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Lateinamerikas neues Autorenkino - Visiones Latinas

Autor(en): Karolina Jurdeczka am Freitag, 1. Juli 2011

Seit Helmut Schmidt das mal so markig formuliert hat wissen wir’s: wer Visionen hat soll zum Arzt gehen. Manche Visionen sind aber durchaus gesund. So ist bis jetzt noch nichts davon berichtet worden, dass Besucher des diesjährigen Münchner Filmfests einweisungspflichtig geworden sind. Dort gibt’s wieder die Reihe Visiones Latinas, in der Filme aus Lateinamerika gezeigt werden.

Seit Helmut Schmidt das mal so markig formuliert hat wissen wir’s: wer Visionen hat soll zum Arzt gehen. Manche Visionen sind aber durchaus gesund. So ist bis jetzt noch nichts davon berichtet worden, dass Besucher des diesjährigen Münchner Filmfests einweisungspflichtig geworden sind. Dort gibt’s wie auch schon die Jahre zuvor u.a. wieder die Reihe Visiones Latinas, in der Filme aus Lateinamerika gezeigt werden. Von Mexiko bis Chile, von Peru bis in die Karibik reicht die geografische Bandbreite.


In den Nuller Jahren hat sich das lateinamerikanische Kino immer mehr zum ernstzunehmenden Autorenkino entwickelt. Damit versuchten junge Filmschaffende eine Antwort auf das dort sonst eher seichte Mainstream-Kino und die von Telenovelas dominierte Fernsehlandschaft zu geben. Dass es nicht nur beim Versuch blieb, zeigen mitunter die Werke, die man in Visiones Latinas zu sehen bekommt. Blanke Action oder simple Komödien sucht man unter ihnen vergebens. Die vorherrschende Gattung ist eher das Drama. Denn so unterschiedlich die Filme in ihrer Thematik und ästhetischen Umsetzung sein mögen, so ist ihnen allen gemein, dass sie zum Nachdenken anregen wollen, besonders über die sozialen Zustände in einer Gesellschaft. Mal geschieht das mehr, mal weniger direkt.


Der kolumbianische Film Porfirio von Alejandro Landes zum Beispiel erzählt die Geschichte eines gleichnamigen Querschnittsgelähmten, der mit zwei Handgranaten ein Linienflugzeug entführt. Dass Porfirio im Rollstuhl sitzt hat er einem Polizisten zu verdanken, der ihn unschuldig niedergeschossen hat. Mit der drastischen Aktion will er vom kolumbianischen Staat Entschädigungsgeld erpressen, nachdem ihm bisher jegliche Unterstützung versagt blieb. Besonders pikant: Die Geschichte ist so wirklich passiert und Porfirio Ramirez spielt sich selbst im Film. Das dokumentarische Element ist überhaupt ein Markenzeichen des lateinamerikanischen Kinos.


Auch in Sérgio Borges’ O CÉU SOBRE OS OMBROS (Den Himmel auf der Schulter) verkörpern die Darsteller sich selbst. Darunter ein Transvestit, der ein Doppelleben als Prostituierte und Lehrerin für Gender-Studies führt, sowie ein Hare-Krishna-Jünger, der sich nach seinem Tagesjob im Callcenter als grölender Fußballfan hervortut. Manchmal führt das dokumentarische aber auch schlicht zur Langeweile. In Sentinels werden über eineinhalb Stunden hinweg Nachtwächter in Rio De Janeiro bei ihrer Arbeit begleitet. Zwar verdeutlicht die Dokumentation von Marcelo Lordello auf subtile Weise die soziale Kluft zwischen der mittelständischen Schicht, die sich verbarrikadiert, und dem Heer der Armen. Aber nach spätesten 30 Minuten in denen absolut nichts passiert und lediglich die Nachtwächter in weichem Portugiesisch ihre Weisheiten verbreiten, fallen einem die Augen zu.


Weit spannender fällt im Gegensatz dazu der Spielfilm Post Mortem aus. Der chilenische Regisseur Pablo Larraín schildert darin die Geschehnisse während des Pinochet-Putsches von 1973 aus der Perspektive von Randfiguren. Mario, dessen Job es ist Leichenschau-Berichte abzutippen, verliebt sich während der Tumulte in die Tänzerin eines Nachtclubs und es entspinnt sich eine leidenschaftliche Affäre. Larraín gelingt es in seinem Film die Handlung einer Liebesgeschichte geschickt in den politischen Hintergrund einzuweben. In den Beiträgen Jean Gentil von den Regisseuren Laura Guzmán und Israel Cárdenas sowie Verano de Goliat von Nicolás Pereda verwischen dagegen wieder die Grenzen zwischen Film und Dokumentation. Doch während Jean Gentil auf interessante Weise von einem alternden haitianischen Lehrer erzählt, der in die dominikanische Republik zieht um dort einen Neuanfang zu machen, wirkt Verano de Goliat etwas seltsam. Der erst 29-jährige Pereda versucht darin das Lebensgefühl in einer mexikanischen Kleinstadt einzufangen. Allerdings verlässt er sich dabei zu sehr auf die Wirkung der Bilder. Als Zuschauer fühlt man sich irgendwann etwas alleingelassen, wenn die Kamera alltäglichste Situationen wie Wäschesortieren oder Planschen im Tümpel einfängt. Dass auch hier wieder die sozialen Missstände der armen Bevölkerung durchschimmern erscheint dann schon fast obligatorisch.


Insgesamt 19 Beiträge zu Visiones Latinas sind beim Münchner Filmfest 2011 zu sehen. Deutlich zu spüren ist dabei die veränderte Filmpolitik in Staaten wie Chile und Kolumbien, die Dank neuer Förderungen uns Ausbildungsprojekten knapp ein Drittel der Filme stellt. Die Themen sind vielseitig kreisen jedoch häufig um die soziale Frage. Das mag aber womöglich vor allem dem westlichen Betrachter so erscheinen. „Zur eindringlichsten poetischen Kraft gelangen die jungen Filmautoren dann, wenn sie thematisch und stilistisch die Gemeinplätze „Latino-Kinos“ hinter sich lassen.“, so sieht das Florian Borchmeyer, Filmkurator der lateinamerikanischen Reihe. Dem kann man sich nur anschließen.

 

 

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