Tierschutz
Wird jetzt doch länger ohne Betäubung kastriert?
Ferkel dürfen ab 2019 nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden. Die Bundesregierung möchte jedoch die Verbotsfrist verlängern.
Schinken, Wurst, Schnitzel und Schweinebraten: Das Schwein ist in Deutschland Nutztier Nummer eins. Damit sich bis zur Schlachtung der von Verbrauchern als unangenehm empfundene Ebergeruch nicht entwickeln kann, werden die männlichen Exemplare seit jeher einige Tage nach der Geburt kastriert. Etwa 25 Millionen Ferkel werden jährlich bei vollem Bewusstsein die Hoden entfernt. Eigentlich ist die betäubungslose Kastration in Deutschland schon seit 2013 verboten, denn das Tierschutzgesetz besagt: „An einem Wirbeltier darf ohne Betäubung ein mit Schmerzen verbundener Eingriff nicht vorgenommen werden.“ (§5)
Als Übergangsfrist wurde den Schweinezüchtern damals gewährt, ihre Ferkel bis zum 01.01.2019 weiterhin ohne Betäubung zu kastrieren. Jetzt wehren sich Schweinehalter so vehement, dass die Große Koalition am 1. Oktober beschlossen hat, die betäubungslose Ferkel-Kastration für zwei weitere Jahre zulassen zu wollen.
Die Debatte ist kontrovers
Die Spitzen von Union und SPD haben ihre Fraktionen beauftragt, eine Initiative zur Verschiebung des zum 1.1.2019 greifenden Verbots vorzulegen. Grund dafür ist vor allem die finanzielle Bedrohung der Schweinemastbetriebe, die mit dem Verbot einhergehen. Da die Alternativen zur betäubungslosen Kastration bisher noch nicht ausgereift seien, drohe vielen Betrieben das Ende ihrer Existenz. Sie können die Forderungen nicht ohne ökonomische Einbußen erfüllen.
Wer das Inkrafttreten des Verbots ab Januar den Tieren zuliebe dennoch unterstützt, hat laut der Bayerischen Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber nicht daran gedacht, dass ein derartiger Rückgang der deutschen Schweinemast zu einem Importzuwachs aus Ländern mit schlechteren Tierschutzstandards führen würde. Sie hat sich daher erleichtert zum Beschluss der Bundesregierung gezeigt.
"Verrat am Tierschutz"
Tierschützer kritisieren die Regierung vehement. Der Deutsche Tierschutzbund hat die Pläne zur Verlängerung der Frist als „Verrat an den Ferkeln und am Staatsziel Tierschutz“ bezeichnet. Die Branche habe mit sechs Jahren bereits eine lange Vorbereitungszeit gewährt bekommen und könne diverse Alternativen bereits einsetzen.
In Dänemark und den Niederlanden betäuben die Schweinezüchter ihre Tiere selbst und das lokal. Deutsche Tierschützer betrachten dieses Verfahren aber nicht als tierschutzkonform, da die Injektion von Lokalanästhetika laut zahlreicher Studien den Schmerz nicht komplett ausschaltet und zusätzlichen Stress verursacht.
Die Alternativen stehen schon zur Verfügung
Vom Deutschen Tierschutzbund werden drei Alternativen favorisiert. An erster Stelle steht die sogenannte Ebermast. Dabei wird vollständig auf eine Kastration verzichtet, sodass die „stinkenden“ Tiere nach der Schlachtung von den geruchslosen getrennt werden. Denn bis zur Schlachtung bildet nur ein kleiner Anteil der Eber den typischen Ebergeruch aus. Bei der Aufzucht von Ebern muss allerdings ihr verstärkt rivalisierendes und aggressives Verhalten im Vergleich zu unkastrierten Tieren beachtet werden. Dass sich Tiere gegenseitig Schaden zufügen, darf nicht der Preis für die ersparte Kastration sein.
Es gibt als weitere Möglichkeit eine Art Impfung gegen die Ausbildung von den Hormonen, die den Geruch verursachen. Man nennt das Immunokastration.
Diese Methode bietet viele Vorteile und hat keinerlei Auswirkungen auf die Gesundheit der Verbraucher. Der Markt lehnt es bisher aber noch ab, Fleisch von immunokastrierten Schweinen anzubieten.
Auch eine Kastration unter einer Inhalationsnarkose ist denkbar. Um dieses Vorgehen praktikabel zu machen, bräuchte es laut Tierschutzbund eine rechtliche Regelung, die es Landwirten nach entsprechender Fortbildung erlaubt, die Tiere der Inhalation auszusetzen.
Der Tierschutzbund weist aber darauf hin, dass Betäubungspflichten nur eine Übergangslösung sein können. Mittelfristig sollen Kastrationen nicht mehr durchgeführt werden. Dass die bisherige Praxis jetzt noch zwei Jahre fortgesetzt werden soll, ist für sie in den Worten von Renate Künast der „Alptraum aller Tiere“.