Jasmin und das Dilemma des deutschen Kinos
Der Film „Jasmin“ steht symptomatisch für den überzogenen Realismusfetisch des deutschen Kinos wie es sich am Münchner Filmfest präsentiert.
Der Film „Jasmin“ steht symptomatisch für den überzogenen Realismusfetisch des deutschen Kinos wie es sich am Münchner Filmfest präsentiert.
„Jasmin“ ist die Geschichte einer Exploration, jener psychoanalytischen Methodik also, die durch die Rekonstruktion der Biographie des jeweiligen Patienten traumatisch verdrängte Erinnerungen wiederzuentdecken sucht. Die Patientin heißt in diesem Fall Jasmin, welche nach einem gescheiterten Suizidversuch in einer psychiatrischen Anstalt sitzt. Bei dem verdrängten Erlebnis handelt es sich um die Ermordung ihrer Tochter.
Der ganze Film konzentriert sich beinahe ausschließlich auf das Gespräch zwischen der psychologischen Gutachterin und der Patientin. Im Laufe von vier Sitzungen werden die entscheidenden Erlebnisse aus Jasmins Leben rekonstruiert und in Bezug zur Tat gesetzt. Das gespaltene Verhältnis zu den Eltern, die erste, dramatisch geendete Liebe, der Wunsch nach einer Tochter als sinngebendes Element, die gescheiterte berufliche Existenz, etc. Die Psychologin gibt selbst dabei das Ziel des Films vor: Es gehe darum, zu verstehen, wie genau es zu so einer Tat hatte kommen könnte. Wie und warum hat Jasmin ihre Tochter getötet?
Um dies möglichst authentisch zu erreichen, setzt der Film formal auf das Dogma von der Fliege an der Wand, also auf das Mittel der neutralen Beobachtung. „Jasmin“ wurde in nur vier Tagen abgedreht. Alle Szenen sind am Stück aufgenommen. Keine Musik. Wenig Zwischenschnitte. Einziger Fokus: der explorative Dialog.
Doch genau diese formale Selbstbeschneidung und die damit suggerierte Neutralität und Objektivität durch Beobachtung, lassen den Film kalt bleiben. Man wohnt den Sitzungen bei, ohne sie zu erleben. Man bekommt eine Antwort die nicht befriedigend ist, weil virulente Themen wie Schuld, soziale Determiniertheit, Wahnsinn, die Grenzen der Psychoanalyse, usw. nicht diskutiert werden. „Jasmin“ verweigert sich eines Standpunkts, wodurch das Verhältnis des Zuschauers zum Film ein leeres bleibt.
Der Film fällt letztlich mit seinem eigenen Wahrheitsanspruch. „Jasmin“ wirkt zu jeder Zeit inszeniert. Man könnte hierbei vielleicht Regie, Drehbuch oder Schauspieler kritisieren, doch das wirkliche Problem ist ein anderes. Es liegt vielmehr an der Art von dokumentarischen Spielfilm selbst. Hier fußt ein Grundproblem eines großen Teils des deutschen Kinos. Man wähnt sich durch einfache, unprätentiöse Geschichten, durch scheinbare Werturteilsfreiheit und Objektivität in Sicherheit vor dem Vorwurf der vereinfachenden Konstruktion. Doch bleibt nichts desto trotz jeder Film Inszenierung und anstatt dieses Grundelement als Mangel zu begreifen, gilt es dieses als Hauptmoment zu elaborieren. Die Wirklichkeit - und das ist der Trugschluss dieser Art von Kino - wird uns nicht durch eine phänomenlogische Betrachtung zugänglich, sondern erst durch die Abstraktionen, die jenen phänomenlogischen Betrachtungen entspringen. Dies bedeutet, dass Kino mit Mitteln des Kontrastes, der Extreme, der Zuspitzungen arbeiten muss, um uns fremde Konflikte eigen werden zu lassen. Kino muss in einem gewissen Maße werten, behaupten und provozieren, um eine fruchtbar wirkende Reaktion beim Zuschauer zu erreichen. Dies meint freilich nicht den stumpf erhobenen Zeigefinger, als vielmehr einen Finger, der auf Probleme zeigt. Diese Lektion hat das deutsche Kino wieder zu lernen. Vielleicht mittels einer Exploration. Im bewussten Erinnern an seine eigenen, großen Momente. An einen Fritz Lang, an einen Rainer Werner Fassbinder, an einen Werner Herzog.