allgegenwärtiger denn je, und auch wenn es die meisten wohl immer noch ungerne zugeben, fast jeder schaut sich welche an. Aber ist die Pornografie deshalb inzwischen zum Leitmedium oder gar Kulturgut geworden, oder führt sie immer noch ein schmuddeliges Schattendasein?

Ist das schon Pornografie?

Zunächst ist nur das lustverzerrte Gesicht eines Mannes zu sehen der ganz offensichtlich Oral befriedigt wird. Die Kamera zoomt heraus, seine Partnerin richtet sich auf, sie ist vollkommen nackt. Die beiden unterhalten sich kurz, dann kommen drei weitere Frauen herein, auch sie teilweise nackt, und stürzen sich kichernd auf den Mann. - Eine barbarische Hochzeitszeremonie. Männer kämpfen auf Leben und Tod darum, wer mitten auf dem Kampffeld mit halbnackten Frauen Sex haben darf. Dieser ist, fast wie die Kämpfe, brutal und gewaltvoll.

Das sind nur zwei der insgesamt fünf Sexszenen in der ersten Folge der US-amerikanischen Erfolgsserie „Game of Thrones“. Die Serie ist bekannt dafür, mit Gewalt ebenso offen umzugehen wie mit Sex. Im Internet gibt es sogar „Boobie Count“-Grafiken für die Serie. Spitzenreiter sind die Episoden eins und drei mit jeweils zwölf Paar Brüsten. Für ihre sexuelle Freizügigkeit wird die Serien kritisiert – aber sie wird auch millionenfach angeschaut.

Wo ist da noch der Unterschied zu Pornos? Einer liegt auf der Hand: niemand hat ein Problem damit über die neuesten Geschehnisse bei „Game of Thrones“ zu diskutieren. Von den Ereignissen in seinem letzten Porno erzählt derweil kaum jemand. Was das Beispiel zeigt: Pornos begegnen uns heute nicht nur auf „YouPorn“ oder nach Mitternacht auf Sport1. Sondern auch: In den Top-Ten der deutschen Albumcharts, beim Kino- oder Serienabend mit Freunden, beim durchstöbern der deutschen Bestsellerlisten. Überall wird freizügiger denn je Sex thematisiert, detailreich beschrieben, gezeigt, besungen.

Letztlich ist es eine Frage der Akzeptanz: Wenn die Sitznachbarin im Zug stundenlang in „Fifty Shades of Grey“ stöbert ist das gesellschaftlich akzeptabel, wenn sie sich aber offenkundig einen Porno ansieht, hätte das zumindest Empörung zur Folge. Der Inhalt ist derselbe, nur die Darstellungsform, und damit die Gesellschaftsfähigkeit ist unterschiedlich.

 

Auch Pornos müssen vertont werden - und das wird in der Regel mit Lebensmitteln gemacht. Wir haben es ausprobiert.

50 Männer und vier Frauen

Manchmal, aber nicht immer, fängt die Szene mit einem kleinen Dialog an. Der Klemptner muss ein Rohr verlegen, oder es ist kein Trinkgeld für den Pizzaboten da – muss er halt in Naturalien bezahlt werden. Ab hier laufen die klassischen Pornos recht ähnlich ab. Meist geht es mit einem Blow-Job los. Dann folgen mehrere Stellungen, die Penetration steht im Vordergrund. Dann die Abschlussszene: die Ejakulation des Mannes.

Besonders kreativ ist das nicht, findet auch Till Krämer, Jahre lang sehr erfolgreich als Darsteller in Pornofilmen aktiv: „Ich finde grundsätzlich was dem Porno fehlt ist Kreativität, Fantasie. Es wird oft auf bewährte Muster zurückgegriffen, das ist oft sehr langweilig und ermüdend.“

Aber so schlecht wie ihr Ruf ist zumindest die deutsche Branche nicht, wie er uns sagt. Es gebe so gut wie überhaupt kein Problem mit HIV, am Set geht es freundschaftlich zu, niemand muss Sachen tun die er nicht will. Alles in allem schaut er wohlwollend auf seine aktive Zeit zurück. Trotzdem hören sich die Szenen, die er in unserem Interview beschreibt, für Außenstehende – nun ja – befremdlich an. Ein Beispiel: Die Castings für männliche Darsteller sind meistens Gruppenorgien. Da kommen schon mal 50 Männer auf vier bis fünf Frauen. Hier müssen die Männer erstmal beweisen dass sie das Zeug zum Pornodarsteller haben. Auch er selbst muss lachen wenn er von solchen internen Normalitäten erzählt.

Ästhetik und Gefühle

Es ist jedoch genau diese verquerte Sexualität, dieses Rollenverhältnis von Mann und Frau, und diese Kreativitätlosigkeit, die den Trend zu andersartigen Pornos vorantreibt. Die Schwedin Erika Lust macht alternative Pornos, wie sie dazu gekommen ist? „Meinen ersten Porno habe ich mit meinem damaligen Freund gesehen, und ich habe festgestellt dass es ein bisschen kompliziert für mich war. Mein Körper reagierte zwar irgendwie positiv darauf, ich wurde von den Bildern erregt, aber mein Kopf definitiv nicht.“ Sie gehört zu einer Generation von Frauen die Pornografie nicht mehr nur von Männern dominiert sehen will. Auch Frauen wollen Pornos sehen, aber eben nicht mehr die männlichen, einfallslosen Mainstream-Pornos.

Es gibt einen Trend hin zu alternativen und feministischen Pornos. Hier liegt der Fokus meist auf Ästhetik, Cinematografie, Gefühlen oder schlicht der Sexualität der Frau. Auch die Harvard-Absolventin Jennifer Lyon-Bell macht alternative Pornos. Für sie stehen die Menschen die im Film Sex haben im Vordergrund: „Für mich ist das Wichtigste in jedem Erotikfilm die Menschen zu verstehen die Sex haben werden, und zu wissen was sie bewegt und worum es ihnen geht, sie kennenzulernen und auch ein bisschen sie zu mögen.“ Sowohl Lyon-Bell, als auch Lust betonen aber: ihre Filme sind für beide Geschlechter, denn auch immer mehr Männer sind gelangweilt vom klassischen Mainstream-Porno.

Tabuisierung

Woher kommt aber die Scham im Umgang mit Pornografie? Wenn die meisten Pornos schauen, warum spricht kaum jemand offen darüber? Auf die sexuellen Inhalte seiner Bücher angesprochen, äußert George R.R. Martin (Autor der Bücher zu „Game of Thrones“) sein Unverständnis über den menschlichen Umgang mit der Darstellung von Sexualität:

„Ich kann mit größter Genauigkeit beschreiben wie eine Axt in den Schädel eines Mannes eindringt, und niemand zuckt mit der Wimper. Wenn ich aber in gleicher Weise, und ähnlich detailreich, beschreibe wie ein Penis in eine Vagina eindringt, bekomme ich Beschwerdebriefe darüber. Für mich ist das frustrierend, es ist Wahnsinn. Letzten Endes haben Penisse die in Vaginas eingedrungen sind im Laufe der Geschichte sehr vielen Menschen sehr viel Vergnügen bereitet; Äxte die in Schädel eingedrungen sind, nun ja, die eher weniger.“

Wir haben uns gefragt, inwiefern das Internet die Pornografie und ihren Konsum verändert, wie das Leben eines Pornodarstellers ist, und sind dem Porno auf seinem Trend ins Alternative gefolgt. Dabei haben wir mit Darstellern und Produzenten, einem Sexualpsychologen und einer Sexshopbesitzerin, Feministinnen und Pornoliebhabern gesprochen. Begleitet uns auf einen einstündigen, akustischen Ausflug in die allgegenwärtige, aber meist verschwiegene Welt der Pornografie.

Die Fußnoten - das Radiofeature auf M94.5. Am Sonntag, den 17. August, und in der Wiederholung, zwei Wochen später, am 31. August - jeweils um 19 Uhr.

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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