Redaktionen im Ausnahmezustand
Zurück zur Normalität
Die Anschläge von Paris stellen Journalisten in aller Welt vor eine große Herausforderung. Ein Einblick, was in solchen Fällen hinter den Medien-Kulissen passiert.
Es waren Bilder der Angst während den Terroranschlägen. Nicht nur die, von den Straßen in Paris, sondern auch in den Gesichtern und Stimmen der Reporter und Kommentatoren während des Freundschaftsspiels Deutschland gegen Frankreich am 13. November. “Das Erste” hatte sich entschieden, die Fußballübertagung weiterzuführen, zum Leidwesen der Moderatoren:
Was für ein Horror! Ich danke allen, die uns die Daumen drücken...#PrayForParis
— Matthias Opdenhövel (@MOpdenhoevel) 13. November 2015
Fußball- und Terrorberichterstattung passen nicht zusammen
Wenn man sich in den Kopf eines Moderators an diesem Tag versetzt, kann man die Ausgangssituation wie folgt beschreiben:
Es gibt keine Informationen, außer den Knall, den jeder gehört hatte, und dass es wohl mehrere Anschläge gab. Die Angst um das eigene Leben hatte sich auch unter den Moderatoren und in der Redaktion ausgebreitet. Über Fußball konnte zwar jeder Anwesende reden, wollte aber aus ersichtlichen Gründen niemand. Das Resultat waren Interviews mit Fußballern und dem Bundestrainer über die Anschläge, die eigentlich nur sagen konnten, dass sie auch selbst Angst haben. Das fanden nicht alle TV-Zuschauer gut.
Endlich im Flieger nach FRA... Danke für Schlaumeierkritik aus D. Tut gut nach so einer Nacht vor Ort im Auge des Terrors. #ParisAttacks
— Matthias Opdenhövel (@MOpdenhoevel) 14. November 2015
Es war rückblickend wahrscheinlich die falsche Entscheidung, die Übertragung des Fußballspiel fortzuführen und die Berichterstattung nach dem Spiel so weit in die Länge zu ziehen. Allerdings kann man der ARD keinen allzu großen Vorwurf machen, angesichts der extremen Ausnahmesituation.
Auch wir von M94.5 sahen uns gezwungen, am nächsten Tag ein paar Programmänderungen vorzunehmen. Unsere Comedy-Sendung “Katerfrühstück” haben wir am Samstag Vormittag gestrichen. Witze hätte zu diesem Zeitpunkt sicher niemand hören wollen. Darüber hinaus gab es in der Hörbar am Montag Vormittag dann nur ein Thema: #PrayForParis. Hintergründe, Details, Expertenstimmen. Wie bei allen anderen Sendeanstalten auch.
Ausnahmezustand - aber wie lange?
Seit mehreren Tagen behandeln die Medien das Thema aus jeder Perspektive. Aber ab wann darf man - oder besser - wann sollte man zur Normalität zurückkehren? Auch über andere, unterhaltsame Themen berichten? Heute? Morgen? Wenn man keine neuen Informationen hat? Wenn man die Ausmaße erkannt hat? Wenn man das Thema nicht mehr hören kann?
Es ist Balanceakt zwischen Moral, Kampf um Aufmerksamkeit, Trauer, und wann man lange genug getrauert hat. Wir bei M94.5 haben am heutigen Dienstag beschlossen, auch wieder heitere Elemente in die Sendung aufzunehmen, und auch mal wieder herzlich zu lachen.
Jede Redaktion wird diese Entscheidung für sich selbst treffen müssen, am Besten unabhängig davon, wie der bunte Medienzirukus mit dem Thema umgeht. Denn es ist abzusehen, dass in der Social-Media-Welt die Trauer ähnlich schnell abflaut, wie sie angefangen hat (es heißt nicht umsonst "temporäres" Profilfoto), und dass frankophile Magazine sich noch Monate mit dem Thema beschäftigen werden.
In der Frage, an welcher Stelle dieser beiden Extreme man stehen will, müssen sich Journalisten auf das eigene Gefühl verlassen und die Werte der jeweiligen Einrichtung vertreten. Denn „In der Krise beweist sich der Charakter“ - Helmut Schmidt.
Weiterlesen:
- Sportlight: Solidarische Franzosen
- Social Media Anteilnahme: #prayforparis?