Latente Talente am Klavier...
...finden sich gerade überall in der Stadt. Noch bis 19. Mai kann mit "Play me I'm yours" in ganz München unter freiem Himmel geklimpert werden.
Die Sonne scheint, Studenten unterhalten sich auf dem Weg in die Uni und der Brunnen vor dem LMU-Hauptgebäude plätschert vor sich hin. Dazu kommt auf einmal der Anfang eines Jazz-Stücks und die jungen Leute werden aufmerksam auf das Klavier, das dort auf dem Geschwister-Scholl-Platz steht. Einige bleiben stehen oder setzen sich davor. Zwei Studenten sehen so aus, als würden sie als nächstes spielen wollen. Nun ist der Pianist mit seinem Jazz-Stück fertig und lässt den nächsten Interessenten auf dem Piano-Hocker Platz nehmen. Er spielt Klassik. Dieses Szenario spielt sich nicht nur am Geschwister-Scholl-Platz ab. Das Projekt „Play me, I'm yours“ läuft seit dem 04. Mai an verschiedenen Plätzen in München.
Die Idee kam im Waschsalon
Die Idee kam dem britischen Künstler Luke Jerram in einem Waschsalon in Birmingham. Er bemerkte, dass er dort immer wieder denselben Menschen begegnete, jedoch noch nie ein Wort mit ihnen wechselte. Nicht nur im Waschsalon, auch in anderen Situationen des Großstadtlebens fiel ihm eine gewisse Verschlossenheit der Passanten auf. Er überlegte, wie man diese Verschlossenheit brechen und den Menschen zu mehr Kommunikation untereinander verhelfen könnte und kam zu dem Schluss, dass Musik dazu am besten geeignet sei. Klaviere als Instrumente – Instrumente um Menschen zusammen zu bringen.
750 Klaviere in 35 Städten weltweit
2008 wurden dann die ersten Klaviere in London aufgestellt. Die Resonanz war so groß, dass es inzwischen 750 Klaviere in 35 Städten weltweit gibt. London, Barcelona, New York. Im Big Apple wurde auch der Münchner Andreas Wagner auf die Pianos aufmerksam. Er war so begeistert von dem Projekt, dass er sich vornahm es nach München zu bringen. Deshalb stehen seit dem 4. Mai insgesamt 14 Pianos an verschiedensten Plätzen in München. Unter Anderem vor dem Hauptgebäude der LMU, am Isartor und vor dem Kulturhaus Neuperlach. Dazu gibt es noch ein Wanderpiano, das in der Münchner Innenstadt seine Standorte alle zwei Tage wechselt. Von Ort zu Ort sind es verschiedene Atmosphären, die die Klaviere umgeben. Am Geschwister-Scholl-Platz steht das Klavier zwischen Studenten, die dort mit ihrem Bier oder Büchern auf der Wiese sitzen. Es ist überraschend ruhig, man hört das Plätschern des Brunnens, die Stimmen der Studenten und eben die Musik des Klaviers, das dort inmitten des Geschehens steht. Im Gegensatz dazu ist das Wanderklavier am Stachus einer gewissen Hektik ausgesetzt. Überall Menschen, die aus der U-Bahn kommen und normalerweise zielgerichtet Richtung Shopping-Meile gehen. Genau vor dem Karlstor passieren sie aber nun das Instrument, an dem fast durchgängig Profis oder Amateure sitzen und die Szenerie mit Musik beleben.
Am Klavier Kontakte knüpfen
Die Wirkung ist trotz unterschiedlicher Umgebungen und Atmosphären an allen Orten gleich. Leute bleiben stehen, lassen sich in unmittelbarer Nähe nieder oder trauen sich sogar selbst zu spielen. Natürlich bilden sich am Stachus kaum Grüppchen, die sich neben das Klavier setzen, dafür bleiben viele Leute stehen und geben den Pianisten sogar manchmal ein wenig Kleingeld. Das soll aber nicht dazu beitragen, dass unerfahrene Klavierspieler abgeschreckt werden. Ganz im Gegenteil, auf den Pianos soll jeder spielen können. Vom Anfänger bis zum Konzertpianisten. Die Erfahrung von Erfinder Luke Jerram hat gezeigt, dass sich aus dieser Situation auch Kontakte ergeben können. Es entstehen spontane Nachhilfestunden oder erfahrenere Künstler tauschen sich aus. Vierhändig werden Improvisationen vorgetragen oder andere Straßenmusiker begleiten die Pianisten. Luke Jerram erzählt von einem Kind in Sao Paolo, das durch die Aktion zum Klavierspielen kam. Vielleicht entdeckt auch der ein oder andere Einkaufsbummler bei sich latentes Talent. Sicher ist, dass die öffentlichen Instrumente helfen das Eis zwischen den Menschen zu brechen. Ob sie nur nebeneinander stehen und der Musik lauschen, oder sich gegenseitig etwas vorspielen - man kommt ins Gespräch. Gerade das Wanderklavier, das jeden Tag an einem anderen Platz in der Innenstadt steht, wirkt der Hektik der Einkaufslustigen angenehm entgegen.
Nach dem 19. Mai beenden die Klaviere ihren Außendienst. Damit sie aber auch danach noch von Nutzen sind, werden sie an Schulen oder soziale Einrichtungen gespendet. Dort verbreiten die Instrumente sicher die gleiche Begeisterung wie in der Fußgängerzone.Text: Clemens Strottner