DANCE 2015
Portrait Richard Siegal
Ballett ist nicht langweilig! Ganz im Gegenteil. Zwischen mechanischen Beats und einer Mischung aus Hip Hop, Popping und Jazz wird es spektakulär.
Im Rahmen von DANCE, dem diesjährig bereits 14. Internationalen Festival für zeitgenössischen Tanz der Landeshauptstadt München, widmete das Bayerische Staatsballett dem amerikanischen Choreografen Richard Siegal einen ganzen Porträt-Abend. Und dieser Abend hatte es in sich: impulsiv, voller Überraschungen und in tranceartiger Atmosphäre.
Groovende Gruppen
Schlagartig wird es dunkel. Ein Beat setzt ein. Der technoartige Beat des Komponisten Carsten Nicolai, der den ersten Teil Unitxt des Porträt-Abends durch das Synthesizer-Piepsen und ein maschinelles Trommel in alle Glieder fahren lässt. Einige Zuschauer sind irritiert, andere beginnen konzentriert mit den Füßen zum Drive der Musik mitzuwippen. Die Blicke der Zuschauer verirren sich auf der Bühne, alles ist in Bewegung. Gruppendynamische Energien werden durch solisitische Momente abgelöst.
Choreograf Richard Siegal ließ sich für den ersten Teil des Porträts von einer riesigen Kreuzung in Japan inspirieren - mitten in Tokio - an der tausende Menschen aneinander mechanisch passieren und sich dabei dennoch nicht berühren. Diese Individuen in kontrollierter Masse nimmt Siegal zum Anlass dem zeitgenössischen Tanz ein neues Gesicht zu geben. Durch ein Tanzvokabular, das neben klassischen Schritten vor allem auch an Hip Hop, das roboterartige Popping und auch das dynamisch-herausfordernde Capoeira erinnert, schafft der ehemalige Forsythe-Tänzer ein rhythmusbasiertes Spektakel. Auch die von ihm entwickelte „If-then-Methode“, die Choreografien auf logische Gleichungen aus Naturwissenschaft und Technik zurückführt, schimmert durch.
Und plötzlich: Eine fliegende Lichtdrohne
In a Landscape entschleunigt das rapide Wechselspiel etwas. Durch eine fliegende Lichtdrohne und die hautengen Kostüme, die an die schillernde Haut von Reptilien erinnern lassen, taucht der Betrachter in eine beinahe außerirdische Welt ein. Die Wände bewegen sich und eine lyrische Klangatmosphäre entführt in tranceartige Zustände. Die Bilder auf der Bühne unterstreichen Siegals Bestreben, das er auch in seiner 2005 gegründeten künstlerischen Plattform The Bakery verfolgt. Er versucht Tanz, Musik, bildende Kunst, Architektur und neue Technologien, wie etwa Softwareentwicklung, zusammen zu führen und damit eine fruchtbare Synthese der Künste zu erzeugen. Dies gelingt und schafft in Portrait Richard Siegal ein Erlebnis aller Sinne.
Der finale Teil der dreiteiligen Aufführung, Metric Dozen, spielt verstärkt die sexuellen Spannungen aus, die sich schon im Vorfeld angedeutet hatten. Aus lackledernen Sweatshirts ragen lange, nackte Beine hervor. Hüften kreisen. Doch die Spannungen lösen sich und gehen in abrupte, schnelle Bewegungen über. Arme klappen wie Scheren auf und zu. Das Licht geht an und verlischt.
Unruhige Zeiten
Siegal spielt mit den Extremen, wie Schnelligkeit und Entschleunigung, Licht und Schatten, Geräusch und Stille und schafft ein fulminantes, visuelles Feuerwerk. Sehgewohnheiten werden gebrochen und auch das außergewöhnliche Bühnen- und Kostümdesign (Konstantin Grcic) treibt ein neues Verständnis des Ballettsystems voran. Da gibt es keine rahmenden, in der Bewegung verharrenden Figuren. Alles bewegt und durchwirkt sich. Somit arbeitet Richard Siegal ungewöhnlich scharfsinnig am Puls der Zeit und leitet damit eine neue Ära des Tanzes ein. Seine Werke sind ein Muss und mit großer Sicherheit das, was zukünftige Generationen als Teil eines Wendepunktes im Tanz betrachten werden.
Portrait Richard Siegal ist diesen Monat noch am 26. und 30. Mai im Nationaltheater zu sehen. Weitere Termine auf den Seiten der Bayerischen Staatsoper.