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Kuscheltiere, Selbstdarsteller und ein allerletzter Auftritt

Autor(en): Simon Leonhardt am Freitag, 7. Oktober 2011
Zum zehnten Mal fand das Rage Against Abschiebung Festival am vergangenen Sonntag im Feierwerk statt. Neben Informationen zu Themen wie Flucht und Migration bot die Veranstaltung Konzerte solidarisierter Künstler aus ganz Deutschland. Ein (musikalischer) Nachbericht.
Am vergangenen Sonntag fand im Feierwerk zum zehnten Mal das Rage Against Abschiebung Festival statt. Solidarisierte Künstler waren aus ganz Deutschland angereist, um die Veranstaltung musikalisch zu untermalen. Natürlich ging es rundherum um Themen wie Flucht und Migration.

Die High Voltage Humans passten da ganz gut ins Programm. Nach eigener Aussage stammen sie ja aus dem All. Und so sahen sie auch aus: Wie aus einem Film mit Christopher Lambert entsprungen betraten sie in spacigen Silber-Glitzer-Ritteroutfits die Bühne. Dass sich die High Voltage Humans in ihrer etwas überzogenen Aufmachung selbst nicht ganz ernst nehmen zeigten beispielsweise die Tanzeinlagen von Gitarrist Rubens, der die Schulterklappen seiner „Rüstung“ zu Tomahawk hüpfen ließ. Dieser beliebte Song, sowie Tetris For Lovers brachte dann auch die Zuschauer zum Tanzen. Das oft geäußerte Argument, sie sollten zwecks der Dynamik einen Live-Drummer dazu holen, wurde bei ihrem Auftritt im Hansa 39 entkräftet. Durch neuere Technik klangen die Beats satter, als noch vor einem Jahr.

In der Kranhalle feierten derweil Supershirt ihre Fans und sich selbst. Zugegeben, es ist ja auch erstaunlich, zu welcher immenser Popularität es die Indietroniker aus Berlin in den letzten zwei Jahren gebracht haben. Und das mit Songs, wie 8000 Mark. Kostprobe? „Was kostet ein Brett - 8000 Mark! Was kostet ein Brot - 8000 Mark! Was kostet ein Brat - 8000 Mark!“ Doch die Live- Umsetzung solcher Knaller, sowie ihre Art der Selbstironie („ja wir machen solche Lieder aber haben trotzdem studiert“) machen Supershirt zu einer guten Partyband – die Kranhalle war brechend voll.

Währenddessen ging es im Hansa 39 gesitteter zu. Die Besucher lauschten den experimentellen Elektro-Pop-Klängen der Münchner Parasyte Woman. Frontfrau Relle Büst verzerrte ihre Stimme selbst an allerlei Knöpfen, begleitet von Schlagzeug und Gitarre. Die Kranhalle gegenüber wurde derweil mehr und mehr zur Kleinkunstbühne, als zum Konzertsaal: Räuberhöhle luden ins Kasperltheater zum mitmachen. Auf der großen Leinwand hinter der Bühne unterhielten sich vor bunt-überladenem Hintergrund Kuscheltiere mit quiekigen Stimmen, um dann, sozusagen analog, auf der Bühne zu erscheinen und fröhliche Songs mit Bumm-Bumm-Beats, die stark an 90er-Jahre J-Pop erinnerten, im Halbplayback zu singen. Von Song zu Song erschienen mehr dieser Tierchen in der Halle: Elefanten, Kakerlaken, Teddybären und andere undefinierbare Gestalten mischten sich ins Publikum, verteilten Partyhüte, bliesen Luftschlangen, schmissen Konfetti. Diese Idee ist zugegeben nicht sehr neu, aber die konsequente Umsetzung dieser fröhlichen Kinderwelt kam an und wirkte so zu keinem Zeitpunkt peinlich. Ganz im Gegenteil: Die Besucher feierten mit. Nur so mancher, der die Halle gerade betreten hatte, fragte sich (wohl zurecht), in welchem Film er da gerade gelandet war.

Auch der anschließende Auftritt hatte (beabsichtigt) kabarettistische Züge: Austrofred bewies, dass sich Queen-Songs ganz wunderbar mit Texten von Austropop-Größen wie Fendrich, STS oder Falco besingen lassen können. Eigentlich ist Franz Adrian Wenzl Sänger der österreichischen Band Kreisky, doch als Freddie-Mercury-Double Austrofred fungiert er als gnadenloser Selbstdarsteller. So spricht er zwischen den Songs von sich selbst stets in der dritten Person („kommts näher, der Austrofred beißt ned“) oder warb für sein Buch, das seinen Briefwechsel mit "Österreichs zweitem Genie neben Austrofred", Wolfgang Amadeus Mozart enthält. Titel: "Du kannst dir deine Zauberflöte in den Arsch schieben".

Wem der Klamauk zu viel wurde, der konnte im Hansa 39 Saroos beim jammen zuhören oder anschließend zur Folk-Blues-Mischung von 3 Shades tanzen. In der Kranhalle kam es derweil zu einem Treffen zweier Musiker, die bisher noch nie zusammen gespielt haben: King Fehler, wie sich Knarf Rellöm ohne Band-Unterstützung nennt, traf auf Polly, wie sich Pollyester (mittlerweile) ohne Band (wieder) nennt. King Fehler sang Texte von Knarf Rellöm zu Beats von Snoop Dogg oder dem Wu-Tang Clan, während die Münchner Discopop-Queen Polly ihn meist in den Refrains stimmlich unterstützte. Interessante Mischung eigentlich, allerdings wirkte das Ganze doch über weite Strecken etwas langatmig.

Doch der Höhepunkt des Abends folgte auf den Punkt: Die Mediengruppe Telekommander trat im Hansa 39 auf. Mit Billig, einem Song von ihrem neuen, dritten Studioalbum Die Elite der Nächstenliebe starteten sie ihre Show. Die Reaktion war, wie oft bei neuen und zumeist unbekannten Liedern, noch verhalten. Doch schon bei Ein Kleiner Widerstand gab es für das volle Hansa 39 kein Halten mehr. Und so wurde es ein Konzert der alten Klassiker der mittlerweile Berliner Electropunk-Band. Doch auch die Lieder vom neuen Album, wie etwa Wer Bist Du, sind eingängig und könnten sich zu den auf dem Konzerten der Band oft gewünschten Hits wie Kommanda einreihen. In München wird es dazu allerdings nicht mehr kommen – Ende Oktober lösen sich Mediengruppe Telekommander auf. Und so verabschiedeten sie sich beim zehnten „Rage Against Abschiebung“ nach zehnjähriger Bandgeschichte von ihren Fans.


Ein würdiger Abschluss also für ein gelungenes, farbenfrohes und manchmal positiv verstörendes Festival, das es hoffentlich auch im nächsten Jahr noch geben wird; werden doch vom absolut lohnenden Eintrittspreis Projekte des Flüchtlingsrates unterstüzt. Eine Win-Win Situation also.

Einen Nachbericht aus der Politikredaktion könnt ihr übrigens am Dienstag, den 4.10.2011, im Plenum von 19 bis 20 Uhr hier auf m94.5 hören.


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