Der französische Journalist Pascal Thibaut über Frankreichs Politik
„'Merkozy' ist keine Perspektive“
Der Journalist Pascal Thibaut erklärt den Franzosen normalerweise die deutsche Politik, doch für uns dreht er das Spiel um.
Der Journalist Pascal Thibaut erklärt den Franzosen normalerweise die deutsche Politik, doch für uns dreht er das Spiel um.
Seit 20 Jahren ist der Franzose Pascal Thibaut als Journalist in Berlin. Aktuell ist er der Deutschlandkorrespondent von Radio France International. Im Interview spricht er über die politische Lage in Frankreich, die Auswirkungen auf die EU und die Zukunft von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy. Das Gespräch fand beim achten Europäischen Mediengipfel in Lech am Arlberg am 4. Dezember 2014 statt.
M94.5: In der Eröffnungsrede des 8. Europäischen Mediengipfels hat der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier besonders die politische Elite kritisiert, die sich immer mehr abzukapseln droht. Ist diese Gefahr einer sich selbst reproduzierenden Elite in Frankreich nicht besonders groß?
Pascal Thibaut: Das ist ein typisches französisches Phänomen: Es gibt Eliteschulen aus denen sehr viele spätere Politiker hervorgehen. Die kennen sich dann natürlich später auch schon aus ihrer Schulzeit und haben oft auch ähnliche Ansichten. Zusätzlich gibt es so etwas wie „Dynastien“, wo mehrere Generationen in der Politik arbeiten. Zum Beispiel die beiden Söhne von Sarkozy aus erster Ehe, von denen zumindest einer schon in der Politik ist. Es fehlt eine breitere politische Klasse, sowohl, was die sozialen Wurzeln angeht, aber auch die Studiums-Hintergründe. Das ist auf Dauer nicht gesund für das Land.
Jetzt gilt Frankreich als großer Staat, aber auch als Trendsetter innerhalb der EU. Überträgt sich diese Eliten-Problematik dann nicht auch auf die europäische Ebene?
Ich würde nicht zustimmen, dass Frankreich „Trendsetter“ ist. Das ist vielleicht zu optimistisch bei der aktuellen Lage. Wenn man die Reformen der letzten Jahre ansieht, hat Frankreich immer versucht das Thema Wachstum zu betonen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Genau so in der Beschäftigungspolitik. Eine Vorreiterrolle sehe ich vielleicht nur in der Außenpolitik, wo Frankreich zum Beispiel in Mali Arbeit leistet, die genauso der Gegenstand einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sein könnte.
Eine populäre Meinung ist ja, dass der Einfluss Frankreichs auch durch die Wahl von Francois Holland gesunken ist. Er hat nicht die gleiche enge Bindung zu Angela Merkel aufbauen können, wie Nicolas Sarkozy. Jetzt ist Sarkozy zumindest wieder Parteivorsitzender der Konservativen.
Das schon und er hat auch sehr großen Rückhalt unter seinen Anhängern, aber als Präsidenten wünschen ihn sich im Moment noch sehr wenige Franzosen zurück. Dazu kommen ja noch ein paar Schwierigkeiten mit der Justiz. Eine Widerwahl ist im Moment eher unwahrscheinlich.
„Zwei Staaten haben erklärt, was man machen muss“
Man könnte ja trotzdem mal spekulieren. Würde ein Comeback von „Merkozy“ wieder neuen Schwung in die EU bringen?
Ich glaube nicht, da „Merkozy“ noch nie eine besonders gute Dynamik war. Die völlige Übernahme von deutschen Thesen durch Sarkozy hat dazu geführt, dass die üblichen Kompromisse, die bisher immer mit viel Mühe erzeugt wurden, durch scheinbare Einigkeit abgelöst wurden. Zwei Staaten haben den anderen erklärt, wie man was machen muss und wurden selten einbezogen. Für ein vielfältiges Europa kann das keine positive Perspektive sein. Das schürt nur Ängste und Ressentiments, in erster Linie auch gegen Deutschland.
Am Podium wurde eben sehr viel diskutiert, ob denn nun eher Zwietracht oder Einigkeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten herrscht. Welche Position würden Sie eher stützen?
Das ist natürlich stark vereinfacht, aber vermutlich herrscht im Moment noch mehr Zwietracht vor. Das sage ich deshalb, weil viele Länder sich aktuell in mehr oder weniger großen Krisen befinden. Jeder neigt daher dazu, zuerst an sich zu denken. Die Solidarität kommt erst an zweiter Stelle. Leider vergessen die meisten dabei, dass eine Verbesserung der Lage in den Ländern, wo es im Moment nicht so gut läuft, auch in ihrem eigenen Interesse sein kann. Ganz pragmatisch gesagt: Dort sind auch Märkte für die anderen EU-Staaten, die man ansonsten nicht nutzen kann.