Schon 20 Minuten sollen stundenlange Trainingseinheiten ersetzen. So lautet das Versprechen. Die Elektromyostimulation, kurz EMS, hat schon lange den Sprung aus der Therapie in die Fitnessstudios geschafft. Doch diesen Sommer setzt das junge Start-Up Wearable Life Science aus Nürnberg noch einen drauf: Ein Ganzkörperanzug mit Leitern und Elektroden, den man überall und ohne Trainer benutzen kann. Ein kleiner Akku soll genauso viel leisten wie Stromaggregate im Studio.

Was passiert beim EMS?

Der Akku schickt gezielt Stromimpulse auf die Haut – die Muskeln reagieren darauf wie auf einen Nervenimpuls, ein Signal aus dem Gehirn: Sie ziehen sich zusammen. Das Besondere bei EMS ist, dass Muskelgruppen kontrahiert werden, die das Gehirn gar nicht gleichzeitig Zeit aktivieren kann. Auch tief liegende Muskelgruppen werden stimuliert.

Wo liegen die Risiken von EMS?

Wer mit zu viel Strom trainiert, kann sich schnell überlasten, sagen Kritiker. Bisher wird im Sport EMS nur in Fitnessstudios und damit unter Aufsicht eines Trainers benutzt. Durch den mobilen Anzug wird die Verantwortung jetzt völlig in die eigenen vier Wände verlagert. Tatsächlich gab es in der Vergangenheit Fälle, bei denen es zu Kreislaufversagen gekommen ist. Bei falschem Training haben die Muskeln keine Zeit, um zu regenerieren – Wer mit zu viel Strom und zu wenigen Pausen trainiert, riskiert Überanstrengung und eine Verstopfung der Nieren durch das beim Beseitigen von Zellen benötigte Enzym Creatin-Kinase freigesetzt. Diese Risiken gelten allerdings auch für viele anderen Sportarten.

Welche Vorteile gibt es?

Prof. Frank van Buuren ist Spezialist für Innere Medizin und Kardiologie am Herzzentrum NRW. Er ist der Meinung, dass EMS für Anfänger ohne Anleitung gefährlich sein könnte. Wenn man weiß, wie EMS richtig anzuwenden ist, können die Stromimpulse aber auch Gutes bewirken: „Die Kernaussage einer unserer Herzstudien ist, dass durch EMS eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit möglich ist. Der Skelettmuskel ist besser trainiert, wir haben eine höhere Kapillardichte und eine bessere Durchblutung.“ Bevor EMS im Sport bekannt wurde, wurde es vor allem in der Therapie eingesetzt. In der Rehaklinik nach einem Unfall zum Beispiel: Kann der Patient nicht auftreten, ist es mit EMS trotzdem möglich die Waden zu trainieren. Mit dem mobilen Anzug jetzt auch zuhause, unabhängig von der Klinik. 

Ist der mobile Anzug zukunftstauglich?

Der Hersteller empfiehlt mit dem EMS-Anzug auch Joggen zu gehen. Da hat Prof. Ingo Froböse von der Sporthochschule Köln so seine Bedenken: „Die Kombination von Kraft und Ausdauertraining innerhalb einer Trainingseinheit macht keinen Sinn. Ganz im Gegenteil: Die Effizienz ist deutlich höher, wenn ich es klar voneinander trenne.“ Wenn man mit dem Anzug aber Kraftübungen ausführt und dann einen Ausdauerlauf ohne EMS hinten dranhängt, sieht der Experte Potenzial im mobilen Anzug. EMS kann aber auch in Zukunft den Sport nie ersetzen, sondern nur ergänzen. Bevor man sich unter Strom setzt, sollte man seine Grenzen kennen und sich von einem Arzt durchchecken lassen. Dann noch eine Schulung von einem zertifizierten Trainer und es kann losgehen.