Kinostart von "Wüstentänzer"
Ausgetanzt
Nicht nur die #FreeHappyIranians wehren sich gegen das Tanzverbot im Iran, sondern auch eine junge Tanzgruppe im Film "Wüstentänzer"
Eine junge Tanzgruppe wehrt sich in Wüstentänzer gegen das Tanzverbot im Iran. Der Film knüpft damit an ein brandaktuelles Thema an.
Unzählige Nachahmervideos, das erste 24-Stunden-Musikvideo und gute Laune, der sich keiner entziehen kann: Im November 2013 hat Pharrell Williams mit seinem Hit Happy eine weltweite Welle an Gute-Laune-Bekundungen im Internet ausgelöst, die bis heute noch nicht wieder abgeklungen ist. Auch in Teheran konnte sich eine Gruppe Jugendlicher nicht dem Bann des Liedes entziehen und hat vor etwas über einem Monat ihren eigenen Tanzclip bei YouTube hochgeladen. Sie drücken ihre Lebensfreude aus, tragen bunte Klamotten – und kein Kopftuch. Kurz darauf wurde das Video von der Sitten- und Internet-Polizei gelöscht, die sechs Jugendlichen wanderten ins Gefängnis. Das Verbrechen: Veröffentlichung von „vulgären Clips im Cyberspace“.
Happy – nur nicht im Iran
Der Grund: Im Iran ist seit der Revolution 1979 unter dem radikal islamistischen Regime Tanzen in der Öffentlichkeit verboten. Es gibt keine Aufführungen, keine offizielle Ausbildung oder Tanzclubs, YouTube ist zensiert. All das schreit eigentlich danach, Iran zum Setting eines Tanzfilms und die Zustände begreifbar zu machen. Mit Richard Raymonds Regiedebüt Wüstentänzer läuft diese Woche in den deutschen Kinos ein Spielfilm an, der genau das versucht.
Über YouTube zu Michael Jackson und Pina Bausch
Schon der pathetische, politisch anklagende Untertitel Afshins verbotener Traum von Freiheit lässt vermuten: In diesem Film wird ganz dick aufgetragen. Erzählt wird die wahre Geschichte von Afshin Ghaffarian (gespielt von Reece Richie). Nach einem kurzen Ausflug in seine Kindheit beginnt die Haupthandlung im Jahr 2009. Das Land ist in Aufruhr, die Präsidentschaftswahlen stehen bevor. Überall wird protestiert. Währenddessen bringt sich Afshin über einen gehackten YouTube-Account sämtliche Tanzbewegungen bei – von Michael Jacksons Moonwalk bis zu Pina Bauschs Tanztheater. In der Universität in Teheran findet er Gleichgesinnte, gemeinsam gründen sie eine Untergrund-Tanzgruppe entgegen der Verbote des politischen Regimes. „Wir haben damit angefangen, weil wir selbst die Kontrolle übernehmen und uns frei fühlen wollten“, so der Tänzer Afshin Ghaffarian, dessen reale Erlebnisse der Film darstellt. „Frei atmen, und sei es nur für ein paar Stunden oder auch bloß für einen Augenblick. Das ist alles, was ich mir wünsche. Und genau darum geht es in dieser Geschichte.“
Tanzfilmklischeekiste wird zum Verhängnis
Was mit dieser beeindruckenden Rahmenhandlung ein ungewöhnlicher, politischer Tanzfilm hätte werden können, fällt dann aber doch in die Fallen sämtlicher Klischees des Genres. Normalerweise rechnet man bei Tanzfilmen à la Step Up, Flashdance, Honey, oder Dirty Dancing ja mit einer vorhersehbaren Liebesgeschichte, die im besten Fall einen sozialen Unterschied überwinden muss. Auf ein paar Liebesturbulenzen wie Missverständnisse, Intrigen oder Druck aus dem Umfeld folgt ein Grand Finale, das durch den Tanz alle wieder im Guten vereint (Ausnahmen der Klischees bestätigen natürlich bekanntlich die Regel, wie die Tanzfilme Black Swan oder Wim Wenders Doku Pina beweisen).
Liebegeschichte als „Herz des Films“
Auch Wüstentänzer ist hier keine große Ausnahme. Sehr linkisch wurde anscheinend die wahre Geschichte mit dramaturgischen Mitteln und abgedroschenen Dialogen aufgepeppt – der Film wirkt wie altbekannte Tanzfilme in den Iran versetzt. Die turbulente Liebesgeschichte zwischen Afshin und der drogenabhängigen Elaheh (Freida Pinto, bekannt aus Slumdog Millionaire) wird zur Haupthandlung, die politische Situation tritt in den Hintergrund. „In unseren Gesprächen stießen wir auf ein tragisches, sehr persönliches Kapitel in seiner Geschichte: Afshins Jugendliebe Elaheh“, so Regisseur Richard Raymond. „Die Beziehung zwischen Afshin und Elaheh ist das Herz unserer Films“. Aber ob das auch das Herz der eigentlichen Geschichte war?
Arroganz und Schwarz-Weiß-Malerei
Neben den tiefen Griffen in die Tanzfilm-Klischeekiste stellt Wüstentänzer leider auch die politische Situation im Iran stark vereinfacht dar. Die Schwarz-Weiß-Malerei wird der komplexen Situation bei weitem nicht gerecht; auch schwingt eine arrogante westliche Perspektive auf das Land und den Kulturkreis mit. Sowohl die Landespolitik als auch der kulturelle Hintergrund hätten viel mehr zum Thema gemacht werden müssen, um sich als Zuschauer wirklich in die Situation einfühlen zu können.
Tanzszenen als rettender Anker
Einzig die authentischen Szenen des Ausdruckstanzes, in die die Gruppe ihre ganze Wut und ihren Schmerz über die Unterdrückung packt, faszinieren; allen voran die Protest-Aufführung mitten in der Wüste. Ganz ohne Musik bewegen sich die beiden Hauptdarsteller durch den Sand und zeigen, wie ihnen der politische Druck die Luft zum Atmen nimmt: „Das Regime erstickt uns. Aber draußen in der Wüste konnten wir frei atmen“, so Afshin Ghaffarian über seine reale Geschichte.
Verschenktes Potential zum perfekten Zeitpunkt
Somit ist Wüstentänzer ein typischer Tanzfilm, der aber versucht, politisch zu sein - und daran scheitert. Es stellt sich die Frage, warum die wahre, sehr politische Geschichte so pathetisch angereichert und vereinfacht wurde. Vielleicht wird dem westlichen Publikum nicht genug Verständnis für die fernöstliche Welt zugetraut? Dass das ein Trugschluss wäre, hat eigentlich der reale Happy-Skandal bewiesen. Die Verhaftung der sechs iranischen Tänzer löste unter dem Hashtag #FreeHappyIranians auf Twitter eine weltweite Protestwelle aus. Viele Fans luden das ursprüngliche Happy-Video erneut auf YouTube hoch, um auf die Missstände im Iran aufmerksam zu machen. Nicht zuletzt, weil der Kinostart nur etwa ein Monat nach der Verurteilung der „Happy Iranians“ liegt, hätte die Verfilmung von Afshin Ghaffarians Geschichte durchaus Potential gehabt; schade, dass es nicht ausgeschöpft wurde.