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Filmfest 2017

Denk' ich an Deutsches Kino...

Quelle: Filmfest München

Thought of ecstasy

... in der Nacht, fühl ich mich gut unterhalten! Ein paar Highlights aus der Heimat beim diesjährigen Filmfest München.

Wir sind ja ein seltsames Völkchen, wir Deutschen. Wenn wir Landsmännern und -frauen im Urlaub begegnen, sind wir meist unangenehm berührt und fühlen uns unserer Individualität beraubt, anstatt wie Italiener, Spanier, Japaner etc. in großen Gruppen zu reisen. Spielt die Nationalmannschaft einmal etwas unter Niveau, folgen zwei Wochen Analysen in allen Medien, was da schief gegangen ist, und wenn Deutsche Filme im Kino laufen, dann gibt es keine kritischeren Zuschauer als die Deutschen selbst. Das selbstzerstörerische Element steckt ganz tief im teutonischen Volksstamm drin, keine Frage. Aber lassen wir Thanatos doch heute mal in der Kiste und schauen einfach ganz unbefangen Deutsches Kino auf dem Münchner Filmfest 2017.

Ohne Krimi geht der Deutsche nie ins Bett

Und was darf da natürlich nicht fehlen? Krimi. Den gibt es hierzulande sowieso längst in allen Variationen, alleine die nicht tot zu kriegende Krimi-Keimzelle "Tatort" bietet da ein äußerst breites Spektrum von düsteren Thrillern bis hin zum Blödel-Duo aus Münster. Und Lokalkolorit ist natürlich sehr beliebt, auch so ein Grund, warum Tatort immer noch so gut funktioniert, oder auch die Bayern-Comedy-Krimis rund um den Ermittler Franz Eberhofer ("Dampfnudelblues", "Winterkartoffelknödel"). Und dann sieht man auf dem Filmfest-Plan einen Harz-Krimi und fragt sich - mit deutscher Skepsis -, ob's das denn auch noch unbedingt braucht. "Harter Brocken - Die Kronzeugin", sollte eine gelungene Mischung sein - so erklärt der Produzent im Vorfeld - nicht so klamaukig wie die Bayerischen, aber auch nicht zu finster, vor allem immer glaubwürdig.

Hat geklappt. Obwohl die Story-Elemente bestimmt nicht neu sind (bauernschlauer Dorfpolizist mit Heimvorteil muss es mit großkalibrigen Gangstern und korrupten Kollegen vom LKA aufnehmen), macht der Harz-Krimi Spaß, was sicherlich zu großen Teilen dem Hauptdarsteller Aljoscha Stadelmann zu verdanken ist. Zum Einen erscheint sein Gesicht noch angenehm unverbraucht, zum Anderen spielt er den Provinzbullen herrlich unaufgeregt, lässig und doch mit Tiefgang und Selbstironie. Bekannte Mimen wie Stephan Grossmann oder Anja Kling werden überraschend schnell abgemurkst und während der ganzen 90 Minuten kommt der Witz meist subtil daher, nur selten mit der Brechstange. "Die Kronzeugin" ist Teil zwei der Harz-Krimi-Trilogie und soll noch dieses Jahr im Fernsehen laufen, Teil drei wird gerade gedreht. Warum nicht..

Nervendes Geröchel: Asthma im Kino kommt nicht gut

Aber nicht alles macht Spaß im Kinosaal, wenn Deutsche Filme gezeigt werden. "Der Sohn" zum Beispiel nervt. Da röchelt und keucht non-stop der von Asthma geplagte, 16-jährige Stefan über die Leinwand, der von seiner überbetüdelnden Mutter (Mina Tander) zum sozialphobischen Krüppelchen gegluckt wurde. Mama bekommt nun mit, dass der Filius seltsame sexuelle Neigungen zu entwickeln scheint, weil sie auf seinem Rechner Bondage-Pornos entdeckt und ihn ornanierend hinter dem Zaun eines Strip-Clubs erwischt. Als dann eine Serie von Frauenmorden beginnt, hegt sie schnell einen schrrrööööcklichen Verdacht.

Der Plot hätte ja was zu bieten, aber die Umsetzung ist nicht geglückt. So kommt etwa während des gesamten Films keine richtige Kommunikation zwischen Mutter und Sohn zustande. Stattdessen viel Gebrüll und zuknallende Türen, übertriebene Gewaltausbrüche Stefans und der andauernde Einsatz von Asthmaspray, damit wir auch ja nicht vergessen, wie sensibel die Bronchien des Protagonisten sind. Er hingegen schmettert schon mal ein Kaninchen gegen die Wand. Das ist irgendwie alles zu viel und man ist erleichtert als - ACHTUNG SPOILER - der Röchler endlich das Zeitliche segnet. Übrigens - NOCHMAL SPOILER - Überraschung, Überraschung: Er war gar nicht der Täter. "Der Sohn" versucht große Spannung aufzubauen, wird aber eher den Griff zur Fernbedienung provozieren, wenn er dann im Herbst im TV zu sehen ist.

Aufreizendes Gestöhne: Das Pornokino ist wieder da!

Wir Deutschen ornanieren nicht nur verklemmt, sondern haben auch richtigen Sex, das vergisst man ja gerne mal. Dieses Jahr wird sogar richtig viel gevögelt im Deutschen Kino. "A Thought of Ecstasy", eine seltsame Mischung aus Roadmovie und Porno, fällt da besonders auf. Einerseits, weil man wirklich explizite Szenen von Blowjobs bis hin zu penetrativem Geschlechtsverkehr zu sehen bekommt. Viel schockierender ist aber die grässliche schauspielerische Leistung von Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller RP Kahl, der als "Frank" durch das von der Jahrhundert-Dürre gezeichnete Kalifornien des Jahres 2019 reist und dabei eindrucksvoll zeigt, dass das falsche "TH" noch lange nicht ausgerottet ist. But maybe sis is part of his role, who knows.

Die Story, wenn man sie denn so nennen möchte, ist total nebensächlich: Frank glaubt in einem Roman die Geschichte zwischen ihm und einer Verflossenen zu erkennen und macht sich jetzt auf die Suche nach der Autorin. Dabei reist er verschiedene Stationen ab, die im Roman beschrieben werden, und begegnet dabei unter anderem zwei Sexarbeiterinnen, wie man das heute nennt. Bondage, SM-Spielchen - alles inklusive. Das scheint heutzutage eigentlich überflüssig, wo doch der nächste hardcore Pornofilm immer nur einen Mausklick entfernt ist. Und doch - irgendwie hat "A Thought of Ecstasy" was. Natürlich drängt sich die Frage, ob das Kunst oder Porno ist, unweigerlich auf, aber eine aufreizende Bildästhetik kann man dem Film nicht absprechen. Auch die sehr gut ausgewählte, tranceartige Elektro-Musik paart sich auf spannende Weise mit den Bildern und hält das Kinopublikum bei der Stange. Im Deutschen TV wird der aber wohl nie zu sehen sein.

Low Budget, High Entertainment

Wo's gerade so schön war, bleiben wir doch beim Sex und kommen damit zum absoluten Highlight des Deutschen Kinos beim Münchner Filmfest 2017: "Fikkefuchs".  Hätte man auch mit "c" schreiben können, würde dann aber wohl weniger auffallen. Und wenn nur wenig Kohle zu Verfügung steht, dann gilt Auffallen um jeden Preis. Viel mehr noch fällt Fikkefuchs aber durch die gewitzten Dialoge und das ungewöhnliche Schauspielensemble auf. Jan Henrik Stahlberg hat bei dem Crowdfunding-Projekt das Drehbuch geschrieben und auch eine der beiden Hauptrollen übernommen: den abgehalfterten Frauenverführer a.D. Richard "Rocky" Okkers, dessen virile Jahre längst vorbei sind. Das hält ihn aber nicht davon ab, nach wie vor 20-jährige Frauen ins Visir zu nehmen. Da sei er sich treu gelieben, sagt er.

Mit klassischer Musik, intellektuellen Zitaten und viel Zynismus frustet er sich so durchs Berliner Leben, als plötzlich sein Sohn Thorben (Franz Rogowski) vor der Tür steht, den er zuvor noch nie gesehen hat. Thorben ist gerade aus der Psychiatrie ausgebrochen, weil er versucht hat, eine Kassiererin zu vergewaltigen, ist hochgradig pornosüchtig und betrachtet alle Frauen als "Fotzen". Von seiner Mutter weiß er, dass der Vater einst Frauen am laufenden Band bestieg und möchte nun vom Meister lernen. Die beiden erleben dann wirre Tage miteinander und illustrieren auf absurd-komische Weise die peinigende Qual sexueller Frustration junger und älterer Männer. Faszinierend ist dabei vor allem, wie es Franz Rogowski (der weniger seines Sprachfehlers als seines Talentes wegen zu einem der auffallendsten deutschen Nachwuchsschauspieler gehört, auf dem Münchner Filmfest auch noch in Michael Hanekes "Happy End" zu sehen und inzwischen Ensemble-Mitglied der Münchner Kammerspiele ist) gelingt, beim Zuschauer zunehmend mehr Sympathie für Thorben zu erwecken, obwohl der keineswegs von seinem kruden Sexualverhalten abrückt. Klingt komisch, ist aber so.

Die Zuschauerreaktion bei der Premiere lässt ahnen, dass Fikkefuchs ein Erfolg werden wird. Obwohl bis ins Detail gescriptet, wirken die Dialoge knackig frisch, manchmal fast schon improvisiert. Schnelle Schnitte, die aber nie die Luft abschnüren, und clever gesetzte Musik lassen den Film keine Minute langweilig werden. Demnächst soll er auch in die Kinos kommen, dann allerdings mit geblurrten Geschlechtsteilen. Schade.

Wir können jetzt auch Sex

Fazit: Deutsches Kino hat durchaus was zu bieten beim diesjährigen Münchner Filmfest. Neben der alten Paradedisziplin Krimi können wir jetzt auch Sex ganz gut, sogar mit Humor. Und wer weiß, eines Tages winken wir unsere Landsleute im nächsten Urlaub vielleicht zu unserem Tisch herüber und plaudern dann ganz lässig über sexuelle Frustration bei Jung und Alt.

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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