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Paranoia und Propheten

Autor(en): Jasmin Körber am Sonntag, 18. September 2011

Der Mensch versteht die Welt nicht mehr. Und dabei würde er doch genau das so gerne. Wie konnte es zu dieser Finanzkrise kommen? Wer ist denn jetzt schuld am Klimawandel? Was ist wirklich am 11. September 2001 in New York passiert? Mit den etablierten Antworten von Politikern, Wissenschaftlern und Medien gibt sich nicht jeder zufrieden. Die Fußnoten begeben sich in die Welt von „Paranoia und Propheten“ und wandern mit Interviewpartnern aus Kunst, Wissenschaft und natürlich der Wahrheitsbewegung auf dem schmalen Grat zwischen Wahn und Wahrheit.

Der Mensch versteht die Welt nicht mehr. Und dabei würde er doch genau das so gerne. Wie konnte es zu dieser Finanzkrise kommen? Wer ist denn jetzt schuld am Klimawandel? Was ist wirklich am 11. September 2001 in New York passiert? Mit den etablierten Antworten von Politikern, Wissenschaftlern und Medien gibt sich nicht jeder zufrieden. Die Fußnoten begeben sich in die Welt von „Paranoia und Propheten“ und wandern mit Interviewpartnern aus Kunst, Wissenschaft und natürlich der Wahrheitsbewegung auf dem schmalen Grat zwischen Wahn und Wahrheit.

Habt ihr dat vielleicht selbst gemacht?
Den Terror selber in die Welt gebracht?

Das fragt die Duisburger HipHop-Kombo „Die Bandbreite“ in dem Song „Selbst gemacht“. Die Fragen richten sich an die US-Regierung. Und es folgen konkrete Vorwürfe: Das World Trade Center sollen vor zehn Jahren keine entführten Flugzeuge, sondern kontrollierte Sprengungen zu Fall gebracht haben. Schließlich hätten die USA einen Grund gebraucht, um in Afghanistan einen Krieg zu führen, der ihnen Erdölvorräte sichert.

Niemand glaubt an den WTC-Einsturz wegen der Flugzeuge

Einen Tag vor dem zehnten Jahrestag der Anschläge in New York nicken im badischen Karlsruhe etwa 200 Leute mehr oder weniger zum Beat von „Selbst gemacht“. Hier auf dem Marktplatz findet die Abschlusskundgebung einer Demo der sogenannten „Wahrheitsbewegung“ statt. Sie fordern die Wahrheit über die Ereignisse des 11. Septembers 2001. Und sie wissen teilweise sehr genau, wie diese Wahrheit aussieht. Niemand hier glaubt an den Zerstörung der Türme durch Flugzeuge. Stattdessen fallen immer wieder Schlagworte wie „kontrollierte Sprengungen“, „World Trade Center 7“, „CIA“ und vereinzelt sogar „Freimaurer“. Und über allem schwebt die Frage des "cui bono" – wer profitiert davon?

Wahrheitsbewegung oder Verschwörungstheoretiker?

Wahrheitsbewegung nennen es die einen, für die anderen ist das Ganze ein konfuser Haufen von Verschwörungstheoretikern. Es ist nicht leicht, eine Struktur in dieser Szene zu finden. Fast jeder der Demoteilnehmer hat einen Blog oder Youtubekanal. Das Internet ist für die ganze Szene weltweit das wichtigste Kommunikations- und Informationsmittel. „Die Mainstream-Medien sind doch sowieso alle manipuliert“, ist ein gängiges Credo, das wir während der Recherchen immer wieder hören. Mit Tipps zur Beschaffung „sorgfältig recherchierter und wirklich unabhängiger“ Informationen geizen unsere Interviewpartner nicht. Besonders beliebt ist die Infokrieg-Website, die von dem Studenten und selbst ernannten Journalisten Alexander Benesch und seinem Mitstreiter Nicolas Hofer betrieben wird. Die Website ist ein Ableger der infowars-Seite des Amerikaners Alex Jones. Benesch bietet in der deutschen Version eine Mischung aus eigenen und übersetzten Artikeln internationaler Autoren, Gastkommentaren und mehrstündigen Videos im Nachrichtenmagazinlook. Unter dem Label „Neue Weltordnung“ finden sich hier zum Beispiel Artikel, in denen die EU als perfider Plan der Nazis dargestellt wird, um letztendlich ein „4. Reich“ inklusive Weltherrschaft zu errichten. Benesch selbst nennt das was er tut „investigativen Journalismus".

Spenden, Dosenkuchen & Milchpulver

Belege für solche und ähnliche Thesen sind allerdings meist ziemlich löchrig zusammengeschustert aus allem was der Theorie dienlich sein kann. Finanziert werden die meisten Web-Seiten durch Spenden und Werbung. Ein Großteil der Anzeigen wirbt für haltbare Lebensmittel wie Dosenkuchen und Milchpulver und was man sonst noch so zum eigenen Überleben braucht, wenn die Versorgungsstrukturen zusammenbrechen.

Survivaltraining für den Ernstfall

Wie real diese Angst für manche Leute ist, erleben wir im Gespräch mit drei Mitgliedern des „Stammtisch München“. Sie erzählen begeistert von Vorträgen über Survivaltraining und Kochrezepten mit Trockeneipulver. Wenn der wirtschaftliche, politische oder sonst wie geartete Ernstfall kommt, sie sind vorbereitet. Paranoid oder spinnert wirken die Drei allerdings nicht. Sie haben normale Berufe, sind sehr angenehme Gesprächspartner und auch nicht immer einer Meinung. Und sie sind mit viel Engagement bei der Sache. Sie verbringen viel Zeit damit sich Infos zu ihren Theorien aus dem Internet zusammenzusuchen. Auch die Organisation des Stammtisches mit Vorträgen von wechselnden Gastrednern hält sie auf Trab. Im Gegensatz zu den Protagonisten der Szene verdienen unsere drei Interviewpartner kein Geld mit ihrem Engagement. Der letzte prominente Gastredner beim Münchner Stammtisch: Oliver Janich.

Die "Partei der Vernunft" will den Euro abschaffen - und alle Steuern

Schon zu seiner Zeit als Journalist hat Janich das Thema „Verschwörung“ gerne aufgegriffen. 2010 veröffentlichte „Focus Money“ unter der Überschrift „Wir glauben euch nicht“ einen Artikel von Janich, in dem er unter Berufung auf Prominente wie den ehemaligen Wrestler Jesse Ventura und Schauspieler Charlie Sheen seine Zweifel an der offiziellen Version des 11. Septembers 2001 äußert. Mittlerweile widmet sich Janich vorwiegend seiner Tätigkeit als Vorsitzender seiner selbstgegründeten „Partei der Vernunft“ (PdV). Die politischen Ziele der PdV sind unter anderem die Abschaffung aller Steuern, des Euro und der allgemeinem Schulpflicht. Noch sitzt kein PdV-Abgeordneter in irgendeinem Parlament. Allerdings gibt es mittlerweile in allen 16 Bundesländern Landesgruppen der Partei. Janich selbst schreibt mittlerweile neben Büchern über kapitalistische Verschwörungen auch für das „compact-Magazin“.

Jürgen Elsässer und das "compact"-Magazin: Vom linken bis zum rechten Rand

Auch dieses Heft will „unabhängigen Journalismus“ bieten, auf der eigenen Homepage stellt sich die Redaktion als unbeugsames, gallisches Asterixdorf im Kampf gegen eine ominöse imperialistische „neue Weltordnung“ vor. Beim Blick ins Heft findet man dann ein Sammelsurium seltsamster Ideen und Ansichten: Ein langes Dossier darüber, dass der preußische Staat damals gar keine so schlechte Idee war und vielleicht eine Wiederbelebung verdienen würde. Die Angst, dass Schüler durch Toleranzprojekte in der Schule homosexuell werden könnten, hat ebenfalls einen Platz im Heft. Auch eine Story über die Freimaurer darf natürlich nicht fehlen. Chefredakteur von „compact“ ist Jürgen Elsässer. Auch er gehört zu den Stars der Wahrheitsbewegung schreibt Bücher und hält Vorträge über alles, was seine Anhänger so interessiert – Finanzverschwörung, Terrorismus, Globalisierungstheorien, etc. Bekannt wurde der ehemalige Lehrer aus Pforzheim als einer der Protagonisten der radikal linken Bewegung der Antideutschen. Heute reicht das politische Spektrum seiner Positionen vom linken bis zum rechten Rand.

 Misstrauen in alles Offizielle - von Medien bis zur Politik

Das ist ein typisches Merkmal der Wahrheitsbewegung: Politisch kann man sie nicht einordnen. Abgesehen davon, dass klassische Parteienpolitik allgemein eher misstrauisch beäugt wird, gibt es von allem etwas. Ein paar konservative, ein paar linke, ein paar liberale und auch ein paar rechte Ansichten – viele Anhänger und Engagierte in der Wahrheitsbewegung haben ein ganz eigenes politisches Weltbild. Nicht nur politisch, auch ganz allgemein lässt sich die Wahrheitsbewegung schwer fassen. Die Ansichten und Interessen der Szene sind zu verschieden, um sie beispielsweise in einer bundesweiten Organisation bündeln zu können. Der kleinste gemeinsame Nenner ist das Misstrauen in alles Offizielle - von Medien bis zur Politik.

Verschwörungstheorien - Hobby oder Wahn?

Sind Verschwörungstheorien nur ein etwas außergewöhnliches Hobby oder wirklich gefährlicher Wahn? Für Ersteres sprechen unsere netten bis amüsanten Erfahrungen mit dem Münchner Stammtisch oder der Demo in Karlsruhe. Misstrauen auf unserer Seite machte sich breit als Alexander Benesch plötzlich seine Telefonnummer abgemeldet hatte und nicht mehr zu erreichen war. Auch Jürgen Elsässer wollte uns nur als Presse auf einem Kongress über den 11. September sehen, wenn M94.5 vorher Werbung für die Veranstaltung im Programm macht. Den unabhängigen Journalismus, für den er sich angeblich so stark macht, stellen wir uns anders vor.

Die Fußnoten laufen am 25. September um 19. Uhr in der Originalversion. Die Wiederholung gibt es dann mittwochs um 13.00 Uhr. Demnächst auch – leider ohne Musik – hier im Internet in einer GEMA-freien Podcastversion.

Redaktion: Maximilian Scherer, Jasmin Körber, Eveline Kubitz und Kristin Ofer.


Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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M94.5 präsentiert
Donnerstag, 18. Oktober, 18 Uhr
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Munich Rocks!
Donnerstag, 18. Oktober 2018
 
Freitag, Samstag: 19./20. Oktober
 
Neuhauser Musiknacht
Samstag, 27. Oktober 2018
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