Der Meister und sein Schüler
Im Sektenfilm "The Master" lässt Paul Anderson die Hollywood-Granden Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman aufeinander los.
Im Sektenfilm "The Master" lässt Paul Anderson die Hollywood-Granden Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman aufeinander los.
Dieser Mann scheint am Ende. Dabei ist er noch jung. Er malträtiert seinen Körper mit destilliertem Alkohol aus Farbverdünnern, verliert sich in wahllosem Sex und mäandert umher, zwischen Exzess und Depression. Freddie hat den Wechsel nicht geschafft, den Wechsel von der Front in die biedere amerikanische Nachkriegsgesellschaft.
Paul Anderson zeigt in den ersten 20 Minuten von "The Master" einen verwahrlosten Kriegsveteran, der durch ein neues Amerika taumelt. In diesem Amerika prallen die Erinnerungen an Qual und Tod auf eine heile 50er-Jahre-Welt, in der Konsum, Wohlstand und Aufbruch die Direktiven sind. Auf der Suche nach Tiefe und Halt geht Freddie hier hoffnungslos verloren.
Dodd ist der "Master", Freddie der Schüler
Leichte Beute, so scheint es, für einen Menschenfänger wie Lancaster Dodd, dem der streunende Freddie als blinder Passagier auf einer Yacht in die Arme läuft. Dodd zelebriert hier gerade die Hochzeit seiner Tochter und im Zuge dessen vor allem auch sich selbst. Hier spricht der Patriarch einer großen Familie, einer besonderen Familie. Die anwesenden Hochzeitsgäste sind Teil von etwas Größerem, das merkt Freddie schnell.
Dabei scheinen er und Lancaster Dodd einander seltsam anzuziehen. Doch die Rollenverteilung ist von Beginn an klar: Dodd ist der "Master", Freddie der Schüler, der viel zu lernen hat. Für Dodd ist es ein Leichtes, sich durch die Krusten des Ex-Soldaten zu bohren und zu dessen Innerstem vorzudringen. Mithilfe psychologischer Frage-Antwort-Spielchen bringt er Freddie innerhalb weniger Minuten zum Weinen. Der junge Mann ist fasziniert und schnell bereit, der seltsamen Bewegung um den Charismatiker Dodd zu folgen.
Der wiederum wendet seine obskuren Methoden auf Freddie an und versucht so, den ständigen Gefühls- und Aggressionsausbrüchen seines Lehrlings Herr zu werden.
Anderson erzählt gerne ungewöhnliche Geschichten
Mit dieser Story über einen Meister und seinen Schüler meldet sich Paul Anderson nach fünf Jahren in den Kinos zurück. Und wie schon seine vorherigen Filme sorgt auch "The Master" für Aufsehen. So sind die Hauptdarsteller Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman beispielsweise beide für einen Oscar nominiert.
Anderson erzählt gerne ungewöhnliche Geschichten. In dem Episodenfilm "Magnolia" verstrickte er wie ein Puppenspieler die Schicksale verschiedener Figuren und ließ am Ende Frösche regnen. "Boogie Nights" erzählt vom Porno-Milieu der späten 70er Jahre und zeigt Mark Wahlberg als gut bestückten Sexfilm-Star. Andersons letztes Werk "There will be blood" mit Daniel Day-Lewis wurde schließlich mit zwei Oscars ausgezeichnet.
Nun hat sich der Ausnahmeregisseur der Sekten-Thematik angenommen und in einem Sumpf aus Macht, Abhängigkeit, Psychologie und Wunsch nach Anerkennung zwei schauspielerische Schwergewichte aufeinander losgelassen.
Schauspielerisch bestens aufgestellt
Keine Frage, Joaquin Phoenix spielt den heruntergekommenen, haltlosen Freddie mit all seiner selbstzerstörerischen Aggression und Verletzlichkeit brilliant. Philip Seymour Hoffman dagegen glänzt als geistig zwar überlegener, aber im Grunde ebenfalls labiler Sektenführer. Ihm an die Seite gestellt hat Anderson Amy Adams, die Lancaster Dodds berechnende Gattin spielt und dabei ihr Rollen-Portfolio wieder um eine Facette erweitert. Schauspielerisch ist "The Master" also bestens aufgestellt.
Aber vielleicht wird ihm genau das streckenweise auch zum Verhängnis. Man bekommt als Zuschauer gelegentlich das Gefühl, als hätte der Regisseur den beiden Stars zu viel Raum gelassen. Kammerspielartige Sequenzen, in denen sich Meister und Schüler immer wieder anbrüllen, wie Antipoden auseinanderstoßen, nur um sich dann wieder umso fester zu umarmen, zeugen zwar vom Können der Schauspieler, wirken aber redundant und lassen Längen entstehen. So brüllt Joaquin Phoenix sich in einer Szene beispielsweise gefühlte fünf Minuten die Seele aus dem Leib, in einer anderen wird er von seinem Meister im Zuge einer seltsamen Maßnahme immer wieder zwischen Fenster und Wand eines Zimmers hin und her geschickt - bestimmt 20 mal.
Als Zuschauer verliert man irgendwann die Lust
"The Master" ist klar von der Geschichte des Scientology-Grünnders L. Ron Hubbard inspiriert. Lancaster Dodd möchte mit seiner Bewegung nach den schrecklichen Ereignissen des Zweiten Weltkriegs die Menschen zu höherer Selbstkontrolle und Erkenntnis führen und benutzt dabei Methoden, die eine Mischung aus manipulativer Psychologie, Dianetik und sonstiger fragwürdiger Wissenschaft darstellen. Es geht jedoch nicht nur um die bloße Darstellung einer Sekte mit sämtlichen Verstrickungen, sondern um das ambivalente Verhätnis zweier Menschen, die höchst unterschiedlich sind, aber außer der Vorliebe für Alkohol doch gewisse Gemeinsamkeiten haben. Anderson möchte dabei vor allem ein packendes Psychoduell dieser beiden Charaktere zeigen. Von einem Duell ist allerdings nicht viel zu sehen. Tatsächlich scheint Dodd stets überlegen, der cholerische Freddie hingegen wirkt wie ein zu stark geratenes Kind, das seine Wut nicht kontrollieren kann. Zwar zeigt der Meister auch Schwächen und innere Unsicherheit, seinem Schüler gegenüber scheint er aber stets die Kontrolle zu behalten. Über knapp drei Stunden zieht sich der Film, und als Zuschauer verliert man irgendwann die Lust am ewigen Winden und Ringen von Freddie, so oscarträchtig das vielleicht sein mag.
Das auf 65mm-Film aufgenommene Drama gibt sich zwar viel Mühe, zeichnet ein authentisches Bild der 50er Jahre in Amerika und fährt mit großartigen Schauspielern auf. Statt dem versprochenen Psycho-Duell bekommt der Zuschauer aber eher eines zwischen Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman zu sehen. Für Fans bestimmt ein Muss, ansonsten genau wie Alkohol aus Farbverdünnern: eher schwer verdaulich.
"The Master" kommt am 21. Februar in die Kinos.
Dieser Mann scheint am Ende. Dabei ist er noch jung. Er malträtiert seinen Körper mit destilliertem Alkohol aus Farbverdünnern, verliert sich in wahllosem Sex und mäandert umher, zwischen Exzess und Depression. Freddie hat den Wechsel nicht geschafft, den Wechsel von der Front in die biedere amerikanische Nachkriegsgesellschaft.
Paul Anderson zeigt in den ersten 20 Minuten von "The Master" einen verwahrlosten Kriegsveteran, der durch ein neues Amerika taumelt. In diesem Amerika prallen die Erinnerungen an Qual und Tod auf eine heile 50er-Jahre-Welt, in der Konsum, Wohlstand und Aufbruch die Direktiven sind. Auf der Suche nach Tiefe und Halt geht Freddie hier hoffnungslos verloren.
Dodd ist der "Master", Freddie der Schüler
Leichte Beute, so scheint es, für einen Menschenfänger wie Lancaster Dodd, dem der streunende Freddie als blinder Passagier auf einer Yacht in die Arme läuft. Dodd zelebriert hier gerade die Hochzeit seiner Tochter und im Zuge dessen vor allem auch sich selbst. Hier spricht der Patriarch einer großen Familie, einer besonderen Familie. Die anwesenden Hochzeitsgäste sind Teil von etwas Größerem, das merkt Freddie schnell.
Dabei scheinen er und Lancaster Dodd einander seltsam anzuziehen. Doch die Rollenverteilung ist von Beginn an klar: Dodd ist der "Master", Freddie der Schüler, der viel zu lernen hat. Für Dodd ist es ein Leichtes, sich durch die Krusten des Ex-Soldaten zu bohren und zu dessen Innerstem vorzudringen. Mithilfe psychologischer Frage-Antwort-Spielchen bringt er Freddie innerhalb weniger Minuten zum Weinen. Der junge Mann ist fasziniert und schnell bereit, der seltsamen Bewegung um den Charismatiker Dodd zu folgen.
Der wiederum wendet seine obskuren Methoden auf Freddie an und versucht so, den ständigen Gefühls- und Aggressionsausbrüchen seines Lehrlings Herr zu werden.
Anderson erzählt gerne ungewöhnliche Geschichten
Mit dieser Story über einen Meister und seinen Schüler meldet sich Paul Anderson nach fünf Jahren in den Kinos zurück. Und wie schon seine vorherigen Filme sorgt auch "The Master" für Aufsehen. So sind die Hauptdarsteller Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman beispielsweise beide für einen Oscar nominiert.
Anderson erzählt gerne ungewöhnliche Geschichten. In dem Episodenfilm "Magnolia" verstrickte er wie ein Puppenspieler die Schicksale verschiedener Figuren und ließ am Ende Frösche regnen. "Boogie Nights" erzählt vom Porno-Milieu der späten 70er Jahre und zeigt Mark Wahlberg als gut bestückten Sexfilm-Star. Andersons letztes Werk "There will be blood" mit Daniel Day-Lewis wurde schließlich mit zwei Oscars ausgezeichnet.
Nun hat sich der Ausnahmeregisseur der Sekten-Thematik angenommen und in einem Sumpf aus Macht, Abhängigkeit, Psychologie und Wunsch nach Anerkennung zwei schauspielerische Schwergewichte aufeinander losgelassen.
Schauspielerisch bestens aufgestellt
Keine Frage, Joaquin Phoenix spielt den heruntergekommenen, haltlosen Freddie mit all seiner selbstzerstörerischen Aggression und Verletzlichkeit brilliant. Philip Seymour Hoffman dagegen glänzt als geistig zwar überlegener, aber im Grunde ebenfalls labiler Sektenführer. Ihm an die Seite gestellt hat Anderson Amy Adams, die Lancaster Dodds berechnende Gattin spielt und dabei ihr Rollen-Portfolio wieder um eine Facette erweitert. Schauspielerisch ist "The Master" also bestens aufgestellt.
Aber vielleicht wird ihm genau das streckenweise auch zum Verhängnis. Man bekommt als Zuschauer gelegentlich das Gefühl, als hätte der Regisseur den beiden Stars zu viel Raum gelassen. Kammerspielartige Sequenzen, in denen sich Meister und Schüler immer wieder anbrüllen, wie Antipoden auseinanderstoßen, nur um sich dann wieder umso fester zu umarmen, zeugen zwar vom Können der Schauspieler, wirken aber redundant und lassen Längen entstehen. So brüllt Joaquin Phoenix sich in einer Szene beispielsweise gefühlte fünf Minuten die Seele aus dem Leib, in einer anderen wird er von seinem Meister im Zuge einer seltsamen Maßnahme immer wieder zwischen Fenster und Wand eines Zimmers hin und her geschickt - bestimmt 20 mal.
Als Zuschauer verliert man irgendwann die Lust
"The Master" ist klar von der Geschichte des Scientology-Grünnders L. Ron Hubbard inspiriert. Lancaster Dodd möchte mit seiner Bewegung nach den schrecklichen Ereignissen des Zweiten Weltkriegs die Menschen zu höherer Selbstkontrolle und Erkenntnis führen und benutzt dabei Methoden, die eine Mischung aus manipulativer Psychologie, Dianetik und sonstiger fragwürdiger Wissenschaft darstellen. Es geht jedoch nicht nur um die bloße Darstellung einer Sekte mit sämtlichen Verstrickungen, sondern um das ambivalente Verhätnis zweier Menschen, die höchst unterschiedlich sind, aber außer der Vorliebe für Alkohol doch gewisse Gemeinsamkeiten haben. Anderson möchte dabei vor allem ein packendes Psychoduell dieser beiden Charaktere zeigen. Von einem Duell ist allerdings nicht viel zu sehen. Tatsächlich scheint Dodd stets überlegen, der cholerische Freddie hingegen wirkt wie ein zu stark geratenes Kind, das seine Wut nicht kontrollieren kann. Zwar zeigt der Meister auch Schwächen und innere Unsicherheit, seinem Schüler gegenüber scheint er aber stets die Kontrolle zu behalten. Über knapp drei Stunden zieht sich der Film, und als Zuschauer verliert man irgendwann die Lust am ewigen Winden und Ringen von Freddie, so oscarträchtig das vielleicht sein mag.
Das auf 65mm-Film aufgenommene Drama gibt sich zwar viel Mühe, zeichnet ein authentisches Bild der 50er Jahre in Amerika und fährt mit großartigen Schauspielern auf. Statt dem versprochenen Psycho-Duell bekommt der Zuschauer aber eher eines zwischen Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman zu sehen. Für Fans bestimmt ein Muss, ansonsten genau wie Alkohol aus Farbverdünnern: eher schwer verdaulich.
"The Master" kommt am 21. Februar in die Kinos.