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Ein hermeneutischer Wegweiser anhand von: soda - ganglien (2012)

Durch abstrakte Landschaften

Autor(en): Matthias Dietrich am Dienstag, 5. Juni 2012
Postrap ist das beste Beispiel: Abstraktion als künstlerisches Verfahren macht Musik komplexer und fordert den Hörer. Aber es lohnt sich... Abstract
Postrap serviert einem für gewöhnlich die Message nicht auf dem Silbertablett, sondern fordert hermeneutische Eigenleistung des Hörers: Was erst abstrakt und womöglich unzusammenhängend wirkt, erzeugt so prozessual und fortschreitend individuelle Bedeutung. Das mag auf den ersten Blick anstrengend klingen; es ist aber auch das, was diese Form der Musik und (post/moderne) Kunst insgesamt auszeichnet und so interessant macht.
Besser könnte man das gar nicht sagen, als es dieses Video zu
sodas Instrumental-Track ganglien ganz ohne Worte macht.

I. Ausgangsmaterial

Pixel, Linien, mehr oder weniger große Flächen, grau auf schwarz.
Das ist, was wir sehen, wenn wir sodas Video zu 'ganglien' betrachten.
Abstrakt wirkt das, weil nichts Gegenständliches erkennbar zu sein scheint. Anfangs.

II. Auslegung

Plötzlich aber ist da doch so etwas. Die Veränderungen der Pixelansammlungen legen es nahe: Man meint, eine Bewegung zu erahnen (~0:43). Jemand geht durch die Nacht (denn: ist ja alles schwarz=dunkel sonst).
Und dann ergeben auch die einzeln auftauchenden Pixel Sinn: Sterne (~0:58).

Mit dem (damit angenommenen) Blick nach oben aber ergibt sich ein neuer Eindruck: Heller Himmelsausschnitt vor dunklen Baumwipfeln (~1:08). Und mit einem Mal könnte es auch Tag sein. Es ist lediglich eine subjektive Frage, ob man den Kontrast als tagsüber oder nachts deutet.
Der Wechsel von der Nacht zum Tag vergrößert seinerseits Bedeutungspotenzial der vertikalen Linien: Bislang nur abstrakte geometrische Formen, werden sie nun denkbar als Regen (~1:10).

Aus den zu Beginn abstrakten Erscheinungen wäre damit etwa ein Subjekt geworden, das tags/nachts zu Fuße der Baumwipfel wandelt, steht und emporblickt – den Regentropfen/Sternen entgegen.*

Die Reduktion eindeutiger (Bild-)Informationen erzeugt also einen Mehrwert an möglicher Bedeutung.

III. Ausweitung

Und eben das ist das Verfahren, wie viele poetische und v. a. lyrische Texte funktionieren:
Nicht festgelegt auf eine bestimmte Aussage, welche der Autor macht, sondern bloß ein Angebot an den Rezipienten, das dieser individuell mit Bedeutung, mit Sinn zu füllen hat. Das verlangt Eigenleistung des Wahrnehmenden, ein Bemühen um Verstehen, ein Erarbeiten von Sinn. Und deshalb mag diese Art von Kunst anfangs anstrengend wirken oder sein.

Aber es lohnt sich, wie ich finde, sich darauf einzulassen: Denn Sinn kann so immer wieder neu entstehen; die Aussage des Werks bleibt nicht stehen. Verstehen wird ein fortschreitender Prozess; und der Leser/Hörer bekommt Anteil an der künstlerischen Schöpfung.

Wir alle sind Urheber.



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* Ich breche die Auslegung an dieser Stelle ab, da mir das Prinzip deutlich geworden scheint. Zudem geht es ja gerade darum, den Rezipienten (zumindest fortan) sich seinen eigenen Weg durch die Bilderwelten finden zu lassen.

'ganglien' ist erschienen auf mehr (Postrap 6/2012)
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