Schluss mit den Vorurteilen
Der Fall Guttenberg lehrt uns: Mann soll niemanden vorverurteilen, nur weil sein Vergehen offensichtlich ist. Gott sei Dank geht sein Anwalt nun mit aller Härte gegen diese Wahrheits- und Tatsachengläubigkeit vor.
Ungefähr 60 Prozent der Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg bestehen aus Zitaten, bei denen er die Anführungszeichen vergessen hat. Aber kann man ihm deshalb gleich Absicht unterstellen? Sein Anwalt sagt nein - so einfach sei das nicht. Das kann man nicht einfach mit dem gesunden Menschenverstand entscheiden. Da braucht man schon Gutachter und Juristen zu. Und wer etwas anderes behauptet, der vorverurteilt. Und das darf man nicht.
Verzichten wir doch auf Erkenntniskategorien wie „offensichtlich“, lassen wir uns nicht mehr vom „gesunden Menschenverstand“ zu falschen Urteilen verführen. Ein paar Beispiele:
Vielleicht wurde der Eindruck erweckt, atomare Strahlung sei gesundheitsschädlich. Das gilt zwar als wissenschaftlich erwiesen, aber auf die Wissenschaft ist auch nicht immer Verlass - vor allem wenn es um Strahlen und Gesundheit geht. Schließlich weiß man immer noch nicht genau, ob der Gang ins Solarium gesund oder ungesund ist.
Daher: Atomstrahlen sollten nicht mehr länger vorverurteilen werden. Zuerst sollte man das Ergebnis sämtlicher Kommissionen, die Angela Merkel zum Thema Atom einberufen hat, abwarten. Für den sehr wahrscheinlichen Fall, dass sich die Herrschaften dort nicht einigen können, schweigen wir das Thema tot.
2. Schönheitsoperationen
Gerhard Schröder ist der Guttenberg des Haupthaars. Dass ergrautes Haar im fortgeschrittenen Alter wieder an Farbe gewinnt, ist ungefähr genauso wahrscheinlich, wie dass man als Doktorand aus Versehen mehr als 100 Seiten abkupfert. Aber trotzdem, oder besser gesagt: gerade deshalb sollte er nicht voreilig der Färberei geziemt werden. Und ähnlich wie im Fall Guttenberg ist das juristisch verboten.
Daher: Hier muss eine freiwillige Selbstverpflichtung her. Ab heute soll niemand mehr wegen einer auffälligen Schönheitsoperation vorverurteilt werden. Sollte es bereits zu spät sein, korrigieren wir uns, wie in folgenden Fällen: Silvio Berlusconis Haare sind aus Heimweh wieder auf seinen Kopf zurückgekehrt, Katie Price trägt auf keinen Fall Brustimplantate und Chiara Ohovens Lippen wurden nicht aufgespritzt. Die sehen nur dann geschwollen aus, wenn sie kurz zuvor ihre Frisur gewechselt hat.
3. BayernLB
Der Kauf der Hypo Alpe Adria war ein Fehler, so schrien alle. Das zu behaupten wäre voreilig: Die Märchenschlösser von Ludwig II. galten auch mal als ruinös für Bayern. Nach kaum 150 Jahren haben sie sich aber schon gerechnet.
Daher: Der sogenannte „Idiotendeal“ soll frühestens in hundert Jahren kommentiert werden.
4. Louis van Gaal
Sein Konzept vom „Spiel ohne Abwehr“ gilt als Irrweg. Aber vielleicht urteilt man hier auch zu früh. Niemand weiß, ob der europäische Spitzenfußball auch in 20 oder 30 Jahren noch „Abwehrspieler“ brauchen wird. Manndecker gibt es auch nicht mehr:
Daher: Louis van Gaal gilt von nun an als seiner Zeit voraus.
Sollte in Zukunft noch jemand vorverurteilt werden, bitten wir dies der Redaktion umgehend zu melden. Sie wird keine Verrenkung mehr scheuen, um Vorurteile zu vermeiden - unabhängig von der jeweiligen Faktenlage.