Basketball-Tagebuch
Die Macht der Fans
Zuschauer mit Einfluss: Die serbischen Basketballfans haben ihr Team zum Sieg gepeitscht.
Zur EuroBasket versammelt sich die Basketball-Elite in Berlin. Wir packen den Statistikbogen weg - und das Tagebuch aus. Ausgabe zwei: Fan-Einfluss.
Liebe Allesfahrer, Schlachtenbummler und Sommerschalträger, liebe Normalo-Fans,
wenn Trainer und Spieler euch im Siegesrausch als diejenigen huldigen und lobpreisen, „ohne die wir das niemals geschafft hätten“, dann erfüllt euch das mit Stolz. Ich bin ehrlich: Es fällt mir schwer, zu glauben, dass ihr es seid, die im modernen Spitzensport den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage machen. Ihr haut raus, was in euch steckt. Na logo. Aber trotzdem: Während die Stephen Currys und Klay Thompsons immer die Show schmeißen werden, bleibt euch die Rolle Kent Bazemores, der die Show nur feiert.
Ich behaupte, der Heimvorteil ist überbewertet. ESPN-Kolumnist Tom Haberstroh hat das im Fall der NBA sogar mit Zahlen unterfüttert – und beruft sich dabei auf drei Theorien.
- Immer seltener entscheiden Schiedsrichter enge Spiele mit ihren Pfiffen – weil sie Extra-Qualität draufgepackt haben und die Entwicklung des Basketballs ihre Pfeife zudem hat verstummen lassen. Der unaufhaltsame Aufstieg des Dreipunktewurfs ködert die Spieler weg aus der Zone, wo unübersichtliche Zweikämpfe entstehen und Schiedsrichter zur schnellen Reaktion gezwungen sind.
- Auswärtsreisen sind inzwischen kein mannschaftsinterner Kampf um die Plätze mit der komfortabelsten Beinfreiheit. Die Fortbewegungsmittel sind hochmodern und an die besonderen Bedürfnisse angepasst. Reisen ist bequemer und effizienter.
- Die Begeisterung der Fanmassen hat abgebaut. Wenn ein Spieler an die Freiwurflinie marschiert, scheint es manchmal verlockender, zum dritten Mal innerhalb der Minute zu checken, ob das neue Facebook-Profilbild bereits die 100-Likes-Marke geknackt hat. Basketball ist Event; und Event ist Ablenkung.
Die serbischen Fans sind Gänsehaut-Garanten
Der Heimvorteil ist für mich eine veraltete Erklärung, die tatsächliche Analyse umgeht. Eine bequeme Aussage, die immer zieht. Ich muss allerdings zugeben, liebe Fans, ich bin heute ins Grübeln gekommen. Präziser ausgedrückt: Tausende Serben haben mich ins Grübeln gebracht.
Die Serben haben die Halle komplett eingenommen. Wahnsinnig laut und intensiv die Fans. Wird harte Arbeit für @DBB_Basketball-Fans morgen
— Florian Schmidt-So (@Schmiso) 5. September 2015
Überall waren sie verteilt in der Mercedes-Benz-Arena in Berlin, um ihre Nationalhelden im Spitzenspiel der EuroBasket gegen Spanien anzupeitschen. Es waren Menschen, die sich größtenteils nicht gekannt, aber dennoch verstanden haben. Sie waren elektrisierend, emotional, enthusiastisch. Gänsehaut-Garanten.
Die Analyse darf nicht zu kurz kommen
Die Sportler haben sich darauf eingelassen, sie haben das Spielchen mitgemacht. Nemenja Nedovic etwa. Erst der versenkte Dreier, dann die geballte Faust, noch ein Dreier, jetzt schon zwei Fäuste, abschließend ein Lay-up plus anschließende Jubelpirouette. Plötzlich Führung statt Rückstand. Die Fans sind ausgetickt, weil Nedovic es verstanden hat, sie einzubinden. Blickkontakt, Geste, Jubelschrei.
Was für eine Show der serbischen Fans! Absolute Leidenschaft. Wenn Serbien gegen die Türkei spielt, garantiere ich hier für nichts …
— André Voigt (@drevoigt) 5. September 2015
Den Fans solche Leckerlis zuzuwerfen, ist wichtig, wichtiger als ich geglaubt habe. Der serbische 80:70-Sieg ist natürlich auch analytisch herzuleiten (exzellente Ballhandler, starke Off-the-Dribble-Driver und ein überragender Nemanja Bjelica/24 Punkte, 10 Rebounds). Heute wäre es mir aber zu einfach, diese verrückten serbischen Basketballfans auszublenden. Nemanja Nedovic hat das schließlich auch nicht getan.
Absurde, lustige und sportliche Geschichten zur Vorrunde der EuroBasket in Berlin gibt's in unserm Live-Blog.