Neues Bildungskonzept
Nachhaltigkeit im Stundenplan
Eine Studenteninitiative wirbt für den bewussten Umgang mit Ressourcen. Mit Spielen bringt sie das Thema Nachhaltigkeit in die Schulen.
Es ist die fünfte Stunde am Tutzinger Gymnasium und die Klasse 6b ist gedanklich schon zu Hause. „Wenn es nicht ruhiger wird, machen wir doch noch 15 Minuten Mathe“, ruft Lehrer Florian Lederer in das aufgeregte Getuschel. Schlagartig ist es still. Statt dem vorgesehenen Matheunterricht steht ein Nachhaltigkeitsprojekt im Stundenplan, an dem die Schüler seit Schuljahresbeginn eifrig mitarbeiten. Lederer liegt das Thema Nachhaltigkeit ebenfalls am Herzen. „Damit rennt man bei mir offene Türen ein, weil ich das extrem wichtig finde. Es geht nicht nur darum, den Schülern Matheformeln einzutrichtern, sondern auch Werte zu vermitteln.“
Die Türen eingerannt hatten bei ihm „Die Weltfairsteher“, eine Initiative von Studenten, zu der auch Max Held gehört. Auf einem Nachhaltigkeits-Symposium beschloss der 24- Jährige mit ein paar Freunden, statt nur über das Thema zu diskutieren, auch zu handeln. „Ich will nicht, dass mir meine Enkel irgendwann sagen: ‚Unsere Welt ist jetzt am Ende. Wieso hast du eigentlich damals nichts gemacht?“, beschreibt er seine Motivation. Es entstand die Idee für ein Bildungsprojekt zusammen mit den Schulen. „Wenn Schüler schon mit dem Bewusstsein aufwachsen, was nachhaltig ist, dann ist das genial. Das ist ja die zukünftige Generation.“
Schüler lernen durch Challenges
Die Moralkeule schwingen, wollte er dabei aber nicht. Und so entwickelten Held und die anderen „Weltfairsteher“ ein spielerisches Konzept, mit dem die Schüler lernen, was Nachhaltigkeit bedeutet. Aus sechs Themenbereichen wie Ernährung, Klimawandel und Produkt & Konsum, können sich Lehrer und Schüler zwischen verschiedenen Aufgaben entscheiden. „Obst- und Gemüse-Check: Findet heraus, wie viele Kilometer euer Lieblingsobst zurückgelegt hat, bevor es im Supermarkt gelandet ist“ oder „Treibhaus selbstgemacht: Was ist eigentlich der Treibhauseffekt? Macht euch diesen Effekt in einem Experiment direkt greifbar“, heißt es in der Beschreibung der sogenannten Challenges auf der Website der Initiative.
Die Klasse 6b aus Tutzing ist gerade mit der Challenge „Aus Wasser macht Strom“ beschäftigt. Stolz präsentiert Leander der Klasse sein selbstgebautes Wasserrad. Er dreht die Konstruktion aus Holzblättchen, Zahnstochern und Gummibändern in seinen Händen. „Das Wasserrad ist nur aus nachwachsbaren Materialien gebaut: Holz und Kautschuk“, erzählt er seinen Mitschülern. Danach hält er es unter einen Wasserhahn: Es dreht sich. Challenge bestanden.
Schulen aus ganz Deutschland machen mit
Für jede erfüllte Aufgabe gibt es Punkte. Und ab einer gewissen Anzahl von Punkten, winken auch kleine Belohnungen. Die sind ebenfalls nach nachhaltigen Kriterien ausgewählt, erklärt Max Held. „Die erste kleine Überraschung ist ein Paket mit Fairtrade-Schokolade. Da haben die Kinder auch wieder einen Lerneffekt.“ Das Projekt läuft seit Beginn dieses Schuljahres. Neun Schulen konnten die „Weltfairsteher“ dafür gewinnen. Neben Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg kommen die meisten Schulen aus Bayern, vor allem aus dem Münchner Umland.
Max Held studiert Fahrzeug- und Motorentechnik an der TU München.
So auch das Ernst-Mach-Gymnasium in Haar. Edwin Busl, Mitarbeiter in der Schulleitung, setzt sich auch für Nachhaltigkeit ein. Fotos an der Wand seines Büros zeugen von Besuchen in Tansania, wo er Entwicklungsprojekte für Schulen vorantreibt. Für dieses und ähnliche Projekte begeistert er auch immer wieder seine Schüler. „Wir müssen endlich begreifen, dass wir die diejenigen sind, die sich maßgeblich zu verändern haben, damit andere auf diesem Planeten eine Chance haben. Und deshalb ist Bildung für nachhaltige Entwicklung ganz dringlich.“ Trotzdem, findet er, kann nicht nur allein Bildung die Zustände verbessern. „Alle diese Maßnahmen und Bemühungen haben überhaupt keinen Sinn, wenn nicht auch die richtigen Entscheidungen von oben herab gefällt werden.“
"Wahrer Siegeldschungel im Supermarkt"
Genau das fordern auch Organisationen, die sich für Nachhaltigkeit stark machen. Im Bereich der Tierhaltung fordert Foodwatch einheitliche Standards für formelle Haltungsbedingungen und strenge Vorgaben für Tiergesundheit. Denn für den Verbraucher ist es nach wie vor schwierig beim Einkauf abzuleiten, ob es den Tieren gut geht. „Versuchen Sie mal bei verschiedenem Joghurt das Wohlbefinden der Tiere abzulesen“, beschreibt Pressesprecher Andreas Winkler die Situation. „Es gibt jetzt schon einen wahren Siegeldschungel im Supermarkt. Das kann ich als Verbraucher kaum unterscheiden.“
Lehrer wünschen sich Zusatzstunden für das Projekt
Dennoch ist sich Max Held sicher, dass auch allein schon ein neues Bewusstsein für andere Konsumgewohnheiten eine Menge bewegen kann. „Wenn es am Ende nur ein Mensch ist, bei dem man im Kopf etwas erreicht, dann war es ein Gewinn.“ Momentan sind er und seine Mitstreiter mit dem Bildungsministerium in Kontakt, um zusätzliche Stundenkontingente für das Projekt an den Schulen zu erhalten. „Wir sind uns dessen bewusst, dass die Lehrer schauen müssen, wie sie das unterbringen. Das ist eine Zusatzbelastung, wofür sie nicht entlohnt werden“, sagt er.
Über Zusatzstunden würde sich auch Florian Lederer freuen. „Ich muss mir die Stunden dafür selbst freischaufeln. Extrastunden habe ich nicht. Das wäre natürlich sehr wünschenswert.“ Mit der 6b bereitet er schon die nächste Challenge vor. Beim „Kleiderkreiseln“ sollen die Schüler eine Art Flohmarkt im Klassenzimmer veranstalten und abgelegte, noch brauchbare Klamotten tauschen. Vorerst müssen dafür wohl noch einige Mathestunden herhalten.