The Artist. Eine Liebeserklärung
„We didn't need dialogue. We had faces.“
Kaum eine Epoche der Filmgeschichte bietet eine solche Bandbreite an tragischem Potential wie der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm. Praktisch übernacht sahen sich Kinosuperstars wie Douglas Fairbanks, John Gilbert, Mary Pickford oder Buster Keaton mit dem Ende ihrer Karriere konfrontiert. Meisterregisseure wie Erich von Stroheim oder D.W. Griffith konnten nie an ihre alten Erfolge anknüpfen. Die Folge war allzu oft ein Dasein als gescheiterte Existenz im Schatten vergangener Zeiten. Die psychologischen Konsequenzen werden wohl in keinem Film besser untersucht als in Billy Wilders Sunset Boulevard (1950), dessen Hauptfigur Norma Desmond das Ende ihrer Karriere weder akzeptieren kann noch will und darüber allmählich ihren Verstand verliert. Ihr Resümee „We didn't need dialogue. We had faces.“ wurde zu einem der berühmtesten Zitate der Filmgeschichte.
Den Absprung haben nur wenige geschafft. Stummfilmstars wie Greta Garbo, die trotz breitem schwedischen Akzent weiterhin erfolgreich Filme machte, oder Regisseur Cecil B. DeMille bilden die Ausnahmen. Charlie Chaplin war ebenfalls eine solche Ausnahme, anders als sein Kollege und Konkurrent Buster Keaton, der in späteren Jahren dem Alkohol verfiel, drehte er einen seiner erfolgreichsten Filme, 'Der Große Diktator' (1940) als Tonfilm. Und das obwohl er noch 1930 den 'Talkies' noch maximal sechs Monate gab – wie viele andere hielt er diese technische Innovation für einen vorübergehenden Trend.
Zu letzterer Kategorie gehört auch die Hauptfigur von The Artist, George Valentin (Jean Dujardin). 1927 führt er ein Dasein, von dem Andere nur träumen. Er ist einer der erfolgreichsten Schauspieler seiner Zeit, ein absoluter Superstar (vergleichbar mit einem Rudolph Valentino oder einem John Gilbert). Er lebt in einer luxuriösen Villa mitten in Hollywood und wird von seinem Publikum geliebt, das er immer wieder aufs Neue gemeinsam mit seinem Hund verzaubert. Durch Zufall lernt er die angehende Schauspielerin Peppy Miller (Bérénice Bejo) kennen und verhilft ihr zu kleineren Filmrollen. Noch ist er auf dem Zenit seines Erfolgs – doch in Hollywood bahnt sich eine Revolution an. Valentin nimmt das Gemunkel nicht ernst, er erkennt das Potential dieser neuartigen Form von Film, in dem plötzlich das gesprochene Wort regiert, nicht rechtzeitig und verliert nach und nach seine Unterstützer wie etwa den Produzenten Al Zimmer (gespielt von einem wunderbaren John Goodman). Peppy Miller hingegen wittert ihre große Chance und ist dabei, America's Sweetheart zu werden...
„Words are cheap. The biggest thing you can say is 'elephant.'“ - Charlie Chaplin.
Regisseur Michel Hazanavicius bedient sich in seinem Film The Artist eines ganzen Spektrums an Verweisen auf sein eigenes Medium. Der Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm ist nicht lediglich als historische Einordnung des Plots zu verstehen. The Artist ist selbst ein Stummfilm, der es genau versteht, mit eben diesem Übergang spielerisch umzugehen. So gewinnt die Geschichte etwa durch eine kleine Szene eine zusätzliche Bedeutungsebene: George Valentin sitzt in seiner Garderobe und ihm wird allmählich klar, dass seine Karriere durch den Tonfilm tatsächlich in Gefahr ist. Er stürzt sich in den Alkohol. Nach einem großen Schluck Whiskey stellt er sein Glas wieder auf den Tisch – was ein Geräusch erzeugt.
Der Zuschauer ist überrascht durch diesen Verfremdungseffekt, denn erst jetzt wird ihm wirklich bewusst gemacht, dass zuvor keinerlei Toneffekte, seien es Schritte noch sich schließende Türen (was beinahe noch schwieriger zu akzeptieren ist als das Ausbleiben des gesprochenen Wortes, das man keineswegs als störend empfindet), tatsächlich zu hören waren. Doch auch George Valentin zeigt sich schockiert, auch er hat das Geräusch gehört. Plötzlich findet er sich umgeben von Geräuschen (Straßenlärm, Bauarbeiten, jedoch keine Sprache!) und gerät beinahe in Panik. Wie der Film hat auch George Valentin bis dato in stummen Zeiten gelebt. Das technische Mittel wird zum Teil der Geschichte selbst. Allein an dieser Szene lässt sich die ganze Spielfreude von The Artist illustrieren, und dieser Film ist voller wunderbarer kleiner Momente wie diesem. Als Zuschauer fühlt man sich an Filme wie Pleasantville (1998) erinnert, in dem die Protagonisten nach und nach in Technicolor statt in Schwarzweiß über die Leinwand gehen.
„Der Stummfilm ist emotionales Kino. Die Tatsache, dass du nicht über einen gesprochenen Text gehst, wirft dich auf eine grundlegende Art des Geschichtenerzählens zurück, die nur durch die Gefühle funktioniert, die du erschaffst. Eine absolut faszinierende Art zu arbeiten.“ So beschreibt Regisseur Michel Hazanavicius die Arbeit an seinem Schwarzweiß-Spektakel. Die emotionale Einbindung des Zuschauers gelingt vor Allem durch den großartigen Hauptdarsteller Jean Dujardin. Dem französischen Schauspieler gelingt es allein mittels seiner gestischen und mimischen Ausdrucksfähigkeit den Zuschauer auf George Valentins Seite zu ziehen – eine Figur, die mit der falschen Besetzung nur allzu leicht etwas blasiert und aalglatt hätte wirken können. Doch man gewinnt ihn gern und fiebert bei seinen Versuchen, wieder an alte Erfolge anzuknüpfen mit und leidet beinahe so wie sein treuer Hund, der ihn stets begleitet.
The Artist ist ein Film in bester Hollywood-Manier, ein Film über Hollywood und seine Protagonisten, der ein verklärtes, nostalgisches Bild schafft. In einem gekonnten Spiel mit Verweisen auf die Filmgeschichte gelingt es Michel Hazanavicius, den Zuschauer nicht nur zu unterhalten, sondern voll und ganz für die Geschichte, die er erzählt, einzunehmen und ihn daran zu erinnern, was an Filmen so großartig ist.