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M94.5 Filmkritik

Gottlose Seelen in South Dakota

Quelle: © 20th Century Fox

Leonardo di Caprio spielt den legendären Scout Hugh Glass

Alejandro González Iñárritu verpasst dem Western eine Radikalkur - auch wenn in "The Revenant - Der Rückkehrer" die Leitmotive des Genres auftauchen.

Zur Weihnachtszeit läuten sie alljährlich aus den heimischen Fernsehgeräten: die Kirchenglocken von Santa Fé, die den Appachenhäuptling Winnetou in den Armen seines Blutsbruders Old Shatterhand in die ewigen Jagdgründe geleiten. Von der todbringenden Wunde zeugt nicht mehr als ein kleiner Fleck auf Herzhöhe.

Es wird reinlich gestorben, in den Karl-May- Western. Die bösen Banditen sterben, weil sie verbrecherisch sind, quasi durch die göttliche Rache. Die Rechtschaffenen sterben märthyrerhaft, im Sinne eines göttlichen Plans, der stets das Gerechte will.

Ein Wilder Westen, wie er wirklich war

Verfolgt man die Leitmotive im Filmgenre des Westerns, so gibt es keinen großen Spielraum. Liebe und Rache, Freundschaft und Ehre sind Themen, die in kaum einem Westernfilm ausgespart werden - von Klassikern wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ bis zum Pulpfiction-Western „Django- unchained“.

Nur gestorben wird nicht mehr so reinlich. Auch die Grenze zwischen Gut und Böse verschwimmt immer weiter. Und das ist auch gut so, weil diese Entwicklung dem echten Wilden Westen des 19. Jahrhunderts in Amerika vermutlich näher kommt. In dieser Hinsicht ist Regisseur Alejandro González Iñárritu mit seinem Film „The Revenant – Der Rückkehrer“ ein Meilenstein gelungen.

Naturalistische Schilderung

Klassische Leitmotive des Westerns bleiben bestehen. Es geht um Liebe, die über den Tod hinaus geht und um Rache, um die verlorene Ehre wieder herzustellen. Leonardo DiCaprio spielt den Scout Hugh Glass, der eine Gruppe Pelzhändler im frühen 19. Jahrhundert durch die eisige Wildnis South Dakotas führt.

Für den Zuschauer wird es sehr schnell ungemütlich in diesem Film, denn die Schlacht ist ein Erstechen, Ersäufen und Erwürgen. Jeder Pfeil, jede Kugel trifft einen hier selbst in Mark und Bein. Alejandro González Iñárritu übertrifft mit seiner Art der naturalistischen Schilderung alles Gesehene! Kaum zu ertragen: Der Kampf, den sich Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio mit einer Grizzly-Bärin liefern muss.

Held mit starkem Überlebenswillen

Wie tot bleibt der Held am Ende liegen. Der Anführer seiner Gruppe befiehlt, dass Glass aufgrund seiner großen Verdienste als Scout bei seinem baldig erwarteten Ableben ein christliches Begräbnis vergönnt sein soll. Dafür bleiben der halbindianische Sohn des Scouts und der Fallensteller John Fitzgerald (Tom Hardy) zurück, während der Rest der Gruppe weiterzieht. Fitzgerald hat jedoch vor allem die ausgeschriebene Belohnung für seine Dienste als christlicher Bestatter im Sinn. Er tötet zundächst den Sohn des Scouts, begräbt Glass schließlich bei lebendigem Leibe und macht sich mit der Belohnung aus dem Staub.

Doch der Überlebenswille des Helden ist stärker als die Todes-Sehnsucht. Der Wille nach Rache für den Mord am eigenen Sohn treibt ihn an. Und so beginnt der Survivalkampf des legendären Hugh Glass durch die Wildnis und durch zwei Stunden Film. Ein Survivalkampf der nur durch extreme Bedingungen beim Dreh derart realistisch dargestellt werden konnte.

Dreharbeiten unter harten Bedingungen

Für  Regisseur Iñárritu und seine Crew waren die Bedingungen nämlich kaum leichter als für Hugh Glass selbst. An Drehorte in abgelegenen Wald- und Bergregionen Kanadas und Argentiniens kann man kein großes Equipment mitschleppen. So wurde einfach die Wirklichkeit abgefilmt. Keine Scheinwerfer, nur natürliches Licht.

"Wir haben den Film auf sehr spezielle Art gedreht. Es war nur sehr kurz hell. Wir hatten ein Fenster von etwa anderthalb Stunden, um sehr komplizierte Szenen zu drehen. Ich hab das gelöst, indem ich sehr lange Einstellungen drehen ließ, ohne viele Schnitte. Alles war vorher genau choreografiert und geprobt - fast wie bei einer Theateraufführung“, so Iñárritu.

Kino als körperliche Erfahrung

Genau diese Echtheit hat im Kino eine grandiose Wirkung. Man wähnt sich mit DiCaprio in der Wildnis, fühlt die Eiseskälte des Winters - und die wärmende Wirkung des Bärenfells, in das er sich gehüllt hat. Man spürt mit ihm die Naturgewalten: Das Rascheln des Windes in den Bäumen, das Tosen des Wildwassers, das ihn mit sich reißt. Die Kamera ist so nah an ihm dran, dass sie von seinem Atem beschlägt. Selten war Kino eine derart körperliche Erfahrung.

Der Spurenleser gegen den Fallensteller

Alles gipfelt schließlich in der Konstellation Spurensucher Glass versus Fallensteller Fitzgerald. Zwei Männer, die den Wilden Westen kennen. Zum Glück sucht man dabei in Iñárritus Film den christlichen Gott aus Karl Mays Western vergeblich. Gestorben wird hier sinnlos. Die Rache von Hugh Glass führt zwangsläufig ins Leere, kann er doch dadurch seinen Sohn nicht mehr zum Leben erwecken. 

Es ist hart, diese zwei Stunden Film zu ertragen, aber man ahnt, dass so die Zukunft des Western-Genres eingeläutet wird. Zum Glück weit weg von den romantisierenden Vorgängern, in denen zum Abschied die Kirchenglocken von Santa Fé läuten.

"The Revenant – Der Rückkehrer" läuft ab dem 6. Januar 2016 in den deutschen Kinos.

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