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Girls - Father, Son, Holy Ghost [Turnstile/PIAS]

Platte des Monats September 2011

Autor(en): Thomas Mehringer am Donnerstag, 1. September 2011
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Quelle: Turnstile/PIAS/Christopher Owens

Girls - Father, Son, Holy Ghost (Cover)

Das zweite Girls-Album "Father, Son, Holy Ghost" wartet mit jeder Menge Sehnsucht und Traurigkeit auf, zusammengetragen von einer Person, deren Charisma vom Schicksal geprägt ist.

Sad. Epic. Girls.

Man setze Christopher Owens samt Gitarre auf einen Hocker, ziehe im die obligatorisch ausgewaschene, braune Baumwolljacke an, stutze seine Haare schulterlang und fahre im Hintergrund das legendäre MTV-Unplugged-Interieur herein – schon sitzt da Kurt Cobain. Und nicht nur weil „Nevermind“ 20-Jähriges feiert und in aller Munde ist, drängt sich dieser Vergleich förmlich auf, nein, beide Frontmänner besitzen diese unheimlich authentische Ausstrahlung wie sie das Rockgeschäft nur alle 20 Jahre ausspuckt. Und trotzdem könnten ihre Charaktere nicht unterschiedlicher sein: Cobain, der drogenverseuchte Proto-Wutbürger der 90er und Owens, der Hippie-Romantiker der Zehnerjahre, großgeworden in der Children-Of-God-Sekte. Kann auch er eine Generation führen? Haben die Girls die Reife dazu?

 Ein ganz klares Ja dazu würde es vom Boulevard geben, wenn ein kommerzieller Hit auf dem zweiten – das dritte, zählt man das formidable Mini-Album „Broken Dreams Club“ aus dem letzten Jahr dazu – Album „Father, Son, Holy Ghost“ zu finden wäre. Nur zu schön könnte man die tragische Lebensgeschichte des 29-Jährigen ausschlachten. Nach dem „Skandalrocker“ folgt der „Sektenrocker“. Doch Owens hat die Schicksalsschläge – den durch die radikalen Dogmen des Kults verschuldeten Tod seines älteren Bruders („Forgiveness“) oder die Prostitution seiner Mutter durch den Zuhälter Children Of God („My Ma“) – mittlerweile sehr gut verkraftet. Seine Musik schöpft offenkundig aus dieser Zeit, er reflektiert, er akzeptiert und er selbst inspiriert durch seine daraus resultierende, ständig präsente, latente Traurigkeit, die „Father, Son, Holy Ghost“ zum bisherigen Höhepunkt im Werk der Girls macht.

I wanna be my own person“ 

Die „Girls“ stehen nicht nur im Plural, weil selbige auch auf „Father, Son, Holy Ghost“ wieder das bestimmende Thema sind, nein, die Girls auf Christopher Owens zu reduzieren wäre genauso falsch wie zu denken, dass Drogen in der Band tabu wären. Der gleichaltrige Chet „JR“ White ist Christopher Owens gleichberechtigter Partner. Er hat bisher alle Aufnahmen der Girls kongenial produziert. White versteht es die zumeist simpel angelegten Texte und Arrangements von Owens in klassisch, oft auch epische Strukturen zu verpacken, die aus einer enorm rückwärtsgewandten Inspiration greifen, dabei aber nie retro klingen.

Ein besonders gelungener Kniff auf „Father, Son, Holy Ghost“ ist es, dem Dröhnen, Brummen und Flattern der Gitarren weibliche Gospelchöre hinzuzufügen, die zum einen den süßlichen Schmerz offenlegen („Love Like A River“), die flehende Sehnsucht immer mehr steigern („Vomit“) oder dem blinden, temporären Glück fröhnen („Magic“). Zu den gewohnten poppigen Inspirationsquellen der 60er und 70er (Beach Boys, Roy Orbison, Buddy Holly, Paul McCartney, Elvis Costello etc.) kommen auf „Father, Son, Holy Ghost“ auch Riffs der härteren Gangart. Diese kommen aber nicht, wie man vermuten könnte, aus der jüngeren (Gutter-)Punk-Vergangenheit Owens, sondern sind wohl Chet White bzw. der neu formierten Studio-Band geschuldet und klingen vielmehr als würden Guns N' Roses Black Sabbath spielen („Die“). Stimmlich bleibt Christopher Owens in den 60ern verortet, er performt wie der männliche Skeeter Davis oder der dritte, verschollene Everly Brother – aber auch ohne die Reminiszenzen hat seine Stimme eine ganz moderne, romantische Dringlichkeit, die so momentan neben ihm nur ein Jeff Tweedy einzusetzen weiß.

"A friend of mine once told me that all great art is imagination and then just a lot of hard work."

Die Girls sind melancholische Realisten, die mit “Father, Son, Holy Ghost” ihr Kontingent an potentiellen Songs für die Ewigkeit um mindestens zwei Stück erweitern – schon vorher im Portfolio: “Hellhole Ratrace”, “Carolina”, eventuell noch “Lust For Life”.

“Father, Son, Holy Ghost” ist Wahnsinn, Traurigkeit, Obsession, Erschöpfung, Anziehung, Liebe, Ungewißheit, Resignation, Religion, Verblendung, Schmerz, Vergebung, Magie, Bürde, Geheimnis und vor allem die Angst vor Einsamkeit - “I miss the way life was when you were my girl” (“Jamie Marie”). Eine Angst, die jede Generation beschäftigt – auch Kurt Cobains. Er reagierte mit Wut, Christopher Owens mit Sehnsucht. Sicherlich kein Gefühl der Massen. Aber so ist es, wenn sich alles nur noch um die Girls dreht.

Bildergalerie
Christopher Owens (Girls)
Christopher Owens (li.), Chet

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