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Die M94.5-“Fußnoten“ zum Thema Graffiti in München

Vom Untergrund auf die Leinwand

Autor(en): Anton Stanislawski am Sonntag, 6. Juli 2014
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Quelle: © Radio M94.5(M94.5)

Foto von Graffiti Batzis Minga

Das Fußnotenteam ist bei den Recherchen in der Münchner Graffitiszene auf viele Konfliktlinien gestoßen. Doch eins ist klar: Münchner Graffiti lebt.

Graffiti ist Vandalismus. Graffiti ist Kunst. Graffiti ist Kick. Das Fußnotenteam ist bei seinen Recherchen in der Münchner Graffitiszene auf einige Konfliktlinien gestoßen. Doch eines hat sich gezeigt: Münchner Graffiti lebt.

Vom Untergrund auf die Leinwand

Als europäische Studenten Anfang der 80er Jahre in den USA auf Graffiti stießen waren sie mehr als erstaunt. So etwas gab es in Europa nicht. Für viele stand fest: das wollen sie auch machen. So schwappte Graffiti vom neuen auf den alten Kontinent über. München war dabei eine der ersten Anlaufstellen. Die Landeshauptstadt war schnell eine der Hochburgen des europäischen Graffiti und gilt als Geburtsstätte der deutschen Szene. Der unumstrittene Höhepunkt damals: der Geltendorfer-Wholetrain. Der erste vollkommen besprühte Zug Deutschlands. Die Königsdisziplin –  Züge bemalen – wurde auf ein neues Niveau gehoben. Erstmals wurde Graffiti auch in der deutschen Öffentlichkeit ein Thema.

„Erst Blech, dann Mauer“

In der Szene herrscht ganz klar der Antrieb: „Erst Blech, dann Mauer“ wie der Münchner Writer Scout sagt. In Geltendorf mit dabei: der inzwischen international bekannte Writer, Loomit. Mittlerweile hat er dem Illegalen abgeschworen und kooperiert mit der Stadt, die Projekte am Kunstpark stehen zum Beispiel unter seiner Leitung.

Seitdem hat sich einiges getan. Besonders Züge, S-, und U-Bahnen werden strikt bewacht. Die Deutsche Bahn stellt eine einfache Rechnung auf: „die Kosten, ihre Areale und Züge zu Überwachen, gegenüber den Kosten der Graffitibeseitigung“ sagt Stefan Heide, Polizist, beauftragt mit Münchner Graffiti Delikten. Das Risiko und die Strafen werden höher, München wird sauberer. Gegenüber Städten wie Hamburg und Berlin erscheint München heutzutage als sauber, ja sogar brav. Doch der Schein trügt, denn auch hier gibt es eine lebendige Szene. Harte Strafen, verstärkte Überwachung und zu wenig legale Flächen treiben die Writer, wie Graffitisprüher auch genannt werden, aber mehr  in den Untergrund.

Illegal vs. Legal

Tumblingerstraße, im Münchner Schlachthofviertel. Der Geruch von frischer Farbe liegt in der Luft. Writer versammeln sich hier um am helllichten Tag zu sprühen. Stundenlang kann sich ein Künstler Zeit lassen. Jeden Quadratzentimeter Mauer im Kopf durchgehen, sich in das Bild hinein versetzten, eine durchdachte Auswahl von Farben und Sprühköpfen wählen, um schließlich die ersten Linien zu ziehen. Beim nächtlichen, illegalen Malen kommt längst nicht die Qualität zustande wie hier. Denn hier ist Münchens bekannteste, legale Wand. Auch unter der Brudermühlbrücke, sowie an der Kultfabrik wird gemalt. Doch diese Flächen werden koordiniert. Nicht jeder darf sprühen. Die „Hall of Fame“ am Heimeranplatz darf nicht mehr benutzt werden, der S-Bahnhof „Oberwiesenfeld“ wird von der Deutschen Bahn nicht freigegeben. Die Wand an der Tumblingerstraße ist also faktisch die einzige, frei bemalbare Fläche, und sie bietet längst nicht genug Raum um dem münchner Bedarf gerecht zu werden. Anfänger haben hier kaum die Chance sich auszuprobieren.

Warum also setzt sich die Stadt nicht für mehr legale Wände ein? Gesprüht wird sowieso und Beispiele aus anderen Städten zeigen: je mehr legalen Raum es für Sprüher gibt, desto weniger illegales Graffiti gibt es. Inzwischen kommt Bewegung in das Thema, der Münchner Kulturausschuss plant eine Koordinierungsstelle. Urbane Kunst soll aktiv gefördert werden, auch indem bemalbare Flächen gezielt gesucht werden. Ein immer wieder auftretendes Gegenargument: für viele Writer ist das Illegale gerade der Reiz an der Sache. Es ist gerade der Kick und das Risiko dass sie suchen. Und es stimmt wohl tatsächlich: Graffiti ist untrennbar mit dem Illegalen verbunden. Die Konfrontation zwischen Rechtsstaat und Sprühern ist auch in München an der Tagesordnung.

Urban vs. Etabliert

Seit inzwischen 5 Jahren zieht es tausende Besucher zur jährlich stattfindenden „Stroke Art Fair“ in München. Und nicht zuletzt durch diese Messe ist klar: Urbane Kunst (und damit vor allem Graffiti und Street Art) will und muss ernst genommen werden. Das Image hat sich gewandelt: einst brandmarkte die Gesellschaft Graffiti als gesellschaftliches Randgeschehen, als Vandalismus. Jetzt ist es auch eine etablierte, anerkannte Kunstform. Hier spaltet sich die Szene. Endlich wird respektiert was Respekt verdient hat, sagen die Einen. Ist das überhaupt noch Graffiti, fragen die Anderen. Urbane Kunst wird dem breiten Publikum zugänglich gemacht, kommerzialisiert. Den Künstlern wird „Sell Out“ vorgeworfen, sie verkaufen sich und ihre Werke. Marco Schwalbe, Creative Director und Mitbegründer der „Stroke“ wehrt sich gegen die Vorwürfe: „Viele unserer Künstler haben mit Illegalem Malen angefangen. Wenn sie dann merken dass man mit Dose oder Stift noch mehr machen kann, und wenn sie damit auch noch ihren Lebensunterhalt verdienen können, sei ihnen das doch gegönnt“.

Zumindest die Frage ist aber berechtigt: Wohin entwickelt sich Graffiti? Vom Schriftzug bei dem es vor allem um Stil und Können geht, über Street Art die häufig Botschaften vermitteln will, bis hin zu vollgehäckelten Laternenpfählen. Ist Graffiti, das in Galerien ausgestellt wird noch Graffiti? Oder braucht es die Wand oder die Außenseite eines Zuges und das Adrenalin des Illegalen um authentisch zu sein? Oder geht es letztlich einfach darum mithilfe von Dosen sein Werk zu hinterlassen? Egal ob auf S-Bahn, Bauzaun, oder Leinwand?


Wir waren auf nächtlichen Streifzügen mit Writern unterwegs, haben die Münchner Urgesteine Loomit, Scout und Lando auf einen Spaziergang durch die Kultfabrik begleitet, und uns auf der „Stroke“ umgesehen. Die Münchner Polizei und die Deutsche Bahn haben ihre Sicht der Dinge dargelegt. Der Street Art Autor Martin Artz hat uns erklärt wie er die Münchner Szene sieht. Und der Kunsthistoriker Dr. Florian Matzner hat mit uns über Kunst oder Nicht-Kunst diskutiert. Begleitet uns auf einen einstündigen Trip in die Münchner Graffiti-Szene.

Die Fußnoten - das Radiofeature auf M94.5. Am Sonntag den 06. Juli und in der Wiederholung, zwei Wochen später, am 20. Juli - immer um 19 Uhr.

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