Finsterworld
„Ready for the KZ-Besuch?“ “Fiderallala! Fiderallala, Fideralallalala!!“.
„Ready for the KZ-Besuch?“ “Fiderallala! Fiderallala, Fideralallalala!!“.
Ein Vogel wollte Hochzeit machen in dem grünen Walde. Das behauptet zumindest ein deutsches Kinderlied und wenn man es hört, dann kommt ein bisschen Heimatgefühl auf. Auch dann, wenn Heimatgefühl irgendwie so klingt, als wäre es ein Nazi-Wort. Das macht die heimische Stimmung nicht wirklich kaputt, es mischt sich nur ein düsterer Hauch von Unwohlsein dazu.
Und dann eine Hochzeit im grünen Walde? Mal ganz ehrlich: Wälder sind doch meistens nur von außen saftig grün. Steht man mitten drin, dann sind sie dunkel und wirr. Die Regisseurin Frauke Finsterwalder kann davon sicherlich ein Liedchen singen. Stattdessen hat sie aber lieber einen Film gedreht. Er heißt „Finsterworld“ und meint Deutschland, samt eines Gefühls zwischen Heimat und Ekel. Das ist keineswegs widersprüchlich, sondern eine Stimmung, die der Film problemlos über seine ganze Länge (und darüber hinaus) aufrecht zu erhalten weiß. Alles ist heimisch unheimlich und unheimlich heimisch.
Was ist nun also mit dem Vogel, der da Hochzeit machen wollte? Ich will es euch verraten und greife ein wenig vorweg: Er liegt zerrupft und aufgespießt auf einem Tisch. Gibt es da nicht auch eine Zeile, die sagt: „Brautmutter war die Eule, nahm Abschied mit Geheule.“? Das gibt jetzt jedenfalls kräftig Sinn.
Finsterworld ist eine Art Episodenfilm. Er gibt Einblick in den Alltag mehrerer Charaktere, die in ihrer Tragik alle ein bisschen komisch sind. Jeder Charakter hat seine eigene Geschichte, die aber immer wieder mit den Geschichten der anderen in Berührung kommt. Die Szene um den ermordeten Vogel ist einer dieser Knotenpunkte. Vielleicht sogar der folgenreichste. Aber erst mal zu den Charakteren:
Die Episoden
Da gibt es zum Beispiel Claude. Er ist ein liebenswürdiger Fußpfleger mit einem verdrehten Verhältnis zu abgeraspelter Fußhaut. Sollte man ihm das übel nehmen? Ja! Man hätte zumindest guten Grund dafür. Schließlich füttert er einen mit Hornhaut-Keksen. Ich aber kann ihm nicht böse sein. Er ist so pervers und unglaublich süß. Wie er Wollust sucht, wo andere nur Füße und Falten sehen. Weil jeder Moment mit ihm Spaß macht, wird er zum sympathischen Irren.
Dann ist da so ein Polizist mit harter Statur und weichem Fell. Er braucht Liebe, ist aber mit einer egomanen Filmemacherin zusammen. Deswegen zieht er sich gerne mal zurück und trägt Plüschkostüme. Das gibt Finsterworld ein wichtiges Motiv: Ein starkes Männergesicht sucht mit Kulleraugen nach Geborgenheit.
Schließlich gibt es noch eine Schulklasse auf dem Weg in ein Konzentrationslager. Schulausflug: KZ-Besuch. Der wohl spannendste Teil der Story spielt rund um diesen dreckigen Fleck deutscher Geschichte! Ein verliebter Junge und seine freche Freundin, ein verwöhnter Schnösel, der hinter eben dieser Freundin her ist, und ein Lehrer, dem der Ausflug zum Verhängnis wird. Naja, und dann gibt es ja auch noch diesen Vogel!
Blauer Himmel mit poetischem Wind
Zum Schluss gewinnt jede Episode an Geschwindigkeit und hier und da gipfelt eine Geschichte sogar im Happy End. Aber ein Happy End ist in diesem Film genauso dreckig und verdorben wie das Massakrieren eines Raben: Natürlich ist es am Ende schön, wenn die Federn durch die Lüfte fliegen. Will man diese Schönheit aber in Ruhe genießen, dann kommt da wieder dieses dunkle Unwohlsein.
In der letzten Aufnahme läuft wie schon am Anfang des Films Cat Stevens mit "The Wind". Oder heißt er Yusuf Islam? Jedenfalls umrahmt er so allerlei Ekel und Fetisch mit romantischer Schönheit. So ähnlich wie es den ganzen Film über der blaue Himmel mit seiner strahlenden Sonne tut. Und so umrahmt hängen schließlich alle Episoden bis aufs innigste zusammen. Nicht nur weil die Charaktere miteinander verwandt, verliebt, oder indirekt bekannt sind. Sondern weil es dieselbe Stimmung ist, die sich durch alles zieht. Es ist das „Igitt“, wenn man sieht, wie jemand seine eigene Mutter mit offenen Lippen küsst. Es ist eine perverse Vertrautheit.
Als Kind habe ich immer gedacht, es sei die wahre Kunst auch unter grauem Himmel glücklich zu sein. Jetzt ist mir klar geworden: Es ist genau so große Kunst unter blauem Himmel unglücklich zu sein. Das ist eben die Kunst von Frauke Finsterwalder.
Ein Hoch auf das deutsche Heimatsgefühl! Auf die Tage mit blauem Himmel und schwarzer Stimmung! Auf den Ekel in der Heimat! Simsalabimbambaseladuseladim!
Finsterworld läuft ab dem 17. Oktober in den deutschen Kinos. Irgendwie passend zum Herbst.