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Jüdisches Museum München

Sensibel für die Sportler

Autor(en): Justin Patchett am Mittwoch, 22. Februar 2017
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Quelle: Jüdisches Museum München

Der Läufer Ernst E. Simon | Berlin, um 1919 | Familie Simon, Israel

Im Jüdischen Museum beginnt ab heute die Ausstellung "Never Walk Alone. Jüdische Identitäten im Sport". Sie zeigt: Für Juden war hier nicht immer Platz.

“Die Ausstellung ‘Never walk alone’ beginnt im zweiten Stock. Sie nehmen natürlich die Treppe”, erklärt Jutta Fleckenstein, Kuratorin des Jüdischen Museums in München. “Bis zum Ende der Stufen können Sie nochmal darüber nachdenken, wie es bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts gewesen ist, als physische Strapazen noch nicht in Mode waren.”
Und tatsächlich: die Stufen bis in das zweite Obergeschoss sind riesig und die Treppe lang. Eigentlich genug Zeit, um nachzudenken. Doch viel mehr beschäftigt die Frage, wie Sport denn überhaupt Mode werden konnte, bei all der Anstrengung.

Kein Platz für Deutsche jüdischer Herkunft

Zur damaligen Jahrhundertwende sei Begeisterung für die Bewegung aufgekommen und so “öffnete sich für die Gesellschaft ein ganz neues Spielfeld, in dem auch Deutsche jüdischer Herkunft ihren Platz finden wollten”, so Jutta Fleckenstein, die nun vor einem Kicker in Lebensgröße steht. Darauf aufgestellt sind die Geschichten jüdischer Sportler und Sportlerinnen; vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute. Und all die Biographien zeigen: für deutsche Juden war auf dem Spielfeld der Bewegungsbegeisterung so gut wie kein Platz.


Der "Kicker" in Lebensgröße.  Quelle: M94.5/Patchett

Für die Ausstellung “Never Walk Alone. Jüdische Identitäten im Sport”, die vom 22. Februar bis zum 7. Januar 2018 im Jüdischen Museum München stattfindet, hat sich Jutta Fleckenstein gefragt, ob anhand der Sportgeschichte beobachtet werden kann, wie “jüdische Identität konstruiert und rezipiert” wird. Der Sport und die Sportgeschichte als Spiegel der Gesellschaft also.

Sport als Spiegel der Gesellschaft

Fixiert sind diese Geschichten auf überdimensionalen Kickerstangen. Dort findet sich zum Beispiel der Name von Helene Mayer, die bei den Nationalsozialisten als “Halbjüdin” galt und an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin nur deswegen teilnehmen durfte, weil die Nazis einen Boykott anderer Teilnehmerstaaten verhindern wollten. Als Gewinnerin einer Silbermedaille zeigte sie, wie alle anderen Sieger auch, den Hitlergruß auf dem Siegerpodest und war fortan nicht nur geächtet von den Nazis, sondern auch von der jüdischen Gemeinschaft. Andere Juden durften bei den Olympischen Spielen von '36 nicht einmal teilnehmen. Gretel Bergmann zum Beispiel, deren Leistungen im Hochsprung laut den Nationalsozialisten nie ausreichend gewesen waren, obwohl sie kurz vor den Spielen den deutschen Rekord einstellte.


Helene Mayer gilt als bedeutendste Fechterin aller Zeiten.
Quelle: M94.5/Patchett

"Abseitsfalle" der Nazis

Wenngleich die Ausstellung des Jüdischen Museums also mehr Sportarten als nur den Fußball betrachtet, so wird hier Geschichte dennoch stets mit Begriffen des Fußballs erklärt. So benutzten die Nazis “durch gleichzeitiges Vorrücken” die Abseitsfalle. “Nicht mehr eine Selbstwahrnehmung entscheidet darüber, wo Sportler auf dem Feld stehen, sondern nur noch eine Zuschreibung von außen”, erläutert Jutta Fleckenstein. Auf diese Art wird Gretel Bergmann von der deutschen Hochspringerin und Rekordhalterin zur verbannten Jüdin - von außen; sie hat darüber nichts zu entscheiden. Deswegen betont die Museumskuratorin: “In der Ausstellung geht es weniger darum, Sportler jüdischer Herkunft als solche festzuschreiben, sondern viel eher darum, die verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten einer bestimmten Identität innerhalb ihres Umfeldes zu beleuchten.”

Niemals alleine gehen

So verwundert es nicht, dass am Ende des Riesenkickers die Kinderschokolade an der Wand hängt. Vor der Fußball-EM in Frankreich letztes Jahr wurden hierzulande die jungen Abbilder einzelner Spieler der Nationalelf auf der Verpackung abgedruckt - statt des sonst typisch-deutschen Pausbacken Bubis. Die “patriotischen Europäer” der Pegida beschwerten sich vor allem über den kleinen Jerome Boateng, der zwar nicht jüdisch, dafür aber nach Meinung der Pegida-Anhänger nicht deutsch genug war - ein weiteres Beispiel für eine Zuschreibung von außen, um die es dem Jüdischen Museum mit dieser Ausstellung geht und die sich im Sport, der ja die Massen bewegt, so oft äußert.

Begibt man sich nun wieder über ein paar der riesigen Stufen nach unten, von dem zweiten in das erste Obergeschoss, so steht man plötzlich direkt von einer Tribüne. Zwar ist sie nicht echt, aber all diese gezeichneten Figuren türmen sich direkt vor einem und bilden eine geschlossene Wand. Für einen Moment wird man selber zum Sportler, spürt die unzähligen, urteilenden Blicke der Tribüne. “Man kann, wenn man die Ausstellung besucht und sich mehr über Identitätsbildung aneignet, sensibler sein”, findet Jutta Fleckenstein.
Sensibler sein für Sportler. Vielleicht müssen sie so, unabhängig ihrer Ethnizität, dann tatsächlich niemals alleine gehen.


"Die Tribüne" im ersten Obergeschoss.
Quelle: M94.5/Patchett
 

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