Nachruf
Zum Tod von Günter Grass
Der Autor mit der Pfeife lebt nicht mehr. Nach dem Tod von Günter Grass blicken wir zurück auf seine letzte Lesung in München.
Brille, Pfeife und spitz formulierte Kritik: Das waren die Markenzeichen von Günter Grass. Im November kam der Autor, Grafiker und Bildhauer im Rahmen der Münchner Bücherschau und des Literaturfests in den Gasteig zu einer Lesung. Knappe fünf Monate vor seinem Tod am 13. April 2015 präsentierte er sich dort immer noch schlagfertig.
Humorvoll und alterslos im Gasteig
Ein älterer Herr betrat mit einem Gehstock die Bühne. Doch als er sich setzte und zu reden begann, war sein Alter von stolzen 87 Jahren schnell vergessen. Immer wieder brachte Günter Grass bei der Lesung seiner neu aufgelegten „Hundejahre“ das Publikum im ausverkauften Gasteig zum Lachen und erntete für seine prägnant formulierten, teilweise sehr kritischen Aussagen jede Menge Applaus.
Auch seine bekannte Angriffslust ließ der deutsche Autor gelegentlich durchblitzen. In erster Linie richtete sich diese gegen die heutigen Literaturkritiker: „Ich kann mich gut erinnern, dass meine Bücher von der Blechtrommel an umstritten waren. Aber der Unterschied zu heute ist, dass die Kritiker, die das kritisierten oder verrissen haben, das Buch wirklich gelesen hatten und das kommt heute selten vor.“
Autor, Grafiker und Bildhauer: Hauptsache kreativ!
Eigentlich studierte Günter Grass Grafik und Bildhauerei, aber richtig bekannt wurde er durch seine Arbeit als Schriftsteller. Der Durchbruch gelang ihm 1959 mit seinem Roman „Die Blechtrommel“. Seine anderen Talente gab Günter Grass aber nie ganz auf. So illustrierte er seinen 1963 erschienenen Roman „Hundejahre“ zum 50. Erscheinungsjubiläum noch selbst mit Radierungen.
Günter Grass erklärte im Gasteig, wie wichtig der Wechsel des Handwerks für sein kreatives Schaffen war: „Nach einer langen Schreibperiode, ich rede jetzt von Prosa, wenn das Buch einigermaßen geworden ist, muss ich leer geschrieben sein. Dann mache ich nicht den Fehler und fange nicht gleich mit meinem neuen Buch an, sondern wechsele das Handwerkszeug. Ob ich dann nun zeichne oder Lithographien mache oder Radierungen. Jedenfalls ist das ein anderes Handwerk, eine andere Dimension und in der Zeit regeneriere ich als Schriftsteller.“
Kunst als Bewältigung von Kritik
Seine vielfältige künstlerische Begabung half dem Autor aber auch, mit Rückschlägen umzugehen. Einer davon war im Jahr 1995. Günter Grass erzählte, dass er nach der besonders heftigen Kritik an seinem Roman „Ein weites Feld“ durch einen „unglücklich in die Literatur verliebten Kritiker“ sehr verletzt war. Den Namen des Kritikers nannte er nicht, doch es war klar, dass er auf den ebenfalls bereits verstorbenen Marcel Reich-Ranicki anspielte. Dieser beurteilte den Roman im „Spiegel“ damals als „ganz und gar mißraten“. Als Reaktion darauf kramte Günter Grass seinen alten Aquarellkasten hervor und begann zu malen. Das habe ihm geholfen.
Inspiriert von der Vergangenheit
Oft ist es ein Teil der persönlichen Geschichte, der Künstler zu ihren Werken anspornt. So auch bei Günter Grass, der den Auslöser für seine schriftstellerische Tätigkeit in seiner Vergangenheit sah. Zum einen habe ihn der Verlust seiner Heimatstadt Danzig tief getroffen. Andererseits sei ihm und vielen anderen Autoren seiner Generation durch die deutsche Geschichte und den Nationalismus das Thema seiner Werke vorgeschrieben gewesen, meinte der Autor.
Bis zum Schluss der Kunst verschrieben
Günter Grass war einer der bedeutendsten, aber auch umstrittensten deutschen Autoren. Im Gasteig war er wenige Monate vor seinem Tod am 13. April 2015 noch fest entschlossen, sich unbeirrt von allen Kritikern weiterhin seinen Texten zu widmen: „Ich weiß, es gibt viele, die sagen, ich soll aufhören. Aber ich denke nicht dran!“ Inzwischen tragen seine energischen Worte einen bitteren Beigeschmack. Dennoch sind sie ein Zeichen der Leidenschaft, die der Autor bis zu seinem Tod für die Literatur hegte. Leider blieb ihm nur noch wenig Zeit, sich dieser zu widmen.