Pedanterie des Ganzen: Diagrams - Black Light [Full Time Hobby]
Platte des Monats Januar 2012
Er sei während Tunng unsicher und nicht immer glücklich gewesen, sagt Sam Genders. Was folgt, vor allem für die eigene Entwicklung, ist der Ausbruch aus der Unregelmäßigkeit und die Einkunft in ein routinierteres Leben. Drei Jahre lang unterrichtete Genders an einer Grundschule in seiner Nachbarschaft und lernt – vor allem sich selbst kennen. Da es nie einen zwischenmenschlichen Bruch mit Tunng gab, drängt sich auch akustisch keiner auf. Und wie Sam Genders aus seinem Verwürfnis mit sich selbst herausgeht, erscheint auch seine Musik: Klarer, reiner und spezifizierter.
Spricht er von dem Namen seines Projekts (oder ist es doch eine fixe Band?), malt er Formen in die Luft, Gebilde die die zugrundeliegende Idee seines ersten Soloalbums einfangen sollen – Diagrams: schematische Graphiken und Formen. Für einen Folktroniker nicht gewöhnlich, immerhin sehr starr, weil in den Bestandteilen linear, festgelegt, schnörkellos. Und doch wird auf seinem ersten Soloalbum "Black Light" eine bemerkenswerte Brücke geschlagen - zwischen dem Bestimmten, dem artifiziell Geschaffenem, und dem Unbestimmten, dem natürlich Waltendem.
Bewährte (Sound-) Renaissance
Die Soundlandschaften, die Sam Genders bereits an seinem ehemaligen Tunng-Kollegen Mike Lindsay schätzt, treffen auf die sauberen, beinahe pedantisch anmutenden Aufnahmen des britischen Produzenten Mark Brydon, unter anderem als Hälfte des britischen Duos Moloko bekannt. Diese Verbindung bedeutet klar definierte und stoisch anmutende Melodiestränge. "Bei Diagrams sind es eher ganz simple Noten auf einer E-Gitarre. Sie überlagern sich vielleicht, aber die einzelnen Teile sind im Grunde genommen ganz simpel gestrickt", so Genders.
Die große Einheit ist von Strukturen zersetzt, was sich visuell schneller erschließt. Trailer zum Debütalbum "Black Light" deuten die Zweilagigkeit, geradezu Ambiguität, des Klangs an, den Blick auf die zweite Ebene. Genders lässt uns durch die Maske eines Diagrams wahrnehmen, die Natürlichkeit und Wärme nur definiert zulässt. Ist die fließende Oberfläche von "Black Light" so durchschaut, trifft man auf detailverliebte Klangstrukturen, die nicht nur den Verlauf, sondern auch einzelne Töne betreffen. Ist die Seite erst einmal angeschlagen, erlaubt der geometrische Verlauf kein unendliches Ausbreiten, unterstützt das kleinliche Gefüge. Sein experimenteller Folk gibt sich ohnehin keine Mühe das Artifizielle vollkommen im Traditionellen aufzulösen.
Experimentelle (Folk-) Romantik
Umhüllt wird die musikalische Pedanterie von Sam Genders' Stimme. Abgeschmirgelt sanft fließt sie zwischen E-Gitarre und Percussion und dämpft – akustisch wie inhaltlich. Die waltende Struktur der Songs wird von in sich gelösten Lyrics unterwandert. Genders' neuer Positivismus und die Reinheit mit sich selbst zeigen sich in der Einigkeit mit und daher Auflösung in seiner Umwelt. "If I can loose myself then loose myself I will", aus dem Titeltrack "Black Light". Kaum ein Song ist nicht metaphorisch naturverbunden, kaum eine Zeile nicht entrückt. Genders schreibt in Gedankenströmen, die erst nach und nach geordnet und der bereits geschriebenen Melodie angepasst werden. Es ergeben sich neue Metaphern in Text und Ton, die zwar einen von ihm vorher erdachten Sinn haben, aber ihm "gefällt auch die Tatsache, dass jemand anders das ganz anders interpretieren könnte".
Sam Genders' erstes Soloalbum ist trotz aller mathematischer Anlehnungen keine Eineindeutigkeit. Hat man alle Schichten auseinander genommen, betrachtet und wieder ineinander gesteckt, ist das homogene Gesamtgeschehen nur umso faszinierender.
Black Light von Diagrams erscheint am 13. Januar 2012 bei Full Time Hobby