Im Gespräch mit Harald Lesch
Wenn Wissenschaft auf Politik trifft, wird es meist problematisch. Dieser Ansicht ist zumindest der Astrophysiker Harald Lesch. Charlotte Gerling hat mit ihm über gekaufte Wissenschaftler und unterfinanzierte Geisteswissenschaften gesprochen.
M94.5: Geld, Macht und Wissenschaft – wo steht in diesem Spannungsfeld die Universität?
Harald Lesch: Die Universität steht genau in diesem Spannungsfeld. Sie muss ja von der Macht, also von der Politik, irgendwie das Geld bekommen, damit sie das tun kann, was sie gerne möchte, nämlich ausbilden und Wissenschaft betreiben. Das heißt, sie ist auf der einen Seite Berater der Politik, auf der anderen Seite aber eben auch abhängig und das ist in den letzten Jahren immer schlimmer geworden. Die Politik hat schon gemerkt, dass da tolle Sachen rauskommen aus der Wissenschaft, aber sie möchte die Kontrolle behalten. Die Universität ist eben so ein Marktplatz, aber auch ein Kontrollorgan über die Geldvergabe innerhalb der Universität, das ist die eine Seite. Also, wer bekommt denn nun das meiste Geld von den Wissenschaften – ganz offensichtlich die Naturwissenschaften und die Medizin, die Geisteswissenschaften viel zu wenig. Auf der anderen Seite muss sie der Politik gegenüber Verantwortung übernehmen für das, was sie tut. Das ist eine ganz schwierige Situation.
Gibt es für dieses Dilemma eine Lösung?
Ich würde immer an die Politik appellieren, sie sollen uns in Ruhe lassen. Wir haben jetzt so viele Reformen hinter uns, es müsste mal so ein Jahrzehnt reformfreie Zone geben, dass man erstmal wieder in Ruhe arbeiten könnte, das wäre schonmal fein. Und bitte keine Mittelkürzungen mehr. Ein finanzieller Sicherheitsgurt um die Universitäten, der nicht angerührt werden darf, das wäre eine feine Sache.
Was will denn die Gesellschaft eigentlich genau von der Wissenschaft?
Das, was jemand von Wissenschaft verlangt ist, er muss was sehen. Es muss eine Maschine dabei rauskommen, irgendwas womit man tatsächlich was anfangen kann. Eine Maschine, die man zu Hause benutzen kann, man denke an die Digitalkamera heutzutage. Oder in der Medizin, irgendeine Entdeckung, die dann für die Medizin, für die eigene Gesundheit von Bedeutung ist. Aber Erkenntnis, dass man alleine nur nach Erkenntnis sucht, das ist doch weiten Teilen der Bevölkerung nicht wirklich klar zu machen. Dann sagen viele, das interessiert mich nicht, ich will, dass es mir was nutzt, die Nutzenfrage. Deswegen ist es natürlich auch so, dass die Naturwissenschaften so gut dastehen, weil viele ihrer Ergebnisse in Technologie umgewandelt worden sind. Das fängt bei der Eisenbahn an, beim Fliegen, das Auto, alles um uns herum. Alles, was wir um uns herum haben, ist ja letztlich eine Verwandlung von naturwissenschaftlicher Erkenntnis in Technik, was immer Sie nehmen. Das ist das einzige, was die Gesellschaft langfristig interessiert. Ergebnisse der Geisteswissenschaften kommen da häufig viel zu kurz.
Die Wissenschaften, die nicht unmittelbar zu einem technologischen Nutzen führen, die werden von der Politik oder insgesamt von der Gesellschaft nicht besonders wahrgenommen und werden auch als unwichtig erklärt und können dann gestrichen werden. Und das ist ein ganz fataler Fehler. Man weiß nie, zu was man eine Wissenschaft irgendwann gebrauchen kann.
Die Politik nimmt die Wissenschaft nicht ernst, ist das Ihrer Ansicht nach richtig?
Es werden immer nur solche Wissenschaftler ernst genommen, die in die politische Meinung haben, die die richtige Position haben. Man findet zu jedem Thema einen Wissenschaftler, der das sagt, was die politische Kaste gerne hören will. Und die werden gerne genommen, die werden auch gerne unterstützt. Ich habe schon den Eindruck, dass es einen ganz starken Hang zur Beratungsresistenz gibt. Was nicht in das politische Bild passt, wird einfach nicht wahrgenommen. Da kann die Wissenschaft noch so viel erforschen.
Ein Beispiel dazu?
Zum Beispiel beim Klimawandel, da ist es ja in der Tat so: Die Bush-Administration hat das wirklich vorexerziert, wie man Wissenschaftler einkaufen kann, die einfach immer wieder sagen, es gibt keinen Klimawandel und es gibt keinen Einfluss der Menschheit auf das Klima. Das wird sogar richtig bezahlt. Und wenn das dann aufgedeckt wird, diese ganzen Bestechungsverfahren, dann muss man einfach sagen, das ist ein ganz typisches Beispiel dafür wie Wissenschaft korrumpiert wird und Wissenschaftler korrumpiert werden und wie das ganze System eigentlich benutzt wird, um politische Ziele zu erreichen. Letztlich geht es um Machterhalt.
Sind die Ergebnisse der Wissenschaften nicht manchmal viel zu komplex oder kompliziert, um sie richtig zu kommunizieren?
Es ist halt so, dass jede Wissenschaft den Hang dazu hat, sich immer weiter zu spezialisieren. In den Naturwissenschaften ist es in der Summe so, dass die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilen der Natur immer mehr zum Thema werden. Dann ist man im Netz. Und Netze sind schwierig zu verstehen, weil die sich auch gegenseitig unterstützen oder gegenseitig zerstören können. Alles das, was mit der Veränderung von Natur zu tun hat durch den Menschen, ist eine netzartige Angelegenheit, weil verschiedene Bereiche der Natur ineinander greifen. Da gibt es den Boden unter unseren Füßen, es gibt die Flüssigkeiten, die Gase, und wir sind gerade dabei zu lernen, wie das eine auf das andere wirkt. Und wir sind gerade dabei etwas zu lernen, was unsere Altvorderen schon immer gewusst haben: Respekt vor der Natur zu haben und sehr, sehr vorsichtig mit ihr umzugehen. Das scheint ganz wichtig zu sein und das haben wir glaube ich die letzten 200 Jahre ein bisschen vergessen.
Was für eine Wissenschaft bräuchten wir, um das alles zu fassen, und zwar nicht nur an den Universitäten?
Man bräuchte zumindest in der Ausbildung erst einmal Plattformen, wo sich Studenten aus ganz verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen regelmäßig treffen können. Ich glaube, dass Interdisziplinarität von oben nicht verordnet werden kann, sondern immer nur auf der Ebene der persönlichen Freundschaft funktioniert. Aber dazu braucht es Möglichkeiten. Universitäten müssen Möglichkeitsräume entstehen lassen, wo Studenten oder Professoren aus verschiedenen Fachbereichen sich mal treffen können. Wir stehen hier z. B. Vor einem Poster von der katholischen Fundamentaltheologie. Ich mache regelmäßig ein Seminar mit einem Kollegen aus der katholischen Fundamentaltheologie, weil er ein guter Freund von mir ist. Deswegen machen wir das und deswegen sitzen Studenten da zusammen, die sich normalerweise nie treffen würden. Katholische Theologie und Physik, die sind doch an der Uni so weit auseinander. Ich glaube, Freundschaft ist die einzige Möglichkeit, die Wissenschaften darin zu unterstütze, dass die Fachbereiche zusammen kommen, und das ist das Allerwichtigste.