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Zweimal die Stunde unter Beschuss

Autor(en): Tobias Schulze am Montag, 22. November 2010
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Vor genau 15 Jahren ging mit dem Dayton-Vertrag der Krieg in Bosnien zu Ende. Im Gespräch mit M94.5 denkt Peter Klapper an seine Begegnung mit dem Krieg zurück: Für das Bayerische Rote Kreuz führte er 1995 einen Hilfskonvoi von München in die bosnische Stadt Prozor. Die war damals schon befriedet - aber schwer zerstört.
Vor genau 15 Jahren ging mit dem Dayton-Vertrag der Krieg in Bosnien zu Ende. Im Gespräch mit M94.5 denkt Peter Klapper an seine Begegnung mit dem Krieg zurück: Als Leiter der Auslandeshilfe des Bayerische Rote Kreuzes (BRK) führte er 1995 einen Hilfskonvoi von München in die bosnische Stadt Prozor. Die war damals schon befriedet - aber schwer zerstört.

M94.5: Herr Klapper, wie kam es denn dazu, dass das BRK einen Hilfskonvoi nach Bosnien geschickt hat?

Peter Klapper: Die Franziskaner aus Bosnien hatten hier in München eine Niederlassung, und hier sprach sich herum, dass das BRK humanitäre Transporte unternimmt. Überlegungen, nach Bosnien zu fahren, gab es schon vor 1995. Aber in das direkte Kriegsgebiet durften wir nicht fahren. Deshalb versorgten wir vorher die Bevölkerung mit Hilfsgütern auf LKWs, die uns von den Padres aus Bosnien geschickt wurden und durch das Kriegsgebiet mit unseren Hilfsgütern gefahren sind. Es wurden da Bekleidung, Decken, Schuhe, Nahrungsmittel und Medikamente dringend benötigt, die wir auch in großer Zahl runter gebracht haben.

In der Region Rama-Prozor war der Krieg im Sommer 1995 bereits vorbei, in anderen Gebieten wurde aber noch gekämpft. Einfach war die Fahrt dorthin also wohl kaum?

Es gab sehr große Hindernisse: Die kroatische Küstenstraße konnten wir nicht befahren, weil sie unter Beschuss stand. Die UNO hat uns dazu geraten, die Fähre von Rijeka nach Split zu nehmen. Bei der Einfahrt in den Hafen von Split erwartete uns schon das kroatische Rote Kreuz und war begeistert von der Hilfe, die wir gebracht haben und davon, dass wir uns selber in dieses Krisengebiet begeben wollten mit unseren Fahrzeugen.

Und wie ging es von Split hinein ins Landesinnere Bosniens?

Schon als wir von der Fähre gefahren sind, haben wir im Hafen von Split eine Unzahl von Militärfahrzeugen gesehen. Und als wir uns dann über die Grenze nach Kamensko machten, sahen wir schon von weiten, dass da zig Panzer standen. Wir reihten uns dann ein in diesen Konvoi - das war diese UN-Eingreiftruppe, französische, schwedische Einheiten - und wir waren unversehens in der Mitte der Einheiten und wurden von denen beschützt.
Die Fahrt war äußerst gefährlich: Die Straße war zunächst ein Feldweg, den die UNO ausgebaut hat, um gepanzerte Fahrzeuge ins Kriegsgebiet hinein zu fahren. Es gab nur wenige Ausweichstellen. Auf der einen Seite war das Gebirge, auf der anderen ging es steil runter. Zum Teil dreißig, vierzig Meter. Wir sahen sehr viele Fahrzeuge, die in diesen Abgrund gestürzt waren.

Eine Alternativroute gab es nicht?

Eine Alternativroute wäre die ganz normale Teerstraße gewesen. Man teilte uns mit, dass die unter Beschuss steht. Man könne sich aber nach den Beschusszeiten richten: Alle halbe Stunde wird diese Straße unter Beschuss genommen und wenn wir in der Lage wären, mit unseren Fahrzeugen in einer halben Stunde durchzufahren, dann könnten wir unbeschädigt fahren. Das war mir aber zu unsicher, ich hatte ja die Verantwortung über zwölf Sanitäter des BRK.

In der Gegend um Prozor war der Krieg schon vorbei, die Einheiten hatten sich in Richtung Sarajevo zurück gezogen. Wie sah es in der Region aus?

Es war beklemmend. Die Stadt Prozor war zum Großteil zerstört. Es war, als wären vor einer halben Stunde die letzten Häuser bombardiert worden. Man hat noch die verkohlten Balken gesehen...es war ein beklemmender Zustand. Entsprechend verhielten sich auch die Leute, die waren sehr niedergeschlagen. Wir natürlich auch. Es war eine ganz schlimme, beklemmende Stimmung in der Stadt.

Während des Kriegs kam es zwischen den Angehörigen der verschiedenen Ethnien zu fürchterlichen Verbrechen.
Die Bewohner Prozors waren zum Großteil bosnische Kroaten. Wie haben die denn nun über die anderen Ethnien, Serben und Muslime gedacht?

Dazu möchte ich nicht Stellung nehmen. Wir vom Roten Kreuz haben die Aufgabe, allen zu Helfen - gleich welcher Herkunft. Allerdings hat man mir in Prozor Gräber gezeigt, in denen ganze Familie lagen. Zum Beispiel eine Familie mit sechs, sieben Kindern. Die wurden von der Gegenseite regelrecht hingemetzelt. Und solche Gräber gab es mehrere.

Wie hat sich die Bevölkerung ihnen gegenüber verhalten?

Die Dankbarkeit war sehr groß. Es kamen mehrere Interviews mit uns im Fernsehen. Daher hat man uns in Prozor und überall, wo wir uns auf der Straße zeigten, empfangen, verwickelte uns in Gespräche und wies uns darauf hin, wie dankbar man ist.

Nach ein paar Tagen in der Region sind sie wieder Richtung Deutschland abgefahren. Wie war da die Stimmung in ihrem Team?

Die war niedergeschlagen. Lange ist im Funkverkehr in unseren Fahrzeugen nicht gesprochen worden. Jeder kehrte in sich ein und machte sich so seine Gedanken. Das war die eine Seite. Die andere Seite war: Wir waren innerlich sehr glücklich, sehr zufrieden. Und man konnte sagen: Wir haben wirklich aktiv einer Bevökerungsschicht helfen können, die am Boden war.

Seit 1995 waren sie ungefähr 50 mal mit Hilfstransporten auf dem Balkan, auch in Bosnien. 15 Jahre nach dem Krieg - wie ist die Situation der Bevölkerung heute?

Die Stimmung ist schlimm. In Bosnien sind noch sehr viele Zerstörungen zu sehen. Sehr viele Gebäude sind noch nicht aufgebaut, sind halb aufgebaut. Die Finanzkrise, die auch Bosnien erreicht hat, zwingt die Leute, die Bauten einzustellen. Teilweise müssen sie sogar ihre Häuser versteigern, weil sie die Darlehen nicht mehr bezahlen können.

Gibt es dort heute ein Miteinander der verschiedenen Ethnien?

Man lebt ehr nebeneinander her. Wenn sie von einem Dorf zum anderen fahren, sehen sie genau: Hier sind Moslems, hier sind Katholiken. Als ob zwischendrin ein Niemandsland wäre. Da ist noch überhaupt nichts zusammengewachsen.

Welche Perspektive geben sie dem Staat Bosnien-Herzegowina?

Die Perspektive schaut nicht sehr gut aus. Besonders für die jungen Leute. Sie studieren zwar - aber wenn sie mit dem Studium fertig haben sie keine Chance auf irgendeine Anstellung. Es wird noch lange dauern, bis die einen Standart erreicht haben, bei dem man sagen kann: Jetzt ist keine Hilfe mehr notwendig.

Der Krieg in Bosnien, das heutige Bosnien-Herzegowina und wie bosnischstämmige Münchner darüber denken, ist auch Thema der nächsten Ausgabe der M94.5-Fußnoten. Am Sonntag, 28. November um 19 Uhr und in der Wiederholung am Mittwoch, 1. Dezember um 13 Uhr.


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