Platte des Monats August 2013
Glocken, Orgelklänge, düsterer Chorgesang. Das erwartet man eigentlich von einem Konzeptalbum über den Sündenfall. Auf Grant Harts „The Argument“ bekommt man aber noch viel mehr.
Glocken, Orgelklänge, düsterer Chorgesang. Das erwartet man eigentlich von einem Konzeptalbum über den Sündenfall. Auf Grant Harts „The Argument“ bekommt man das auch. Aber noch eine ganze Menge mehr. Ein unfassbar vielfältiges Album des ehemaligen Hüsker Dü Drummers und unsere Platte des Monats August.
Mitte der 80er Jahre waren Hüsker Dü an einem Punkt, wie man ihn sich eigentlich nur wünschen kann. Die Band aus Minneapolis kam eigentlich aus der Hardcore-Punk-Szene und kombinierte das mit Einflüssen aus dem Alternative Rock. Das hinterließ Eindruck. Vor allem bei Bands aus Seattle wie Nirvana und Pearl Jam, die später den Grunge-Sound der 90er Jahre prägen sollten. Die Platten von Hüsker Dü verkauften sich gut und sie konnten sogar bei einem Major Label veröffentlichen.
Eine große Zukunft?
Wäre da nicht der Heroinmissbrauch von Schlagzeuger Grant Hart gewesen. Es kam zu immer mehr Differenzen mit Sänger Bob Mould und man munkelt, dass Grand Hart irgendwann im Jahr 1987 einfach unsanft aus der Band geschmissen wurde.
Ob diese Geschichte, von einem, der aus seiner angestammten Umgebung geworfen wird, weil er die falsche Substanz konsumiert hat, etwas mit Grant Harts Interesse für den Sündenfall zu tun hat, kann nur spekuliert werden. Sein neustes Album beschäftigt sich jedenfalls genau mit diesem Thema: der Vertreibung aus dem Paradies.
Der schönste Engel von allen
Im Himmel herrscht Krieg. Luzifer, der "Morning Star", von allen wegen seiner Schönheit bewundert, hat eine Rebellion gegen Gott angezettelt. Zur Strafe wird er mit seinem Gefolge in die Hölle verbannt. Statt nun von dort aus mit Gewalt wieder in den Himmel einzubrechen, schmieden sie einen perfideren Plan, um sich zu rächen: Die Menschen sollen verführt werden, um sich ebenfalls gegen Gott zu wenden. Und so nimmt die Geschichte von der Schlange, dem Apfel und der Erkenntnis ihren Lauf.
Paradise Lost
Das Album erzählt die Geschichte vom epischen Kampf zwischen Gut und Böse. Gefallene Engel, Versuchung, Vertreibung aus dem Garten Eden – die Handlung bietet jede Menge Stoff für dramatische Momente. Und Grant Hart ist natürlich nicht der erste, der das künstlerisch aufgreift. Er bezieht sich direkt auf ein nicht vollendetes Werk von William S. Burroughs, der sich wiederum auf das epische Gedicht „Paradise Lost“ von John Milton stützt. Und der hatte sich einiges vorgenommen. Milton selbst beschreibt sein Werk in den ersten Versen als eine Geschichte „Of man’s first disobedience, and the fruit of that forbidden tree, whose mortal taste brought death into the world, and all our woe.“
Things unattempted yet in prose or rhyme
Milton wollte ein beispielloses Meisterwerk schaffen und hat sich dabei über die Grenzen der englischen Sprache hinausgewagt. Viele Fremdwörter, Wortneuschöpfungen und sogar ein vollkommen eigener Satzbau prägen „Paradise Lost“ und machen es zu einem selbst für Muttersprachler schwer lesbaren Brocken. In der Vertonung wählt Grant Hart einen vollkommen anderen Ansatz. Er verpackt die Geschichte in kleine Popsongs. Auch dafür wagt er sich aus seinen gewohnten Gefilden hinaus; durch größere Produktion und größere Instrumentierung der Songs, als man es von Grant Hart gewohnt ist. Aber er verliert dabei nie den Song und die Melodien aus den Augen.
Es brummt und quietscht gewaltig
Durch den Fokus auf Melodien wirken die Songs zeitlos. Sämtliche akuelle Trends werden vollkommen ignoriert und der Sound ordnet sich der Aussage unter. „If We Have The Will“ ist eigentlich ein recht fröhlich anmutender Popsong. Wäre da nicht ein Brummen, dass dem ganzen Song unterliegt und ihm so eine sehr düstere Note verleiht. Wenn von Luzifer oder dem Konflikt mit Gott die Rede ist, begegnen einem schonmal recht seltsame Geräusche, die die Melodien aufbrechen. Dem gegenüber stehen aber auch Songs wie „Underneath The Apple Tree“, ein wunderbar einfacher Folksong mit Ukulele, der die süßen Worte beinhaltet, mit denen die Schlange Adam und Eva davon überzeugt, welchen großen Spaß dieser Baum der Erkenntnis bietet.
Die musikalische Bandbreite ist riesig
Der Gesang von Grant Hart erinnert streckenweise an David Bowie, was dem Album angesichts der theatralischen Thematik sehr gut zu Gesicht steht. „The Argument“ bewegt sich von Popsongs mit Schubidu-Refrain („For Those To High Aspiring“) über rhythmusbetonte psychodelic Sounds („I Am Death“) bis hin zu sperrigen Instrumentalnummern mit eingebautem Straßenlärm („War In Heaven“).
Egal wie aufwändig eine Nummer allerdings produziert ist, im Kern sind es immer eingängige Popsongs. Und das ist das Erfolgsrezept des Albums. Das unüberschaubar große Thema, mit Songs über den Krieg im Himmel und über den Teufel, der sich persönlich an den Hörer wendet, wird in kleine Songs verpackt, die zu weiten Teilen auch ohne Hintergrundwissen wunderbar funktionieren. Dazu kommt, dass die Geschichte aus „Paradise Lost“ nicht chronologisch erzählt wird. Einzig die beiden CDs lassen sich grob gliedern: Zuerst die Rebellion Luzifers gegen Gott und auf der zweiten CD dann die Geschichte rund um Adam und Eva. Ansonsten sortiert sich das Album nach musikalischer Dramaturgie, nicht nach inhaltlicher. Die Songs müssen auf eigenen Beinen stehen, ohne paradiesische Unterstützung. Und das funktioniert.
„The Argument“ von Grant Hart ist am 19. Juli 2013 auf Domino Records erschienen.
In der engeren Auswahl für die Platte des Monats August:
Moderat – II (VÖ 02.08.2013) [Monkeytown Records]
Fair Ohs – Jungle Cats (VÖ 02.08.2013) [Dream Beach]