Basketball-Tagebuch
Der Drahtseilakt
Zur EuroBasket versammelt sich die Basketball-Elite in Berlin. Wir packen den Statistikbogen weg - und das Tagebuch aus. Ausgabe drei: Das Postgame-Interview.
„Heiko“, raunte ein Reporter neben mir, als Heiko Schaffartzik durch die Mixed Zone marschierte. Anders als viele Sportler stoppt der Kapitän der deutschen Basketballnationalmannschaft oft vor den Kameras, Mikrofonen und Notizblöcken - auch nach Niederlagen, wo der direkte Weg unter die Dusche der angenehmste ist. Das 66:68 gegen Serbien am vergangen Sonntag war so eine, weil Nemanja Bjelica erst 0,9 Sekunden vor Spielende die deutsche Verteidigung mit dem entscheidenden Wurf überrumpelt hatte. Schaffartzik machte trotzdem Halt, um ihn bildete sofort sich eine kleine Journalisten-Traube. Das Frage-Antwort-Spiel war eröffnet.
Wer verliert, ist kein geiler Hengst
Ob die deutsche Mannschaft denn nicht ein bisschen stolz sei, fragte schließlich ein anderer Kollege, denn sie sei es gewesen, die Vize-Weltmeister Serbien beinahe düpiert hätte. Schaffartzik verharrte für eine Sekunde. „Haben Sie schon mal Sport gemacht“, fragte er dann zurück. Nun war es der Journalist, der verblüfft war. „Ja, Judo“, antwortete er, worauf Schaffartzik loslegte: „Also. Was haben Sie gedacht, wenn sie einen Kampf nach Punkten oder K.o., ich weiß nicht genau, wie das ist, verloren haben? Haben Sie gedacht: 'Mann, bin ich ein geiler Hengst.' Oder haben Sie gedacht: 'Scheiße, ich habe verloren.'“ Stille. „Genau, sie denken: „Scheiße, ich habe verloren.“ Nochmal Stille. „Ich will nur einen Einblick in die Psyche eines Sportlers geben.“
Heiko Schaffartzik kann ein überragender Gesprächspartner sein. Wo andere Spieler ihre Phrasen abfeuern, macht er sich wirklich Gedanken. Ich habe ihn schon oft eloquent, tiefsinnig und witzig erlebt.
Schaffartzik spielt das Medienspiel wie kaum ein zweiter
Schaffartzik ist einer, dem das Spielchen mit den Journalisten Spaß macht. Weil er genau zuhört und Schwächen in Fragen sofort aufdeckt, sind Interviews mit ihm auch immer eine persönliche Herausforderung. Regelmäßig lässt er Reporter mit bissigen Antworten auflaufen. Mir ist das auch schon passiert – und nicht nur einmal.
Im Gespräch mit Heiko Schaffartzik gipfelt der Drahtseilakt des Postgame-Interviews. Als am Sonntag zwölf der besten Basketballer Deutschlands nach einer bitteren Niederlage an uns Journalisten vorbeigeschlichen sind, hat auch für uns eine Herausforderung begonnen. Eine Suche nach der richtigen Mischung aus Feingefühl, Verständnis, Kritik und Analyse.
Das kann natürlich schiefgehen – besonders im Fußball sind auf diese Weise Youtube-Perlen entstanden.
Wenn das Interview aber gelingt, wenn der Drahtseilakt gemeistert wird, entstehen dabei Aussagen, die analysieren, einordnen und Einblicke geben – in den Sport und in die Sportler selbst. Auf dem engen Raum, wo Fragen mit Schweiß und Emotionen verschmelzen, bildet sich die Grundlage einer guten Geschichte. Und weil Heiko Schaffartziks oft einen Tick analysierender, einordnender und Einblicke gebender ist als alle anderen, wird auch in Zukunft wieder oft nach „Heiko“ verlangt werden. Eine kleine Psychoanalyse ist dann eben manchmal inklusive.
Absurde, lustige und sportliche Geschichten zur Vorrunde der EuroBasket in Berlin gibt's in unserem Live-Blog.