Verfilmung von Henry James Roman "What Maisie knew"
Scheidung aus Kinderaugen
Das Trennungsdrama „Das Glück der großen Dinge“ begleitet die sechsjährige Maisie, die in Manhattan zum Spielball ihrer Eltern wird.
Der Trennungsfilm „Das Glück der großen Dinge“ begleitet die sechsjährige Maisie, die in Manhattan zum Spielball ihrer Eltern wird. Es wird aber nicht dramatisch auf die Tränendrüse gedrückt, sondern verspielt und ruhig erzählt.
Wer heutzutage heiratet, der weiß: Er hat eine Chance von 50 Prozent, wirklich ein Leben lang mit seinem Partner zusammen zu bleiben. Denn in Deutschland wird jede zweite Ehe geschieden – in den USA sind die Zahlen ähnlich hoch. Zu Beginn ist sich wohl jeder sicher, zu der anderen Hälfte an Ehen zu gehören – von der großen Liebe träumen tut schließlich fast jeder. Doch es gibt zwei große zeitliche Hürden, an denen die meisten Beziehungen zerschellen: entweder zwischen dem 4. und 7. oder nach 16 bis 20 Ehejahren. Das Paar in „Das Glück der großen Dinge“ scheitert an den ersten Klippen davon.
Manhattan heute statt Jahrhundertwende
Der Originaltitel der Romanvorlage von Henry James aus dem Jahr 1897 lautet „What Maisie knew“. Die Regisseure Scott McGehee und David Siegel versetzen die Geschichte ins heutige Manhattan und nehmen ihr die Härte und den Sarkasmus. Julianne Moore gibt sich nun als widerspenstige Rocksängerin, die nicht erwachsen werden will, und Steve Coogan ist der Typ strebsamer Geschäftsmann und Kunsthändler. Diese Ehe konnte ja nicht gut gehen und um deren Zerbrechen tut es einem als Zuschauer auch gar nicht so sehr Leid. Die eigentlich Leidtragende ist die Tochter Maisie. Sie ist eine sehr genügsame, aufgeweckte Sechsjährige. In der Realität haben die Paare in der Hälfte aller Scheidungsfälle Nachwuchs unter 18 Jahren.
Scheidungsdrama à la carte
Das Thema Beziehungsdrama und Scheidung ist kein neuer Filmstoff und der Plot ebenso nicht: Ein Paar trennt sich und es stellt sich die Frage, wer das Sorgerecht für das Kind bekommt. Beide Eltern suchen sich neue Partner, um vor Gericht bessere Chancen zu haben. Während die eigentlichen Elternteile beide in ihre Karrieren vertieft sind und eindeutig keine Verantwortung für eine Sechsjährige übernehmen können, nähern sich die beiden neuen Partner an – wobei dem Außenstehenden ohnehin von Beginn an klar ist, dass diese beiden hübschen Blonden besser zusammenpassen würden.
Einfühlsame Studie aus Kinderperspektive
Was zunächst nach einer nicht besonders originellen Geschichte klingt, die auch für eine anspruchslose Hollywood-Komödie taugen würde, stellt sich als etwas ganz anderes heraus: eine einfühlsame Studie des Kindes Maisie. Der Film besteht aus einer Aneinanderreihung von Momentaufnahmen aus dem Leben des kleinen Mädchens. Wie sie die Streitereien der Eltern wahrnimmt, wann sie was zu verstehen beginnt. Man sieht, wie sie der Spielball ihrer Erziehungsberechtigten wird, immer weitergereicht wird und die Orientierung verliert. Und wie sie doch gleichzeitig Kind bleibt, verspielt und in ihrer eigenen Welt gefangen.
Ruhiges Treiben rund um ein beeindruckendes Jungtalent
„Das Glück der großen Dinge“ baut wenig Spannung auf - der Film lässt sich treiben wie Maisie zwischen den vielen Erwachsenen in ihrem Leben. Verstärkt wird ihre Verlorenheit durch die Kulisse des lauten, unübersichtlichen New Yorks, in dem sie lebt. Unglaublich dargestellt wird das ruhige, gelassene Mädchen mit dem stets etwas verwunderten Blick von Onata Aprile. Die ganze Zeit erwartet man, dass es ihr irgendwann genug ist, dass sie trotzt. Tut sie nicht. Aber gerade das Ruhige zeugt von unglaublichem Schauspiel bei einem Mädchen ihres Alters.
Das Glück der kleinen Dinge
Mit das Schönste am Film ist es, den etwas trotteligen, gutherzigen Freund der Mutter Lincoln mit Maisie zu sehen. Er versteht sie, spielt mit ihr, bringt sie zum Lachen – zeigt ihr das Glück der kleinen Dinge im Leben. Und dabei lernt sie etwas eigentlich Großes: dass Eltern mehr bieten können als schöne Spielzeuge und spontane Liebesausbrüche – nämlich Halt als ständige Begleiter. Neben Lincoln, gespielt von Alexander Skarsgård, wirkt die Newcomerin Joanna Vanderham als Maisies Kindermädchen wie eine etwas blasse Mary Poppins – wenn auch stets fürsorglich und liebevoll.
Lucy Schwartz’ verspielte Traurigkeit
Wem der Fluss des Films trotz allem zu langsam fließt, der sollte aber immerhin in den letzten Sekunden aufzupassen. Denn das Lied, das mit dem Abspann einsetzt, komponiert alle Stimmungen aus „Das Glück der großen Dinge“ auf knapp drei Minuten zusammen. „Feeling of being“ von Lucy Schwartz fängt gleichzeitig die Orientierungslosigkeit und die kindliche Naivität des Films ein, die Leichtigkeit und die Melancholie. Und auf einmal lässt sich die Stimmung der undurchsichtigen Maisie auf zwei Worte bringen: verspielte Traurigkeit. Zurück bleibt ein großes Stück Hoffnung, dass es nicht allen Scheidungskindern wie der Protagonistin ergeht und der Film ein Lehrstück für Eltern ist, die zu selten die Kinderperspektive einnehmen.
„Das Glück der großen Dinge" (USA 2012): ab 11. Juli in den deutschen Kinos.